Fragen an den Experten – im TV oder Radio seit Jahren ein bewährter Weg, um im Namen der Marke Sachverstand zu demonstrieren. Nun entsenden die ersten Unternehmen ihre Experten in das Social Web, um sich dort den kritischen Fragen der Crowd zu stellen. Branding-Effekte nicht ausgeschlossen – vorausgesetzt, Diskussionsforum und -gegenstand harmonieren miteinander.
50 User-Fragen in eineinhalb Stunden – die Premiere der Expertensprechstunde ist gelungen, jubelt Stephan Roppel, Geschäftsführer der Ratgeber-Community Gutefrage.net: „Vor allem die Anzahl, Vielfalt und Qualität der Fragen haben die Erwartungen übertroffen.“ Ende Januar hatte CortalConsors erstmalig eine Online-Sprechstunde Gutefrage.net abgehalten und Anlagetipps gegeben.
Nun will die auf Online-Brokerage und Vermögensaufbau spezialisierte Direktbank bis April in sieben weiteren Sprechstunden Community-Nutzer per Live-Chat beraten und auch nach Ablauf der Sprechzeit auf dem Ratgeberportal zur Verfügung stellen. Der erhoffte Effekt: ein direkterer Zugang zur Zielgruppe. Und nicht zuletzt auch die Erschließung neuer Zielgruppen, erklärt Rolf Lange, Leiter der Kundenberatung bei Plan.Net, die die Kampagne für die Direktbank umgesetzt hat. Die Aktion findet derzeit ausschließlich auf Gutefrage.net statt. Schließlich suchen die User hier gezielt nach Antworten und Expertentipps zu den verschiedensten Themen. Die Ratgeber-Community bietet den Unternehmen neben der Premiumpartner-Seite mit Informationen und Links Teaserplatzierungen, die auf die Aktion verlinken. Etwa eine Woche vor der Sprechstunde wird diese zudem auf der Homepage von Gutefrage.net beworben. „Im Social Web erreichen wir Nutzer, die wir über Above-the-Line-Maßnahmen nicht erreicht hätten.“ Die Aktion ist „ein Baustein unserer Social-Media-Strategie für 2011, die auch unsere Brandingaktivitäten online unterstützt“, erklärt Stefanie Nordemann, E-Commerce-Leiterin bei CortalConsors.
Bedürfnis- und Dialogorientierung: Fehlanzeige
Damit gehört die Direktbank immer noch zu der Minderheit der Unternehmen, die ihre Social-Media-Aktivitäten strategisch angehen und im Unternehmen verankern. Denn auch rund drei Jahre, nachdem das Social Web auch hierzulande in Unternehmenskommunikation Einzug gehalten hat, sind die Ergebnisse für die Mehrheit der Nutzer eine Enttäuschung, hat eine Studie des Brand Science Institute (BSI) ermittelt. Demnach gehen Unternehmen im sozialen Web zu wenig auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ein. Drei Viertel der Nutzer beklagen eine mangelnde Dialogorientierung und den geringen Service bei Facebook und Twitter. 83 Prozent empfinden die Unternehmensaktivitäten sogar als Werbung. Mehr als die Hälfte (58 Prozent) nutzt die neuen Kommunikationskanäle bereits für Fragen, Beschwerden oder Anregungen. Fast zwei Drittel (61 Prozent) sind unzufrieden, da die Unternehmen nicht auf ihre Belange eingegangen seien. Jeder Zweite (47 Prozent) erhielt eine unzureichende Antwort. In vielen Fällen hätten die Unternehmen einfach auf Serviceabteilungen verwiesen.
Damit führen Unternehmen den Gedanken des Social Web ad absurdum: Sie kommunizieren an einem Ort mit dem Kunden, wo er einen direkten Dialog erwartet, um dann zu einer Unternehmensstelle umgeleitet zu werden. Die Botschaft an den Kunden ist dabei unmissverständlich: Hier wirst du nichts Qualifiziertes von mir erfahren. Die Gründe für ein solches allzu häufiges Verhalten haben die Berater von Mücke, Sturm & Company auf Basis von Daten der Hochschule St.Gallen ermittelt: Unternehmen befürchten, dass sie das Potenzial nicht ausschöpfen und Projekte umsetzen können. Es fehlt an personellen Ressourcen, Zuständigkeiten sind nicht geklärt, die Angst vor Kontrollverlust bremst eine strategische Herangehensweise aus. Dabei sind die Erwartungen der Nutzer an die Echtzeitkommunikation mit Unternehmen gar nicht so hoch, wie oft befürchtet. Nicht einmal jeder Fünfte (18 Prozent) erwartet eine Realtime-Betreuung zwischen 7 und 23 Uhr. 44 Prozent möchten innerhalb von drei Stunden eine Antwort auf ihre Frage, 13 Prozent reicht eine Rückmeldung nach mehr als fünf Stunden, hat das BSI herausgefunden.
Wer fragt, verlangt auch Antworten
Eine Aktivität in Social Media bringt bei Nutzern eine klare Erwartungshaltung und konkrete Aufgaben für das Unternehmen mit sich, erklärt Rolf Lange: „Die Aktion bei Gutefrage.net hatte in erster Linie wenig mit Marketing zu tun. Zwar bauen wir eine Marke so auf, aber Social Media ist vor allem ein Supportkanal. Hier werden konkrete Fragen zu speziellen Themen beantwortet. Und da spielen dann ganz andere Abteilungen mit rein: das Produktmanagement, der Support.“ Denn kein Marketing-Q&A hätte Nutzer „konkludent“ sonst die Frage beantworten können, ob und warum es sich lohnt, in einen bestimmten Fonds zu investieren. Hinzu kamen im Durchschnitt laut Stephan Roppel bei jeder Sprechstundenfrage noch fünf Nutzerantworten.
