Online-Werbung und -Recht – Was war 2010, was wird 2011?
Martin Schirmbacher, 16. Dezember 2010Zwei Spezialthemen des Online-Marketings überragten im Jahre 2010 alle anderen Rechtsprobleme der Online-Werbung deutlich: Für Shopbetreiber brachte das abgelaufene Jahr eine ganze Reihe von meist nachteiligen Gerichtsentscheidungen. Eine Vielzahl von Gerichtsurteilen drehte sich zudem um das Suchmaschinenrecht, also SEM, SEO und die Preissuche. In anderen Bereichen, dem Domainrecht, verschiedenen Online-Werbeformen, Affiliate-Marketing und der E-Mail-Werbung war es dagegen vergleichsweise ruhig.
Online-Shops
Rückblick
Online-Shopbetreiber hatten auch 2010 aus rechtlicher Sicht schwere Zeiten zu durchstehen. Nicht nur, dass sich das Gesetz immer wieder und in gefühlt immer kürzeren Abständen ändert, was zu erheblichem Anpassungsbedarf führt. Auch die Gerichte meinten es nicht gut mit den Händlern und stellten sich meist auf die Seite der Verbraucher.
Der Europäische Gerichtshof hat beispielsweise entschieden, dass die Kosten für den Versand der bestellten Ware zum Verbraucher stets vom Händler zu tragen sind, falls der Verbraucher den Vertrag widerruft.
Der BGH hat in Folge einer anderen EuGH-Entscheidung bestätigt, dass ein Händler einen erheblichen Wertverlust der Ware nur dann vom Verbraucher erstattet bekommen kann, wenn dieser die Ware deutlich intensiver genutzt hat, als dies zum Ausprobieren erforderlich ist. Tritt der Wertverlust – wie etwa bei dem Befüllen eines Wasserbetts – schon durch die Ingebrauchnahme ein, bleibt der Händler auf den Kosten sitzen.
Zu den kuriosen Stilblüten zählte 2010 ein Urteil des OLG Hamm: Dieses Gericht hat entschieden, dass es nicht ausreicht, eine CD in eine Cellophanhülle einzuschweißen, um das Widerrufsrecht auszuschließen.
Immer mehr in den Blickpunkt rückt die Angabe von Preisen. Noch immer begehen Online-Händler hierbei viele vermeidbare Fehler. Folge sind Abmahnungen und eine Vielzahl von Gerichtsverfahren. Klar ist, dass wer gegenüber Letztverbrauchern mit Preisen wirbt, Endpreise anzugeben hat, die alle Kosten enthalten.
Ausblick
Leider ist nicht zu erwarten, dass die Flut an Urteilen zum Fernabsatzrecht im Jahr 2011 abreißen wird. Zudem steht schon die nächste Gesetzesänderung ins Haus. Auch die Musterwiderrufsbelehrung soll geändert werden, sodass sich erneut Anpassungsbedarf für viele Händler ergeben wird. Hier kann es wieder Abmahnungen geben, wenn sich die Shopbetreiber darauf nicht rechtzeitig einstellen.
Ich erwarte weiter erheblichen Fokus auf dem Preisangaberecht. Außerdem werden spezielle gesetzliche Regelungen (zum Beispiel das Textilkennzeichnungsgesetz), die nur einige Shops betreffen, in den Mittelpunkt rücken.
Ein auch rechtlich wichtiges Feld werden die international ausgerichteten Shops sein. Immer häufiger werden sich deutsche Händler mit den Rechtsordnungen anderer europäischer Länder (aus naheliegenden Gründen vor allem Schweiz und Österreich) auseinandersetzen müssen. Umgekehrt ist zu erwarten, dass Shops aus dem Ausland, die sich gezielt auch an deutsche Kunden richten, Ärger mit lokalen Konkurrenten oder Verbraucherverbänden bekommen werden.
Suche und Recht
Rückblick
Das Suchmaschinenjahr 2010 war aus juristischer Sicht außerordentlich spannend. In allen drei Bereichen, also SEM, SEO und der Preissuche gab es Neuigkeiten.
Mit viel Spannung erwartet und mindestens ebensolcher Ernüchterung zur Kenntnis genommen wurden die Urteile des EuGH zum Keyword-Advertising. Auf Vorlage verschiedener europäischer Gerichte sollte der EuGH entscheiden, ob es eine rechtswidrige Markenverletzung darstellt, wenn die Marke eines Konkurrenten als AdWords bei Google gebucht wird. Leider hat der EuGH keine endgültige Antwort gefunden. Vielmehr lassen seine Entscheidungen orakelgleich erheblichen Interpretationsspielraum. Wesentliche Aussage des Gerichtshofs zu der entscheidenden Frage ist, dass eine Markenverletzung vorliegt, wenn
„aus der Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke … oder vielmehr von einem Dritten stammen.“
Nicht nur der Laie, sondern auch Juristen fragen sich nun, was das genau bedeutet. Wann also wird der Nutzer einen solchen Zusammenhang annehmen? Das lässt der EuGH offen und verweist auf die nationalen Gerichte.
