Mobile World Congress 2011 – Das Handy wird zum digitalen Zauberstab
Axel Hoehnke, 24. Februar 2011Den 65.000 Besuchern, darunter 3.000 Geschäftsführer aus mehr als 200 Ländern, wurde in Barcelona auf dem Mobile World Congress 2011 wieder viel geboten: Neben dem Stand der mobilen Technik waren es in diesem Jahr vor allem auch die Präsentationen der Konzernchefs von Google, HTC, HP, Microsoft, Nokia, NTT Docomo, RIM, Yahoo und WPP. Doch wirklich beherrscht hat Barcelona nur ein Thema, die neue Partnerschaft von Nokia und Microsoft.
Mobile is where the scale is. This is where the growth is!
Der Google CEO Eric Schmidt brachte es auch zu diesem Mobile World Congress 2011 auf den Punkt: „Mobile is where the scale is. This is where the growth is!“ Mobile Geräte werden inzwischen häufiger verkauft als klassische Computer und verlagern das Internet vom Schreibtisch in die Hand der Nutzer. Daraus entstehen gänzlich neue Anwendungen und Möglichkeiten. Laut Mary Meeker vom US-Investmenthaus Kleiner Perkins erlebt die Technikwelt ihren bisher tiefsten Umbruch: „Diese neue gewaltige Technologie wird jede andere Industrie transformieren.“ Das mobile Internet – jederzeit und überall – ist heute eine Selbstverständlichkeit. Dazu Eric Schmidt: „Bill Gates’ Vision: ‚Information at your fingertips‘ war richtig! Es brauchte nur 20 Jahre, bis wir diese Vision auch umsetzen konnten.“ Google gab zum Teil gigantische Einschätzungen zum Marktpotenzial einzelner Branchen heraus. Dennoch hatte man den Eindruck, dass Eric Schmidts Optimismus sich im Vergleich zum Vorjahr etwas abgekühlt hatte.
Microsoft & Nokia
Aber vielleicht lag das ja auch an ganz anderen Gründen. Denn kurz vor der Messe schlug die Bombe ein: Laut Nokia CEO Stephen Elop stünde sein Unternehmen in Flammen und die Herausforderung gleiche einer brennenden Öl-Plattform. Der weiße Ritter in Gestalt von Stephen Elops ehemaligen Arbeitgeber war dann aber schnell gefunden: Microsoft mit seinem neuen Betriebssystem und einem atemberaubenden Quartalsergebnis stünde bereit, um die Lücken in Nokias Betriebssystemen zu füllen. Im Gegenzug erhalten die Nokia Divisionen Navteq bzw. Nn4d Einzug in die Microsoft-Plattformen. Zur Erklärung: Navteq ist weltweit führend im Bereich Digitale Karten und war Nokia im Jahr 2007 sportliche 5,7 Mrd. € wert. Erstklassiges Kartenmaterial ist die erfolgskritische Voraussetzung für nahezu alle Formen von Location Based Services und gilt damit als Schlüssel zum regionalen Werbemarkt bzw. gezielt geografisch angepassten Diensten.
Dennoch herrscht in Finnland Unruhe, denn die Brandrede des Nokia CEO war ein deutlicher Weckruf an das eigene Unternehmen und versprach eine unsichere Zukunft für das nokiaeigene Betriebssystem Symbian. Dies sei „… auf Talfahrt und noch keine zündende Alternative in Sicht “– zudem bestünde nur die zweifelhafte Hoffnung, mit dem Betriebssystem MeeGo von Intel eine zukunftsweisende Software für Mobile Devices zu entwickeln. Dies ist umso dramatischer, da sich der „Krieg der Endgeräte“ mittlerweile zu einem „Krieg der Ökosysteme“ entwickelt hat und Nokia zwei erfolgskritische Säulen fehlen. Die perfekte Ergänzung findet Nokia nicht in Android (wie es Eric Schmidt laut eigenem Bekunden gerne gesehen hätte), sondern in der Partnerschaft mit Elops ehemaligem Arbeitgeber Microsoft. Eine gute Wahl, wie der gemeinsame Auftritt von Steve Ballmer und Stephen Elop vermitteln soll.
Das Bündnis Microsoft & Nokia verfügt über ein schlagkräftiges Portfolio
Microsoft hat eine treue Basis von Windows-Entwicklern, die auch in der Lage sind, gute und kommerziell attraktive Applikationen (Apps) zu schreiben. Davon ist Nokia weit entfernt. Den Einstieg in den Consumer-Markt hat sich Microsoft mit seiner Xbox über Jahre teuer erkauft, Nokia hat hier die internationalen Mobil-Massenmärkte fest im Griff. Laut Elop sind die „Emerging Markets“ für Nokias Zukunft von höchster Priorität: „80 % der Menschen leben weltweit im Versorgungsbereich digitaler Netze – jedoch nur 20 % der Menschen haben Zugang zu diesen Netzen.“ Man mag über die Geräte der Series 30 oder Series 40 hierzulande schmunzeln. Für Milliarden Menschen können diese Geräte den überlebensnotwendigen Anschluss an die digitale Welt bedeuten.
Microsofts Stellung im Geschäftskundensegment ist exzellent, da die Windows-Betriebssysteme und Office-Anwendungen dort den Standard definieren. Im Werbemarkt hat Microsoft Advertising sein Portfolio um die Search-Technologie erweitert und bietet unmittelbaren Zugang zu den Werbebudgets. Auch im Geräteportfolio ist kein Wettbewerber so komplett aufgestellt wie Microsoft und Nokia: Vom einfachen Feature Phone bis zum Top-End-Smartphone ist im vereinten Portfolio nahezu alles vorhanden, was Privat- oder Geschäftskunden in den hoch entwickelten Märkten – aber eben auch in den Wachstumsmärkten nachfragen. Mit den Kartendiensten von Navteq werden Microsoft und Nokia aus meiner Sicht zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber für Google.
