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Reality Check: Von Äpfeln und Birnen – HTML5 vs. Flash?

André Jay Meissner, 21. Oktober 2010

Die Diskussion um HTML5 ist in den vergangenen Wochen und Monaten gleichermaßen ausgiebig wie emotional geführt worden. Die multimedialen Möglichkeiten der neuen HTML-Spezifikation wurden in vielen Medien als „Flash-Killer“ bezeichnet. Was innerhalb der aktuellen Diskussion meist fehlte, war eine sachliche Betrachtung dessen, was mit HTML5 bei der Wiedergabe von Videos oder im Bereich Onlinewerbung im Web bereits jetzt möglich ist – und welche Probleme es mittelfristig noch gibt.

Denn auch wenn mit Mozilla, Opera, Apple, Microsoft, Google und Adobe viele namhafte Unternehmen HMTL5 unterstützen, sollten Entwickler, Anbieter, Agenturen und Anwender genau prüfen, ob sie die Spezifikation schon jetzt für ihre Projekte einsetzen. So mahnte Philippe Le Hégaret vom W3C, dem Gremium zur Standardisierung des World Wide Web, kürzlich in einem Interview mit dem US-Medium InfoWorld zur Zurückhaltung: „Es herrscht momentan große Begeisterung rund um HTML5, aber in unseren Augen ist es noch zu früh, die Technologie zu nutzen, da es Probleme mit der Interoperabilität gibt. [...] Ich glaube nicht, dass HTML5 schon jetzt bereit ist für den produktiven Einsatz.“ Auch der Video- und Web-Experte Jan Oyzer hat sich mit diesem Thema beschäftigt und kommt zu der Erkenntnis, dass einige offene Punkte vor einem professionellen Einsatz von HTML5 zur Wiedergabe von Videos geklärt werden müssen.

Welche konkreten Schwierigkeiten gibt es, welche Mythen existieren rund um HTML5 und wie geht es mit Flash weiter?
Zunächst stellt sich angesichts der Aussagen von Steve Jobs im Rahmen der Diskussionen zur Unterstützung von Flash auf Apple-Geräten die Frage: Lehnen Anbieter und Nutzer die Flash-Technologie tatsächlich ab, weil sie mit der Performance unzufrieden sind und Sicherheitsbedenken haben? Eine Umfrage, die Jan Oyzer kürzlich für StreamingMedia.com erstellt hat, kommt zu einem anderen Ergebnis. Insgesamt 1.147 Web- und IT-Profis äußerten sich zu einer Vielzahl an Themen, unter anderem zur Zufriedenheit mit Flash.

Weniger als zwei Prozent der Befragten stuften Flash in Bezug auf Performance, Stabilität, Sicherheit und Anwenderzufriedenheit als schlecht ein. Wenn so viele Nutzer mit Flash unzufrieden wären, wie in den vergangenen Monaten zu hören war, hätte die Technologie nicht eine Verbreitung von etwa 98 Prozent erreichen können und es hätte bereits vor dem Aufkommen von HTML5 einen Wechsel zu Konkurrenztechnologien wie Silverlight geben müssen. Ein solcher Trend war und ist jedoch nicht feststellbar.

Offene Fragen rund um HTML5
Es gibt inzwischen eine Menge interessanter Projekte rund um den Einsatz der neuen HTML5-Elemente „Canvas“ und „Video“; als alleinige Lösung zur Darstellung von Videos oder im Bereich Onlinewerbung werden diese jedoch bisher in der Praxis wenig bis gar nicht genutzt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und umfassen unter anderem die Unterstützung des neuen Standards in den unterschiedlichen Browsern, die Frage nach dem eingesetzten Video-Codec und klare Defizite im Bereich von Streaming-Videos. Denn Inhalte lassen sich nicht über einen Streaming-Server an verschiedene Nutzer mit unterschiedlichen Browsern ausgeben. Das HTML5-Element „Video“ allein ermöglicht kein Livestreaming und kein adaptives Streaming. Dieses wird aber benötigt, um die Wiedergabequalität automatisch an die verfügbare Internetverbindung anzupassen. Schließlich bietet eine neue HTML-Spezifikation keinen standardisierten Weg zum Schutz von Videoinhalten. Natürlich sind diese Funktionen für einige Anbieter und auch Nutzer nicht entscheidend, die meisten professionellen Inhalte werden jedoch von Anbietern produziert und im Web bereitgestellt, die damit Geld verdienen möchten und damit auf ein leistungsfähiges Streaming sowie einen zuverlässigen Schutz der Inhalte angewiesen sind.

Mangelnde Unterstützung durch Browser
Ein weiteres schwerwiegendes Problem identifizieren Entwickler und Anbieter mit der mangelhaften Performance beim Rendering von HTML5-Canvas-Elementen auf mobilen Geräten. Solange mit Flash umgesetzte Animationen mit doppelten Frame-Raten bei gleichzeitig halbem Energiebedarf dargestellt werden können, erscheint vielen der Weg zu einer Wachablösung doch noch relativ weit.

