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ECOMMERCE

Mit dem Wissen der Menge zum Long-Tail-Erfolg

Jack Jia, 26. August 2010

Ich frage oft Führungskräfte, die im E-Commerce-Bereich tätig sind, wer eigentlich die besten Verkaufserfolge ihrer Produkte erbringt: A) Ihre besten Verkäufer? B) Ihr bester Kunde? C) Eine Gruppe von Kunden? Interessanterweise wissen die meisten Manager, dass die richtige Antwort C lautet. Dennoch nutzen erstaunlicherweise nur wenige E-Commerce-Verantwortliche die Methode „Wisdom of Crowds“ – also die Weisheit der Menge.

Besonders wichtig ist dies in Bereichen des elektronischen Handels, die sich auf den „Long-Tail“ beziehen. Dieser Begriff wurde vor mehr als 5 Jahren von Chris Anderson, dem Autor des gleichnamigen Buches geprägt. Der „Long-Tail“ beruht auf dem Prinzip, wenig gefragte Artikel aus einem großen Angebot zu verkaufen, anstatt hohe Stückzahlen bekannter und/oder beliebter Produkte, wie z.B. das iPhone. Es ist äußerst wichtig, Kunden die Produkte anzubieten, die sie am meisten schätzen, auch wenn diese momentan noch keine „Hits“ sind.

Eine interessante Tatsache ist, dass im Long-Tail die 20/80-Regel (20 % der Artikel machen 80 % des Umsatzes) nicht mehr gilt. Im Long-Tail verdienen heute viele Anbieter besser als im populären Bereich (z.B. bei Büchern oder Musiktiteln).

Das Konzept wird auch im Online-Marketing verwendet. Zum Beispiel um Besuchern auf einer Webseite den gesuchten Inhalt zu zeigen. Die Webseite der NASA ist ein Beispiel dafür, wie der Long-Tail gut eingesetzt wird. NASA spricht unterschiedliche Gruppen an, die jeweils verschiedene Interessen haben – von Schülern über Hobbyastronomen bis hin zu Forschern. Natürlich ist ein Space-Shuttle-Start ein wichtiges Thema, das von NASA.gov abgedeckt werden muss, aber diese Information bekommt man auch auf CNN. Ein wirklicher Long-Tail-Grund für Besucher der NASA-Webseite ist zum Beispiel, das einzigartige Deep-Space-Foto von Hubble zu finden, das sonst keiner hat.

Im E-Commerce-Bereich hat der Long-Tail viele Anbieter motiviert, ihr Sortiment zu erweitern, um mehr Nischenprodukte mit höheren Margen zu verkaufen. Entgegen dieser Strategie stellen viele Online-Shops immer noch die Bestseller auf ihre Startseite. Das ist eine eher fehlerhafte Denkweise, die Online-Shops abhält, gewinnbringend die Artikel zu verkaufen, wonach der Kunde eigentlich sucht.

Diesen Fehler analysierend, stellt sich jetzt die Frage für jeden Online-Verkäufer, der sich auf den Long-Tail berufen möchte: „Wie mache ich meine Kunden auf die sehr speziellen und profitablen Produkte aufmerksam?“ Oder anders, wie verkauft man mehr von dem, was vorher kaum gekauft wurde?

Eine größere Bandbreite an Produkten zu verkaufen, hört sich vielleicht gut an, ist aber nicht einfach umzusetzen. Dem richtigen Kunden das richtige Produkt anzubieten, ist sehr schwer, wenn man Hunderte, Tausende oder mehr Produkte in seinem Shop anbietet. Außerdem ist die Gefahr groß, dass bei stetig oder saisonal veränderten Angeboten der Kunde einfach den Überblick verliert.

Der Schlüssel ist, den Interessenten genau zur richtigen Zeit weniger, aber die richtigen Artikel zu zeigen. Aber wie? Mithilfe der namenlosen Menge der Webseiten-Besucher (Invisible Crowds) ist es möglich! Wenn Sie beginnen, auf deren Wünsche zu hören, können Sie diese in direkten Verkaufserfolg ummünzen! Und das Schönste dabei ist, dass das Wissen der Menge kostenlos ist!

Lassen Sie sich vom Wissen der Menge zum Erfolg führen

Anbieter kennen ihr Produktinventar bestens. Aber in Wirklichkeit helfen die klassischen Regeln des Marktes beim Long-Tail-Prinzip nicht. Man kann sein Angebot nicht unendlich ausweiten und hoffen, irgendwann kauft jemand aus dem Long-Tail. Auch ein guter Verkäufer wird nicht sehr weit kommen, wenn er nur seine meistgefragten Produkte verkauft und die ganzen Long-Tail-Produkte zwar im Sortiment hat, aber nicht gezielt offeriert.