Vergleich der Ökosysteme
Microsoft unterhält eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Dagegen ist Android primär noch eine Allianz aus Google und vielen Hardwareherstellern. Der Android-Messestand war dementsprechend darauf ausgerichtet, ein reichhaltiges Ökosystem von Content-Partnern im Umfeld des grünen Androiden zu dokumentieren.
Apple fehlte in Barcelona. Die Firma ist der gegenwärtige Champion im Privatkundensegment und hat ein bestens integriertes Portfolio. Der Schwachpunkt ist die Akzeptanz im Geschäftskundensegment. Denn noch wehren sich IT-Abteilungen dagegen, Apple-Hardware in großer Zahl in die Unternehmens-IT zu integrieren. Dies dürfte dann noch schwieriger werden, sobald die Champions des Geschäftskundensegments eigene attraktive Lösungen anbieten. Neben HP, Intel und Cisco gehört dazu vor allem auch Research in Motion (RIM). Intel setzt eher auf den Embedded statt auf Verbrauchermärkte. Der Intel CEO Paul Otellini kündigte dazu noch in diesem Jahr erste Geräte an.
Mobile Gerätschaften & Inhalte
RIM plant noch 2011 zwei weitere Modelle seines Playbook-Tablets für das Geschäftskundensegment, um dort gegen auf Android basierende Tablets von Samsung, Motorola, Sony Ericsson und HTC anzutreten. Das Motorola Xoom inkl. Honeycomb/Android 3.0 gefiel mir sehr gut. Dennoch wird sich erst noch zeigen, ob sich diese Geräteklasse nachhaltig am Markt etablieren kann. Die Präsentationen in Barcelona haben diesen Beweis sicher noch nicht geleistet. HTC veröffentlichte zwei auf dem Android-System basierende Smartphones inkl. Facebook Branding. Das HTC Salsa und das HTC ChaCha bieten eine tiefe Integration zu Facebook inkl. Kalendersynchronisation, Statusaktualisierung und der Möglichkeit zum einfachen Austausch von Bildern und Musik.
HTC reagiert damit auf die Initiative des Herstellers INQ, der ebenfalls einige auf Android basierende Handys mit Facebook-Integration vorgestellt hat. Auch Gemalto, ein bisher im Bereich SIM-Karten bzw. Digitale Sicherheit etablierter Anbieter, versucht, von der großen Facebook-Reichweite zu profitieren, und hat den Zugang zur Social-Plattform auf seinen SIM-Karten implementiert. Jedes SMS-fähige Endgerät kann dadurch auf der Facebook-Plattform Nachrichten hinterlassen und erschließt das Netzwerk für die Besitzer von einfachen Feature Phones.
Eine attraktive Smartphone-Plattform braucht eine Auswahl an Apps, die für den Konsumenten attraktiv und für den Entwickler profitabel sind. Die App Planet Area ist dafür auf dem MWC der zentraler Treffpunkt für die App Entwickler und den Vertretern der Industrie. Um die dazu notwendige Zusammenarbeit zwischen den Developern, Vermarktern und Plattformbetreibern voranzutreiben, haben HP, IMGA, Microsoft, Nokia, RIM, Samsung, WAC u. a. eigene Developer-Programme aufgelegt. Mittlerweile etabliert haben sich dazu die Mobile Premier Awards (MPA), die auch vom MobileMonday Germany e. V. unterstützt werden.
Ausblick 2013
Die Ausrichtung des Mobile World Congress wird ab 2013 neu vergeben. Im Rennen sind der aktuelle Veranstalter Barcelona und Paris, Mailand und München. Trotz des im Frühjahr üblicherweise sehr verlockenden Wetters in Barcelona drücke ich eindeutig München die Daumen. Denn neben den jungen Mobile-Messen, wie den Frankfurter M-Days und der im Oktober 2011 erstmals stattfindenden Hamburger Konferenz MxO, wäre ein Mobile World Kongress in Deutschland ein fantastisches Signal für die Wirtschaft. Wie sagte Mary Meeker: „Diese neue gewaltige Technologie wird jede andere Industrie transformieren.“ Es wäre schön, wenn Deutschland diese fundamentale Veränderung von der Spitze aus steuern könnte, anstelle nur als gern gesehener Gast an der Reise teilzunehmen.
Über den Autor
Axel Hoehnke berät seit 2002 Technologiefirmen bei deren Einstieg in neue Absatzmärkte. Sein beruflicher Werdegang führte ihn über Stationen beim Süßwarenriesen Mars, dem deutschen Pay-TV-Unternehmen Premiere und Microsoft Advertising. Er leitete die Aktivitäten des Electronic & Mobile Business der finnischen elisa-Group in Deutschland. Hoehnke ist Gründer und Repräsentant des Hamburger MobileMonday Chapters.
Über MobileMonday
MobileMonday (momo) wurde im Jahr 2000 gegründet und vereint weltweit Innovatoren, Entwickler und Unternehmen der mobilen Branche in mehr als 100 Metropolen. Der MobileMonday soll den globalen Technologietransfer und eine barrierefreie Zusammenarbeit fördern. Im Februar 2011 vereint der deutsche momo-Verbund mehr als 3800 Mitglieder aus Agenturen, Industrie- und Medienunternehmen, die sich bundesweit zu gut 25 Konferenzen treffen. Die nächsten Termine des Hamburger Chapters sind beispielsweise: Mobile Healthcare am 04.04.2011 und Mobile Retail am 30.05.2011.