Das größte Problem von HTML5 ist heute jedoch die mangelnde Verbreitung von Browsern, die die neue Spezifikation korrekt interpretieren können. Derzeit beherrscht Microsoft den Browsermarkt mit einem Marktanteil von insgesamt rund 48 Prozent, je nach Quelle leicht abweichend. Darunter sind noch 10 Prozent Nutzer des „berüchtigten” IE 6 (Quelle: WebTrekk Langzeitstudie). Keiner der Microsoft-Browser, nicht einmal der ReleaseCandidate 9, kann alle HTML5-Elemente sauber verarbeiten. Bei Safari, Opera und Firefox sind jeweils die jüngsten Versionen HTML5-fähig. Bereits die nur „fast“ aktuellen Versionen Firefox 3.0 oder Opera 10.1 unterstützen HTML5 nur teilweise. Eine Ausnahme bildet Chrome, das allerdings mit 2,5 Prozent keinen relevanten Marktanteil hat.

Auch im professionellen Videoeinsatz hat HTML5 noch einen weiten Weg vor sich. YouTube veröffentlichte kürzlich eine dezidierte Vergleichsanalyse und kommt zu der Auffassung, dass Flash zahlreiche Vorteile im Vergleich zu HTML5 bietet und gerade bei hohen simultanen Zugriffzahlen nicht zu ersetzen ist. So wäre beispielsweise ein Rekord unmöglich, wie ihn ESPN während der Fußball WM 2010 aufgestellt hat: Mehr als 1,1 Millionen Nutzer verfolgten das Spiel zwischen den USA und Algerien über Flash live im Web. So stellt YouTube-Entwickler John Harding fest, der Video-Tag in HTML5 sei noch zu entwicklungsbedürftig, als dass er voll auf YouTube Verwendung finden könne.

Ein zentrales Problem ist dabei, dass ein Standard-Videoformat für HTML5 fehlt. YouTube nutzt H.264, was aber nicht alle Browser unterstützen. Der Grund: Der Codec kann nicht frei verwendet werden, sondern es fallen eventuell in Zukunft Lizenzgebühren an. Aus diesem Grund hat Google das Web-M-Projekt gestartet, der hier verwendete VP8-Codec steckt laut Harding jedoch noch in den Kinderschuhen und ist daher noch nicht zuverlässig genug.

Flash und HTML5 in der Onlinewerbung
Flash ist neben vielen anderen multimedialen Nutzen das allseits anerkannte Standard-Format für animierte und interaktive Onlinewerbung. Mit der Diskussion um HTML5 ist die Situation wieder etwas komplizierter geworden. Werbetreibende sowie Agenturen beschäftigen sich erneut mit der Fragestellung, wie Bannerwerbung in Zukunft gestaltet werden muss, um für alle Nutzer sichtbar und erlebbar zu sein. Auch im Bereich Onlinewerbung ist der Einsatz von HTML5 demnach nicht unkompliziert. Es ist zwar heute schon möglich, animierte Werbemittel unter Nutzung der Neuerungen von HTML5 zu erstellen, allerdings ist der Aufwand aufgrund fehlender Erfahrung in der Programmierung und Qualitätssicherung um ein Vielfaches höher als in der spezialisierten Entwicklungsumgebung von Flash, wie Christian Hasselbring, Geschäftsführer bei Stern.de, erklärt: „Das Flash-Know-how in Deutschland ist riesig im Vergleich zu HTML5. Die Entwicklungskosten wären entsprechend höher, wenn man überhaupt HMTL5-Entwickler bekommt.“ Zudem bleibt das Überprüfen von Werbemitteln auch künftig aufwendiger als bei Flash, da Inhalte auf allen Browsern getestet werden müssen und nicht nur in der Flash-Umgebung.

Fazit
Die installierte technische Infrastruktur und zahlreiche wichtige Abläufe von der Entwicklung bis hin zur Auslieferung und zum Tracking von Werbemitteln sind auf Flash ausgerichtet. Aus diesen Gründen wird sich die Werbeindustrie in absehbarer Zeit mit der Produktion von Werbemitteln unter Einsatz der neuen HTML5-Elemente befassen, aber eben ohne Flash aufzugeben. Wenn, insbesondere retrospektiv, die Veränderungen in der Verbreitung von Standard-Browsern wie Microsoft Internet Explorer betrachtet werden, kommen zum Beispiel Anbieter von Videoinhalten auch langfristig nicht ohne Fallback-Szenarien aus. Gleiches gilt für Werbung – will man ein anspruchsvolles Feature-Set nutzen. Daher fällt unser Fazit bei der Frage „HTML5 oder Flash“ wie das Feedback von Entwicklern, Designern, Agenturen und Medien eindeutig aus – und lautet „HTML5 UND Flash“. Das löst auch gleichzeitig den Vergleich von Äpfeln und Birnen, denn HTML5 bietet Webentwicklern auch in der Kombination mit Flash viele Vorteile. Im wiederum legitimen Vergleich zwischen HTML5-Canvas- bzw. -Video-Elementen mit Flash kann die neue Spezifikation derzeit noch nicht bestehen. Mit Blick auf die Bereiche Webvideo und Onlinewerbung bleibt festzuhalten, dass hier künftig sowohl Flash als auch die neue HTML-Spezifikation zum Einsatz kommen werden. Das vielfach beschworene Ende von Flash wird es jedoch nicht geben.**

Über den Autor/die Autorin:

Autor: André Jay Meissner, Business Development Manager Web Technologies bei Adobe Systems

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