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Abonnenten werden immer wichtiger

Sandra Goetz, 31. März 2011

Der deutsche Zeitungsmarkt ist noch immer der größte Europas und der fünftgrößte weltweit hinter Indien, China, Japan und den USA. Über 60 Prozent aller deutschen Tageszeitungen werden im Abonnement erworben. Bei den Publikumszeitschriften sind es laut IVW 48,98 Mio. (Quartal 4/2010). Die Verlage stehen dabei unter gewaltigem Druck. Sie kämpfen gegen einen rückläufigen Anzeigenmarkt und für jeden zahlenden Kunden.

Neue Wege müssen und wollen erschlossen werden, will man sein Produkt nachhaltig verkaufen. Schließlich sind „die Zeiten vorbei, als es reichte, Inhalte zu drucken, die den Lesern verkauft werden. Und diese Leser wiederum verkauften sie der Werbung treibenden Wirtschaft. Im Zeitalter von Internet und Digitalisierung funktioniert das allerdings nicht mehr ganz so“, sagt Pressereferentin Anja Pasquay vom BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger). Genau genommen funktioniert es so schon seit Jahren nicht mehr. Und das ist auch der Grund, warum die New York Times nach 2007 jetzt den zweiten Versuch startet, aus dem Gratisangebot auszuscheren und ihre Online-Inhalte über Abos zu monetarisieren.

Mit der Paywall, der Bezahlmauer, werden seit dem 29.03.2011 die Leser zur Kasse gebeten. Waren 2007 nur 50 Dollar für ein ganzes Jahresabo fällig, wurde die Preisstruktur den aktuellen Gegebenheiten angepasst, um „in die Zukunft zu investieren“, wie Herausgeber Arthur Sulzberger seine Leser wissen ließ. An der New York Times ist gut zu ersehen, welche Abomöglichkeiten es jenseits der Klassik gibt.

- Digital-Webseite-Smartphone-App: Wer die Zeitung künftig im Netz und App auf dem Mobiltelefon unbegrenzt nutzen will, zahlt 3,75 Dollar die Woche und 15 Dollar monatlich.

- Digital-Webseite-Tablet-App: Im Netz und auf dem Tablet kostet das gute Stück 5,00 Dollar pro Woche und 20,00 Dollar monatlich.

- Kompletter Digitalzugang: Webseite, Smartphone und Tablet gibt es für 8,75 Dollar wöchentlich und 35,00 Dollar monatlich.

- Die App mit Top News ist (noch) kostenlos.

Abonnenten der Print-Edition erhalten die Digitalzugänge als kostenloses Add-on. Auch wenn es schon jetzt im Internet zu Dutzenden Tipps gibt, wie die Paywall der Zeitung zu umgehen ist, ein kanadischer Entwickler gar die zwischen 40 und 50 Millionen Dollar teure Paywall mit wenigen Codezeilen knackte, hat die Zielrichtung der New York Times eine Signalwirkung. Man will die regelmäßigen Leser zum Bezahlen animieren und iPad-Lesern die eigene App schmackhaft machen. Einem solchen Modell könnten andere Zeitungen auch folgen.

Wolfgang Fürstner

Ausscheren oder mitmachen?

Als ein Vorreiter in Deutschland darf die Financial Times Deutschland der G+J Wirtschaftsmedien gelten. Allerdings in anderer Hinsicht: Die FTD ist aus dem rigiden Apple-iTunes-Universum ausgestiegen, um sich nicht allein die Unabhängigkeit, sondern ebenso die Hoheit über Kunden zu bewahren. Bekannterweise hat Apple entschieden, „dass Verlage ihre Apps praktisch nur im Apple-Store anbieten dürfen. Dies nimmt den Verlagen ihren Kontakt zum Endkunden. Dass sie obendrein per Ordre de Mufti 30 Prozent der Umsätze an Apple abführen müssen, zeigt, dass das Prinzip von Angebot und Nachfrage, die Marktwirtschaft, hier nicht mehr funktioniert, vor allem zulasten durchweg mittelständischer Verlage, die nicht ‚Vollzugsbeamte‘ von Großunternehmen werden dürfen“, sagt Wolfgang Fürstner, Hauptgeschäftsführer des VDZ.

Bestätigung erhält Fürstner von Joachim Haack, Sprecher G+J Wirtschaftsmedien: „Man kann sein Geschäft nicht aus der Hand geben. Es darf nicht sein, dass wir eine hohe Provision zahlen und dann keine Kundeninformationen bekommen. Erst wenn das digitale Profil des Kunden bekannt ist, können wir diesem – wenn er einverstanden ist – auf ihn zugeschnittene Angebote digitaler Art unterbreiten.“ Mitte bis Ende April soll die FTD-iPad-Version auf den Markt kommen. Ebenso wird unter Hochdruck an der Produktentwicklung für Android-Handys gearbeitet. Ein Geschäftsmodell wie die New York Times hat die FTD allerdings nicht im Visier. „Ich sehe Parallelen, dass es Bezahlschranken geben soll. Diese werden allerdings sehr viel abgestufter ausfallen. Wir haben bereits einige kostenpflichtige Angebote, die sehr gut genutzt werden. Print-Abonnenten haben dabei Zugriff auf fast alle Angebote“, sagt Haack.

