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DISPLAY ADVERTISING - Interview

Gefährliches Halbwissen

Frank Puscher, 31. März 2011

Seit Februar verantwortet Reza Malek die Geschäfte bei Neo@Ogilvy. Sein Lieblingsthema ist die enge Verzahnung von klassischer Werbung und Performance-Marketing.

** Herr Malek, wie steht es um das Displayadvertising in Deutschland?

Reza Malek

Reza Malek: Wir brauchen uns hier nicht zu verstecken. In den Bereichen, wo gut beraten wird, erreichen wir ein gutes Niveau. Allerdings gibt es viel zu viele auf dem Markt, die behaupten, sie wären Spezialisten im Performance-Marketing, aber in Wahrheit sind es die wenigsten. Im Vergleich zu den USA würde ich sagen: Wir stehen kurz vor dem Abitur.

Adzine: Sind es denn nur die großen Agenturen, die gut und umfassend beraten und leisten können?

Reza Malek: Nein, natürlich nicht. Im Gegenteil. Viele kleine Agenturen gehen sehr intensiv auf die Bedürfnisse der Kunden ein und erarbeiten sehr individuell zugeschnittene Lösungen. Das ist keine Frage der Größe. Was ich kritisiere, ist, dass in vielen Agenturen das meiste händisch gemacht wird, und das gelingt eben nicht. Ich kann heute eine vernünftige Perfomance-Kampagne nicht steuern, ohne die entsprechenden technischen Werkzeuge.

Adzine: Man braucht also zum Beispiel eigene Adserver?

Reza Malek: Die sind dann halt wie ein Maßanzug und passen ganz genau. Aber das funktioniert eben nur, wenn genug Budget vorhanden ist, sonst bleibe ich dann doch lieber bei den verfügbaren Standardprodukten. Ein weiteres Problem ist, dass häufig Rookies eingesetzt werden. Da werden dann die Matching Types bei einer SEM-Kampagne nicht sauber ausgewertet, da stimmt die kreative Leistung im Display nicht, und so weiter.

Adzine: Funktioniert das Performance-Paradigma auch im Branding?

Reza Malek: Genau wie im SEM. Wenn ich den Erfolg einer Kampagne nicht messen kann, ist es keiner. Wer behauptet denn, dass Branding-Kampagnen nicht messbar sind? Nehmen Sie doch einfach die CTR und schon haben Sie einen objektiv prüfbaren Parameter. In Branding-Kampagnen wird viel zu selten gut mit Targeting gearbeitet.

Adzine: Aber Retargeting passt nicht zu Branding-Kampagnen.

Reza Malek: Nein. Das passt nur zu Kampagnen mit konkreter Call to Action. Behavioural Targeting ja, Retargeting nicht.

Adzine: Wie viel Prozent aller Neo@Ogilvy-Budgets fließen in Search, wie viel in Display?

Reza Malek: Das ist für uns als internationale Agentur eine gemeine Frage. Wir sind insgesamt klar stärker im Display, mit unseren globalen Kunden. Die teilen dann das Budget meistens auf und vergeben manchmal zum Beispiel Search an andere. Wobei ich das eigentlich für falsch halte. Jeder Kanal zahlt doch auf den anderen ein. Denken Sie an Klassik. Ohne Klassik funktioniert Performance doch gar nicht. Legen Sie mal den TV-Mediaplan einer Kampagne neben ihren Monitor und betrachten Sie die Suchvorgänge und Klickraten. Nach einem TV-Spot sind sie doppelt so hoch. Die digitale Werbung kann heute noch nicht aus eigener Kraft leben. *Social wäre ein weiterer spannender Kanal. Finden Sie? Ich halte das für eine große Blase. Ich habe noch keine Kampagne gesehen, die wirklich viel Nutzen aus Social Media gezogen hat. Klar: Mit einer hervorragenden Strategie und einem guten Redaktionsteam kann man diesen Kanal im Moment sehr gut bedienen, aber das ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Die sozialen Netzwerke sind eben auch ein Platz für intensive Kritik an Marken und Unternehmen und dafür muss man bereit sein. Die wenigsten deutschen Unternehmen sind dazu bereit. Für uns sind in allererster Linie Display und Search wichtig. Und Mobile. Eben alles, wo der Kunde Interaktion erwartet.*

Reza Malek steht Facebook als Werbeträger kritisch gegenüber

Adzine: Wie entwickeln sich die Budgets der Kunden?