Neues gab es auch im Hinblick auf die Optimierung von Websites für Suchmaschinen (SEO). Hier hat der BGH in der unter dem Stichwort Powerball bekannt gewordenen Entscheidung der Praxis einen Riegel vorgeschoben, interne Suchmaschinen für ein besseres Google-Ranking zu nutzen. Wer durch die Ausgestaltung des eigenen Shops dafür sorgt, dass bei Eingabe einer geschützten Marke bei Google die eigene Website in dem organischen Suchindex auf Platz 2 gelistet wird, handelt rechtswidrig, wenn diese Marke in dem Shop nicht erhältlich ist.
Auch die unteren Gerichte haben sich mit der Suchmaschinenoptimierung befasst. Das Oberlandesgericht Hamburg hat im März entschieden, dass die Verwendung der Unternehmensbezeichnung eines anderen Unternehmens sowohl im URL-Pfad als auch im Title-Tag seiner Website eine Kennzeichenverletzung darstellt, falls die Seite keinen Bezug zu dem genannten Unternehmen hat.
Nachdem der BGH im Jahre 2009 entschieden hatte, dass bei Preissuchmaschinen die Versandkosten mit angegeben werden müssen, folgte im März dieses Jahres der nächste Paukenschlag: Der BGH hat nämlich entschieden, dass Preissuchmaschinen stets aktuell zu sein haben. Es sei irreführend, wenn die Preise in der Suchmaschine – wenn auch nur für kurze Zeit – niedriger sind als in dem Online-Shop, auf den verwiesen wird.
Daraufhin haben die Anbieter von Preissuchmaschinen die Darstellungen der Preise auf ihren Seiten geändert und jeweils deutlich gemacht, dass die Preise abweichen können. Außerdem haben viele Suchmaschinen den letzten Aktualisierungszeitpunkt unmittelbar in die Anzeige integriert. Es spricht viel dafür, dass dies die Irreführungsgefahr beseitigt.
Ausblick
Für den Bereich des Keyword-Advertising ist zu erwarten, dass deutsche Gerichte die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes konkretisieren und sowohl Markeninhaber als auch Werbende zunehmend Klarheit darüber erlangen, ob und in welcher Weise fremde Marken als Keyword verwendet werden dürfen.
Hier ist zum einen damit zu rechnen, dass der BGH kurzfristig über den Rückläufer vom EuGH entscheiden wird (Stichwort: Bananabay). Hier erwarte ich, dass der BGH eine eher liberalere Auffassung vertreten wird. Vermutlich wird der BGH die Entscheidungen des EuGH dahingehend auslegen, dass eine Nutzung der fremden Marke jedenfalls dann zulässig ist, wenn sich aus der Anzeige ergibt, dass die Werbung von einem Konkurrenten stammt.
Zum anderen werden nun vermehrt die unteren Gerichte damit anfangen, Spezialfälle zu entscheiden. Auch hier ist einiges an Dynamik zu erwarten.
Während bei SEM damit zu rechnen ist, dass Werbenden eher die Möglichkeit gegeben wird, fremde Marken zu benutzen, geht der Trend bei SEO in die andere Richtung: Hier werden Gerichte in 2011 wohl deutlich eher zugunsten der Markeninhaber entscheiden, wenn bei der Eingabe einer bestimmten Marke ein Konkurrent auf den ersten Google-Positionen gelistet wird.
Es steht zu befürchten, dass es sich die Richter bei der Beurteilung leicht machen werden und nicht im Einzelnen darauf schauen, wie es zu dem guten Google-Ranking kommt und ob die Marke dafür überhaupt verwendet wird.
Bei der Preissuche ist zu erwarten, dass sich die Streitigkeiten auf die Suchen in Special-Interest-Portalen verlagern. So werden Gerichte vermehrt darüber zu urteilen haben, ob die Position eines Unternehmens bei der Suche etwa auf mobile.de oder eBay rechtmäßig erlangt wurde.
Weitere Themenfelder
Rückblick
Streitigkeiten um Internetdomains betreffen immer speziellere Fälle. Eine BGH-Entscheidung aus diesem Jahr betraf die Domain braunkohle-nein.de. Es ging um die Frage, unter welchen Voraussetzungen der frühere Vorsitzende einer Bürgerbewegung die Domain an den Verein herausgeben muss.
Der Trend geht – auch im juristischen Bereich – in Richtung Social Media. Immer wieder werden Entscheidungen bekannt, in denen es um die Haftung für Äußerungen oder Uploads von Usern geht. 2010 bescherte uns auch das erste deutsche Urteil zur Unzulässigkeit eines Tweets. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat festgehalten, dass Links aus Twitter auf eine Website, die unrichtige und geschäftsschädigende Aussagen über ein Unternehmen enthält, rechtswidrig sein können.
Keine nennenswerte Bewegung hat es um die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Webtracking gegeben. Noch immer gibt es keine belastbare Rechtsprechung dazu, ob IP-Adressen für den Website-Betreiber ohne Zusatzwissen überhaupt Personenbezug haben.
