Tablets und Smartphones bringen frischen Wind in die Debatte um die Frage, ob Nutzer bereit sind, für redaktionelle Leistungen zu bezahlen. Ein Markt im Experimentierstadium. Adzine hat einige prominente Vertreter aus Verlagen, Agenturen und Werbung um deren aktuelle Markteinschätzung gebeten und nach den Strategien befragt. Arnd Benninghoff, Patrick Warnking, Christoph Schuh, Martin Enderle und Carsten Frien waren Teilnehmer einer Podiumsdiskussion auf den Medientagen in München. Mit Christian Hasselbring und Frank Wolfram sprachen wir einzeln.
Bedeutet das Mobile Web den Beginn neuer Erlösformen für Verlage? Sind die Nutzer bereit, für Inhalte aus den Redaktionshäusern zu bezahlen und wenn ja für welche? Oder bricht durch die Bezahlpflicht die Reichweite der Verlagsprodukte so stark ein, dass sich in deren Umfeld keine Werbung mehr verkaufen lässt? Ruppert Murdoch wird gerne von den Befürwortern der „Bezahlschranke“ ins Feld geführt. Sein Wall Street Journal fährt eine Doppelstrategie: Vom Portal kommend sind die meisten Artikel bezahlpflichtig. Gleichzeitig werden sie bei der Google-Suche als freie Artikel gefunden.
Adzine: Sehr geehrte Herren, zunächst einmal die Grundfrage: Wird das Mobile Web tatsächlich ein signifikantes Business für redaktionelle Inhalte oder geht es eher um Dienstleistungen wie Preisvergleiche und Co.?
Christoph Schuh, Vorstand Marketing Sales Tomorrow Focus: Derzeit kommen 70 Prozent aller relevanten Abrufe bei unseren Portalen von Apps. In diesem Bereich investieren wir auch. Die App der TV-Spielfilm erzeugt rund 30 Mio. PIs pro Monat. Aber das reicht noch nicht, wir brauchen 100 Mio. PIs für den werblichen Durchbruch. Durch Android erwarten wir hier noch einen deutlichen Push in den nächsten Monaten.
Patrick Warnking, Vertical Leader Local bei Google: Es wird funktionieren, wenn es langfristig gelingt, die Einstellung der Nutzer in Richtung Paid Content zu ändern. Es wird spannend sein zu beobachten, was sich die Verlage einfallen lassen, um das zu erreichen.
Christian Hasselbring, Geschäftsführer Stern.de: Fakt ist auf jeden Fall, dass Mobile Computing den Markt verändert. Unsere iPhone App hat mittlerweile knapp 550.000 Downloads, im Monat machen wir ca. 2 Millionen Visits und ca. 20 Millionen Page Impressions; nach der neuen Mobile AGOF sind wir auf Platz 3 im Gesamtranking der Apps und Marktführer unter den Verlagsangeboten.
Das mobile Web, über Apps und mobile Portale, ist ein absoluter Wachstumsmarkt. Dabei hat auch das Thema Video enorm an Bedeutung gewonnen. Außerdem bietet das App-Konzept dem Nutzer Service, zum Beispiel den Download ToGo, um Inhalte auf sein iPhone zu ziehen und dann z.B. im Zug offline zu lesen. Und nicht zuletzt liegt der Erfolg in der Überschaubarkeit. Eine App ist Begrenzung, bedeutet Auswahl, digestible quality sozusagen. Eine Tendenz dazu wird auch im Web wichtiger werden.
Dr. Martin Enderle, CEO Scout24: Es zeigt sich immer wieder: Neue Technologie allein ist noch kein Umsatz. Das war schon vor zehn Jahren so bei WAP. Zehn Jahre später heißt das Zauberwort „die App“ – aber mit „der App“ allein macht man noch keine Milliarden.
** Vorsitzender der Geschäftsführung SevenOne Intermedia: Ich glaube nicht, dass sich das Konzept des Walled Garden auf Dauer aufrechterhalten lässt. Früher oder später wollen die Nutzer die ganze Vielfalt des Webs nutzen. Für Apple selbst allerdings kann es sich rechnen, bei dieser Strategie zu bleiben und sich damit auf ganz bestimmte Zielgruppen zu konzentrieren, für die vor allem die einfache Bedienbarkeit der Geräte wichtig ist. Für die Apps, die es zum Nutzer auf das Smartphone schaffen, ist das natürlich eine tolle Kundenbindung.
Warnking: Wir bei Google glauben langfristig eher an das Konzept offen zugänglicher Web-Apps, zum Beispiel auf HTML-Basis.
Enderle: 2010 wird der AppStore über 6 Milliarden Dollar Umsatz machen. 2013 rechnet Gartner bereits mit 30 Milliarden Dollar Umsatz.
Carsten Frien, CEO Madvertise: Android wird Apple schnell überholen. In den USA ist Android bereits weiter verbreitet als Apple. Dann ist natürlich sehr spannend, was Nokia macht, da Nokia momentan noch Marktführer bei Mobiltelefonen ist. Nokia hat das Thema Apps und somit mobile Werbung bisher aber komplett verschlafen.
Hasselbring: Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Apps auch Vorzüge haben. Eine App funktioniert wie eine intelligente Weiterentwicklung der Bookmark mit Offline-Fähigkeiten. Als bildstarkes Magazin-Format können wir außerdem leichter ein tolles visuelles Erlebnis schaffen. Bilder, Videos und intuitive Navigation lassen sich in der Usability einer App noch leichter umsetzen als im Webauftritt.