Reza Malek: Sie steigen, aber nur langsam. Dabei sind die CPC-Kosten in den letzten Jahren stark angestiegen. Das können sie auch, weil SEM nach wie vor gut funktioniert. Da liegt derzeit viel ungenutztes Potenzial brach. Kunden, gebt mir mehr Geld!

Viele halten an einem statischen Share zwischen Search und Display fest. Das ist aber Unsinn. Entscheidend ist das jeweilige Kampagnenziel. Da muss man flexibel agieren. Aus dem Alter sind wir raus.

Adzine: Ein Wort zur Mediaplanung. Was leisten die Ad Networks für Sie als Agentur?

Reza Malek: Das hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Früher war die Blindbuchung ja verpönt, die Unternehmen hatten Angst davor. Das ist heute nicht mehr so. Die Networks arbeiten sehr effizient, besonders die mit IASH-Zertifikat.

Adzine: Wünschen Sie sich Selbstbuchungssysteme?

Reza Malek: Sie sprechen auf das Thema Realtime Bidding an? Klar wünschen wir uns zusätzliche Möglichkeiten. Ich weiß auch von einigen Kollegen, dass die intensiv an dem Thema arbeiten. In den USA ist das ja bereits sehr spannend. In Deutschland noch nicht, aber das kommt.

Adzine: Zurück zu Display. Wie steht es um das Phänomen Bannerblindness?

Reza Malek: Um was? Was mich derzeit umtreibt, ist viel eher, ob meine Banner im sichtbaren Bereich angezeigt werden oder ob die User dahin scrollen. Wir bezahlen auf vielen Plattformen nach TKP. Da ist das schon sehr wichtig. Die smarten Adserver können das tracken und hier entsteht ein spannendes Differenzierungsmerkmal im Adserver-Markt. Das halte ich für ganz wichtig.

Adzine: Gibt’s im Bereich Werbemittel spannende Neuigkeiten?

Reza Malek: Aus meiner Sicht nicht. Die Inhalte sind entscheidend. Und natürlich der Call to Action. Inzwischen haben wir gelernt, dass wir die Nutzer auch bei schön gestalteten Bannern zum Handeln auffordern müssen. Meine restlichen Geheimnisse verrate ich nicht.

Adzine: Verkaufen Sie Ihren Kunden Gutscheinaktionen auf Groupon?

Reza Malek: Nein. Ganz ehrlich? Ich habe selbst vorgestern meinen Groupon-Newsletter abbestellt. Das nervt mich. Bevor ich im Restaurant 9 statt 10 Euro bezahle und dafür mit so einem Gutschein rumfummeln muss, bezahle ich lieber normal. Groupon ist ein sehr amerikanisches System.

Adzine: Verraten Sie uns zum Schluss noch, was Sie zurzeit umtreibt. Wo gibt es Probleme im Markt für Performance-Marketing, auch aus BVDW-Sicht?

Reza Malek: Ich sehe drei Problemfelder. Das erste ist der Datenschutz. Das ist immer noch viel zu intransparent. Wer erhebt welche Daten und was geschieht damit. Bei den deutschen Agenturen sind die Daten zwar weitgehend sicher, aber die Kunden haben keinen Einblick in die Prozesse. Der BVDW arbeitet da sehr stark dran.

Zweitens verstehe ich nicht so richtig, warum das IAB neue Relevance Sets für Werbebanner rausgibt und die deutschen Vermarkter die nicht adaptieren bzw. pauschal abgelehnt haben.

Das dritte und größte Problem im Performance-Marketing ist gefährliches Halbwissen. Wenn ich Performance-Marketing mache, zahlt doch auch das auf eine Marke ein. Viele da draußen wissen nicht wirklich, was sie tun.

Adzine: Herr Malek, vielen Dank fürs Gespräch.

Bild Frank Puscher Über den Autor/die Autorin:

Frank Puscher arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist in der Online-Branche. Er schreibt regelmäßig für Publikationen wie ADZINE, InternetWorld Business, Ct, Internet-Magazin oder die Absatzwirtschaft. Seine Lieblingsthemen sind Usability, E-Commerce und Online-Marketing. Seit 12 Jahren arbeitet Puscher außerdem als Moderator auf Online-Veranstaltungen. Außerdem berät er Unternehmen und öffentliche Institutionen im Umgang mit Online-Marketing und Social Media.

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