Veröffentlichte Gerichtsentscheidungen im** Affiliate-Marketing waren 2010 rar. Immer öfter wehren sich Advertiser oder Netzwerke gegen Missbrauch durch Publisher. Weiter aktuell ist auch die Frage der Haftung des Advertisers für rechtswidrige Handlungen des Publishers. Noch immer wird hier eine recht weitgehende Haftung angenommen. Die Möglichkeiten, die der BGH in seiner Entscheidung zur Haftung für Handlungen des Publishers aufzeigt, werden noch zu wenig genutzt.
Im E-Mail-Marketing sind die wesentlichen Weichenstellungen zwar getroffen (keine Werbung ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Empfängers). Immer mehr Sonderprobleme schaffen es jedoch vor die Gerichte. Ein solcher Sonderfall betrifft die Ausnahmebestimmung des § 7 Abs. 3 UWG. Immer wieder ist dazu zu lesen, dass die Bewerbung von eigenen Kunden per E-Mail stets zulässig sei. Dass dies falsch ist, hat das OLG Thüringen 2010 entschieden. Die Ausnahmevorschrift sei eng auszulegen. Unternehmen dürften allenfalls für solche Produkte werben, die den zunächst erworbenen Produkten ähnlich sind. Damit hilft diese Ausnahme eigentlich nur Spezialisten.
Außerdem hat das OLG Köln entschieden, dass E-Mail-Adressen ein Geschäftsgeheimnis sein können. Der BGH hat für den B2B-Bereich den Unterschied zwischen Telefon- und E-Mail-Werbung deutlich gemacht. Im Anschluss an das Ausscheiden aus einem Unternehmen dürften bisherige Kunden zwar telefonisch, nicht aber per E-Mail auf den Unternehmenswechsel hingewiesen werden. Verschiedene Untergerichte haben sich mit der Frage befasst, ob die Einwilligungserklärung in AGB untergebracht (nein) und mit der Zustimmung zu anderen Erklärungen verbunden werden darf (auch nein).
Ausblick
Immer öfter sind Domainstreitigkeiten nur Nebenschauplatz bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Oft geht es um komplizierte Markenrechtsstreitigkeiten. Dieser Trend wird sich 2011 fortsetzen. Außerdem werden Streits um Tippfehlerdomains zunehmen, deren Inhaber häufig Publisher sind, die über Affiliate-Systeme an den Tippfehlern noch verdienen, ohne dass der Advertiser dies überhaupt bemerkt.
Bei den Online-Werbeformen wird es Bewegung vor allem im Targeting-Bereich geben. Hier ist zu erwarten, dass sich die Datenschützer stärker als bisher positionieren und gegebenenfalls auch erste Verfahren einleiten werden. Bis zum 24. Mai 2011 muss die als Cookie-Richtlinie bekannt geworden EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Ein generelles Opt-in für Cookies scheint zwar unwahrscheinlich, die Einzelheiten sind jedoch noch vollkommen offen.
Generell wird der Datenschutz noch stärker als bisher in das Bewusstsein der Unternehmen rücken. Datenschutzerklärung, Einwilligung und Auftragsdatenverarbeitung sind die rechtlichen Schlagworte, um die es auch 2011 gehen wird. Früher oder später wird auch die Frage entschieden werden, ob es für das Website-Tracking tatsächlich einer Kürzung der IP-Adressen bedarf, bevor diese gespeichert und ausgewertet werden.
Im Affiliate-Bereich werden wohl wieder mehr Streitfälle auch allgemein bekannt werden. Immer mehr Advertiser werden auf eigene Teilnahmebedingungen an ihren Partnerprogrammen setzen und diese dann auch notfalls mit juristischer Hilfe durchsetzen. Außerdem wird sich die Rechtsprechung zur Haftung für rechtswidrige Handlungen von Publishern noch weiter ausdifferenzieren.
Im E-Mail-Marketing sind noch immer viele Fragen gerichtlich nicht entschieden, die in der täglichen Praxis eine große Rolle spielen. Zu den offenen Problemen zählt beispielsweise die Frage, wer bei einer Stand-Alone-Werbebuchung eigentlich Inhaber der Einwilligung des Empfängers sein muss. Genügt es, wenn der Newsletter-Versender sich einer Einwilligung vergewissert hat oder muss auch der Werbende eine Einwilligung haben? Auch die Koregistrierung wird früher oder später die gerichtliche Feuertaufe bestehen müssen. Die Anforderungen an die Freiwilligkeit der Einwilligung sind hier nicht zu unterschätzen. Auch über Tell-a-Friend ist noch nicht endgültig entschieden. Zu hoffen ist, dass manches im Interesse der Werbenden noch ein wenig offenbleibt.
Martin Schirmbacher ist Fachanwalt für IT-Recht bei HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin. Gerade ist sein neues Buch: Online-Marketing und Recht erschienen. Einzelheiten dazu finden Sie unter www.online-marketing-recht.de.