Adzine: Wir sprechen also bei der potenziellen Paid-Content-Plattform Mobile Web vor allem vom Tablet, weniger vom Smartphone?
Frank Wolfram, Geschäftsführer Syzygy: Einer Studie von Otto zufolge nehmen die Nutzer von Smartphones schon heute die kleine verfügbare Bildschirmfläche im Vergleich zum PC als negativ war. Ich will natürlich nicht, dass so etwas auf meine Kunden und deren Marken abstrahlt. Das iPad hat eine neue Kategorie definiert und das kann doch unseren digitalen Alltag nur bereichern. Ich sehe große Konvergenzen von Print in Richtung tabletbasierte Geräte. Derzeit suchen wir nach guten Lösungen, um Kataloge auf die Tablets zu bringen.
Benninghoff: Das kann ich nicht vorhersehen. Bisher sehen wir das Tablet als ergänzendes Gerät zum stationären Rechner oder dem Notebook. Das Nutzenszenario ist ein anderes. Das muss sich natürlich auch im Content-Angebot widerspiegeln. Was als Erstes zu funktionieren scheint, ist Video. Unser entsprechendes Inventar ist ausverkauft.
Frien: In Sachen Tablets sind wir uns sehr sicher, dass das ein großer Markt wird. Insofern sehe ich sehr viel Potenzial für browserbasierte mobile Werbung jenseits der Apps. Allerdings muss man mit dem Stand von heute sagen, dass das Thema iPad derzeit für die Vermarktung noch wesentlich weniger Relevanz hat, als es in der öffentlichen Wahrnehmung besitzt.
Schuh: Das ist zwar eine ganz andere Plattform, aber auch beim Tablet-Computing glauben wir, dass die Strategie des Walled Garden, also der geschlossenen App-Anwendungen zwar am Anfang durch die einfache Usability dazu führt, dass die Nutzer die Geräte annehmen. Auf Dauer wird aber das offene Web wichtiger.
Adzine: Nun zum Kern der Debatte. Funktioniert Paid Content im Mobile Web?
Frien: Nein, in der Breite nicht, nur in der Nische. Die Zukunft gehört kostenlosen, werbefinanzierten Angeboten, sowohl in Apps also auch im mobilen Browser.
Enderle: Der App-Markt zeigt, es gibt eine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft für Content bei entsprechend niedrigen Payment-Hürden. Es wird interessant zu beobachten, was Murdoch und der Axel Springer Verlag erreichen mit dem Schritt hin zur Kostenpflicht.
Benninghoff: Ja, wir glauben fest daran, dass die Nutzer bereit sind, für gute Inhalte auch zu bezahlen. Aus unserer Sicht sind das Videos und Spiele. Bei einigen unserer Serien verfolgen wir die Strategie, sie in der ersten Woche nach Ausstrahlung kostenlos als Stream anzubieten und danach via maxdome zu verkaufen. Im Bereich Spiele hat sich das Premiummodell flächendeckend durchgesetzt. Der Einstieg ist kostenlos, die Vollversion muss bezahlt werden. Und nicht unterschätzen sollte man das Item Selling. Das ist eine gelernte Mechanik innerhalb der Onlinespiele.
Warnking: Ein signifikantes Problem ist doch, dass die Nutzer mit jedem Verlag eine eigene Geschäftsbeziehung eingehen müssten. Für die Nutzer ist das viel zu aufwendig. Da müssen starke Portale als digitale Kioske her, die das Clearing übernehmen. Hier kann Google den Verlagen beim Vertrieb helfen.
Schuh: Paid Content ist bisher für General-Interest-Titel den Erfolg schuldig geblieben. Es kann aus unserer Sicht für die nächsten 2 3 Jahre allenfalls eine Ergänzungsstrategie zum Advertising-Modell sein. Es gibt zu viele kostenlose Inhalte ähnlicher Qualität in diesem Segment. Eine Marke wie Bild.de mit uniquem regionalem Content als Add-on kann signifikante Paid-Erlöse erzielen, die allermeisten anderen Marken, wie zum Beispiel Wochenmagazine, werden sich aus unserer Sicht schwertun.
Man muss allerdings die Plattformen klar voneinander unterscheiden. Was im Web funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig Mobile. Ich könnte mir vorstellen, dass bestimmte Inhalte im Web kostenlos angeboten und durch Werbung refinanziert, gleichzeitig aber im Rahmen einer App als kostenpflichtiges Abo verkauft werden.
Benninghoff: Mit Verlaub, das halte ich für ein ziemlich gewagtes Konzept. Die Nutzer werden dahinterkommen und sich veralbert fühlen. Das schadet doch der Marke. Auf Dauer wird das auch bei Murdochs Wall Street Journal nicht gut gehen.
Adzine: Aber die Werbung tut sich bislang doch auch schwer damit, ins Mobile Web zu investieren, allenfalls mit Marken-Apps.
Schuh: Im konjunkturell schwierigen Jahr 2009 wurde wenig in Branding investiert – dementsprechend schwer haben sich die redaktionellen Portale getan. 2010 sieht es deutlich besser aus.
Frien: Bisher haben wir im Jahr 2010 rund 60 Kampagnen ausgeliefert. Unter anderem für große Marken wie Renault, Comdirect und HRS. Die Kampagnen haben Budgets zwischen 5 000 und 50 000 Euro. Der deutsche Markt ist im Vergleich zu anderen europäischen Märkten tatsächlich noch ziemlich unterentwickelt.
Meine Herren, vielen Dank.
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