Joachim Haack

Heiße Ware

Auf die Frage, wie Abos am besten verkauft werden, kann es für Joachim Haack allerdings keine Standardantwort geben. „Die Frage ist, wo wir die Menschen finden. Die klassische Beilagenwerbung in Printtiteln ist nach wie vor ein beliebtes Mittel. Erfolgreich ist ebenfalls das Abomailing verbunden mit einer Umfrage. Das funktioniert sowohl on- als auch offline. Natürlich wird auch crossmedial geworben.“ Die internetaffine Leserschaft der FTD führt dazu, dass „viele Abo-Abschlüsse online“ getätigt werden. „In einem viel stärkeren Maße als bei Capital oder impulse“, sagt Haack. Die besten Ergebnisse werden hierbei genreübergreifend bei Probeabos und Abos mit kurzen Laufzeiten erzielt. Der Verkauf über Incentives, wie beispielsweise fernlenkbare Hubschrauber, ist diffizil. „Die Menschen wollen sich heutzutage nicht langfristig an ein Produkt binden. Auch dann nicht, wenn sie dafür eine hochwertige Sachprämie oder Geld erhalten“, weiß Medienprofi Haack.

Die Klaviatur des Abomarketings beherrscht nach wie vor der Spiegel in Reinkultur. Im Aboshop wird Europas größtes Nachrichtenmagazin als Mini-, Studenten-, Halbjahres- und Jahresabo beworben. Zur weiteren Auswahl gibt es das Prämien-Abo 1 Jahr, Prämien-Abo 2 Jahre, das Geschenk-Abo, das Auslands-Abo und der Spiegel als E-Paper. „E-Mailings, Bannerwerbung und Affiliate-Programme gehören selbstverständlich ebenso zur Bewerbung und Generierung von Kunden“, sagt Birgit Holtz aus dem Bereich Abomarketing.

Ob Spiegel, Zeit, FTD, Handelsblatt, FAZ, Welt-Gruppe, Fokus, Vogue oder Brigitte und Bunte – die Verlage werden digital immer dynamischer, um „mit Strategien die contentnahen Websites auszubauen, die Geschäftsmodelle zu diversifizieren und das E-Publishing ganz nach vorne zu stellen“, erklärt Wolfgang Fürstner. Ein gutes Beispiel ist der neue E-Kiosk pubbles. Ein verlagsübergreifendes Angebot von den Bertelsmann-Töchtern Direct Group und DPV Gruner + Jahr.

Dieses umfasst elektronische Inhalte von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern. Zum pubbles-Start während der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2010 hatte pubbles nur 3.000 Bücher und 12 Zeitungen im Angebot. Fünf Monate später sind es 30.000 Bücher und 63 Zeitschriften und Zeitungen – Tendenz weiterhin steigend. Dabei können sowohl einzelne Titel gekauft als auch Abonnements abgeschlossen werden. Beworben wurde pubbles mit einer kleinen Startkampagne sowohl in Print als auch Online, in Facebook, Twitter & Co. Die Agentur Kolle Rebbe zeichnet dafür verantwortlich. Der digitale Kiosk ist über Smartphones, Tablet-PCs, E-Reader und die Homepage erreichbar. Im Tablet-Bereich können derzeit nur iPad-Besitzer das Angebot nutzen, an einer Android-Version wird noch gearbeitet.

Dauerbaustelle Multiplattform?

Fakt ist: Anfang dieses Jahres hatten bereits die Hälfte der deutschen Zeitschriftenverlage kostenpflichtige Apps. Laut einer Vorlage der Strategieberatung OC&C mit dem Namen „iPad & Co. – Die Rettung der Verlage (?)“ wollen bis zum Jahr 2013 71 Prozent kostenpflichte Apps anbieten und 49 Prozent für andere Tablets. Gratis sollen nur noch 17 Prozent für Apple und 16 Prozent für Android zur Verfügung stehen. Dummerweise ist die Nutzerzufriedenheit mit den Medien-Apps im Vergleich zu anderen kostenpflichtigen Top-Apps noch sehr gering. Als negativ wird bewertet, dass sich die Preisstruktur der Medien-Apps an den Print-Preisen orientiert. Hier gibt es also noch viel zu tun, um den User zu überzeugen, sich ein digitales Medienabonnement zu holen.

Matthias Wulff

Eine weitere „Dauerbaustelle“ dürften die Multiplattformen sui generis sein. Dass Print allein nur noch vereinzelt überlebensfähig ist, ist obsolet. Dass Tablet-Angebote allein nicht ausreichen, ebenso. Es geht also nur gemeinsam und die Hoffnung heißt: neue Zielgruppen, neue Erlösquellen, keine Kannibalisierung. Doch dafür braucht man vor allem eines: Zahlen. Wann liegen in Deutschland Zahlen vor, die eine gute Kampagnenplanung für digitale Abowerbung überhaupt erst möglich macht? „Es gibt Studien, die besagen, dass Anzeigen in digitalen Angeboten auf dem iPad eher gelesen werden“, sagt Matthias Wulff von pubbles. „Ich denke, dass wir hier noch ganz am Anfang stehen, nicht nur in Deutschland. Die Leute haben die Geräte noch nicht, der Markt muss sich noch finden und Studien sind selten neutral.“ Im Sinne des Kunden ist zumindest eines klar wie Kloßbrühe: Das Angebot muss sexy sein – und transparent hinsichtlich der Kosten. Wenn das gegeben ist, dann zahlen die User auch für digitale Medienangebote. Und nehmen das Vollabo. Denn: Es gibt nichts Schöneres als Multiplattform.

Bild Sandra Goetz Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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