Alles richtig gemacht also, lobt auch Branchenkollege Ben Ellermann, Teamleiter Portal und PR bei der Basecom GmbH, Betreiber von Stayblue, unter dessen Dach sich bundesweit 396 Regional-Communitys vereinen. „Expertengespräche sind für Gutefrage.net ein hervorragendes Interaktionsmedium, weil sie die Hauptfunktionalität der Special Interest Community, das gegenseitige Beantworten von Fragen, aufgreifen.“ Deswegen schätzt er den Branding-Effekt hier sehr hoch ein. Doch diese Form des Dialogs eignet sich längst nicht für jede Zielgruppe und Marke. Kein Thema beispielsweise für die Lokalisten, winkt Geschäftsführerin Stefanie Waehlert ab: „Bei uns geht es mehr um Flirt, Gaming und Kommunikation untereinander, aber auf einer anderen Ebene.“
Auch Stayblue hat für sich eine andere Methode zur Interaktion entwickelt. Dem regionalen Charakter seiner Communitys entsprechend will Stayblue „unterhaltsame Beteiligungsmöglichkeiten schaffen, die auch offline in den Regionen des Netzwerks erlebbar sind“. So lässt die Regional-Community beispielsweise Nutzer darüber abstimmen, welche neue Attraktion in einem Freizeitbad gebaut wird. „Interaktionsformen, die Verbindungen zwischen den Stayblue-Communitys und dem Offline-Leben ihrer Nutzer herstellen, haben die für uns optimalen Branding-Effekte“, schwärmt Ellermann.
Die Einsatzbereiche von Kommunikation in sozialen Netzwerken reichen von DAX-Konzernen mit eigener Facebook-Fanpage bis zum KMU in Regional-Communitys und belegen einen Trend: Die Kommunikation im Web wird kleinteiliger, der Nutzer will Informationen schnell und unmittelbar aus erster Hand. „Eine Seite wie die der Lufthansa (http://www.facebook.com/lufthansa) nützt Unternehmen zu einer einzigartigen Kommunikation mit ihren Kunden – vermutlich auch, weil Facebook-Nutzer dort Informationen ‚firsthand‘ erfahren“, erklärt Facebook-Sprecherin Tina Kulow.
Marketingbrille absetzen
Unternehmen und Marken, die den Schritt in soziale Medien wagen, tun dies meistens aus Angst vor Relevanzverlust. Doch die meisten wissen eigentlich nicht wirklich, was sie dort konkret wollen. „Deshalb beraten wir unter Umständen sehr defensiv und raten den Unternehmen, sich vorab folgende Fragen zu stellen: Was und wen wollen wir erreichen? Wo stecken die Gefahren? Wie reagiere ich darauf?“, betont Berater Rolf Lange. Kommunikation über soziale Medien lebt von ihrer fachlichen Kompetenz und Authentizität und dem ständigen und langfristigen Engagement. Der Dialog mit Stakeholdern kostet Zeit, die in der Regel nicht vom Alltagsgeschäft abgezweigt werden kann. Außerdem geht es ja um Kommunikation. Entsprechend sieht jedes zweite Unternehmen die übergeordnete Verantwortung für Social Media in der PR-Abteilung. Die aber ist nicht unbedingt prädestiniert dafür, zu chatten.
Denn Stakeholder wollen mit Fachleuten sprechen. Vor allem in der B2B-Kommunikation wird Fachdialog verlangt. Das bedeutet: Die PR übernimmt eher die Aufgabe eines Enablers, der andere Unternehmensbereiche kommunikativ coacht und koordiniert. Denn Fachabteilungen wiederum haben zwar das inhaltliche Know-how, können aber die Wirkungsweise von Kommunikationstools nicht einschätzen.
Dass sich durch Social Media die Unternehmenskommunikation vermenschlicht und personalisiert, bedeutet auch, öfter mal die Marketingbrille abnehmen zu müssen. Denn im Dialog mit Stakeholdern geht es zunächst nicht darum, Marketingbotschaften zu platzieren, sondern offen, kompetent und authentisch zu kommunizieren. Der positive Marketingeffekt stellt sich dann schon fast automatisch ein, wenn der zufriedene Nutzer sich bei nächster Gelegenheit als Markenbotschafter mit Freunden, Bekannten oder Kollegen zu dem Thema austauscht und seine Erkenntnisse viral verbreitet – egal ob man Lufthansa heißt und knapp 170.000 Freunde auf Facebook zählt oder Osnabrücker Stadtwerke, die über regionale Communitys über Rutsche oder Welle abstimmen lassen.
Entsprechend entdecken auch immer mehr Branchen diese Form des Kundendialogs für sich. Zum Thema Beruf beispielsweise haben schon Experten der Studiengemeinschaft Darmstadt auf Gutefrage.net beraten. Weitere Aktionen für Kunden aus den Themenbereichen Reise, Gesundheit und Finanzen sollen folgen.