Marktführer hingegen lassen die Menge der Kunden über die Ausführung verschiedener Long-Tail-Produkte selbst bestimmen und so entscheiden, was diese kleinere Sortimentsbandbreite für jeden einzelnen Kunden individuell beinhalten soll. Mit dem „Wisdom of Crowds“-Prinzip können Anbieter ihren Kunden gewünschte Produkte selbst untereinander weiterempfehlen lassen! Diese Kunden werden zum wichtigsten Vertriebskanal.

Zum Beispiel hat ein führender Online-Elektro-Shop durch das Verhalten seiner Internetbesucher herausgefunden, dass sich plötzlich zahlreiche seiner Kunden für rote Waschmaschinen und Trockner interessieren. Diese Artikel waren bislang wenig gefragt. Der Anbieter hörte auf seine Kunden und nahm diese farbfrohen Geräte in sein Sortiment auf. Wenige Wochen später wurden diese Produkte tatsächlich zu Bestsellern.

Im Vergleich zum klassischen Fachhandel, der meist nicht online verkauft, haben Online-Stores eine weitaus größere Möglichkeit, sich an das Long-Tail-Prinzip zu halten, weil sie die unausgesprochenen Wünsche ihrer Kunden einsehen und verwerten können. So dienen die implizierten Wünsche der anonymen Besucher für den Anbieter als Trend-Monitor! Neulich konnte ein Anbieter die plötzliche Nachfrage nach Vibram 5-Finger-Schuhen; spezielle Schuhe für Langstreckenläufer, die kürzlich in den USA zu einem solchen Hype führten, dass die meisten Geschäfte ausverkauft waren) rechtzeitig erkennen, seine Lager entsprechend bestücken und damit der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus sein.

Wenn man die Wünsche der anonymen Besucher versteht und sich ihren Interessen zuwendet, können Anbieter sofort Tausende Käufer identifizieren, die ihre Website besuchen und sich für dieses Segment interessieren. Die Kunden, die gleiche oder ähnliche Interessenlagen haben, werden sich über die „gefundenen“ Artikel freuen und haben damit ein positives Einkaufserlebnis, da sie sich zufrieden und nicht überfordert fühlen. Diese Kunden werden den Shop wieder besuchen!

Kontext folgt Inhalt

Unsere Kunden zeigen uns genau, wie wir ihre Aufmerksamkeit gewinnen können – wenn wir nur genau hinschauen. Als Beispiel diene die Suche im Internet: Ein Besucher kommt nicht einfach so auf unsere Seite. Er hat wahrscheinlich mit einem Schlüsselwort gesucht oder er ist durch eine gezielte Werbe-E-Mail auf unserer Webseite gelandet. Über den Weg zu uns (also z.B. das Suchwort) haben wir bereits einen Einblick in seine aktuelle Interessenlage. So kann man jedem einzelnen Kunden eine Internetseite zeigen („Landingpage“), die auf seine aktuellen Interessen zugeschneidert oder personalisiert ist. Dies geschieht heute dynamisch und in Echtzeit.

Oder: Ein Kunde sucht bei Google nach „Einen tropfenden Wasserhahn reparieren“ und landet auf einer Seite für Heimwerker. Seine Absicht ist natürlich nicht, nach einem tropfenden Wasserhahn zu suchen. Ihm Schraubenschlüssel oder eine Anleitung zur Reparatur zu zeigen, kann schon eher das Ziel seiner Suche sein. Je besser man die Absicht des Besuchers versteht, desto besser kann der Online-Shop dem Kunden bestimmte Produkte oder Dienstleistungen aufzeigen, welche wiederum Gruppen, die in einer ähnlichen Situation waren, als nützlich empfunden haben. Daher können Anbieter, die die Wünsche der namenlosen Menge ihrer Seite kennen, dies nutzen, um dynamische Empfehlungen zu erstellen. Dadurch wird ihre Internetseite attraktiv und ihre Verkaufszahlen steigen spürbar an.

Das ist anders als die gewöhnliche Empfehlung „Käufer, die dies kauften, kauften auch ...“, weil die „Invisible Crowd“ uns verrät, was die Besucher heute suchen und nicht das, was sie in der Vergangenheit mal gekauft haben. Bei Amazon schossen diese Empfehlungen schon sehr oft am Ziel vorbei. Der Grund dafür ist einfach: Eine Empfehlung für einen bestimmten Artikel bezieht sich meistens auf den individuellen Geschmack eines Kunden. Aber einer Person einen Kinderwagen als Empfehlung vorzuschlagen, nur weil diese letzte Woche ein Kinderbuch für die Babyparty einer Freundin kaufte, ist sicher nicht passend.

Führende Analysten bei Gartner und Forrester haben sich mit diesem Konzept auseinandergesetzt. Forrester nennt es „Kundenintelligenz“ und Gartner spricht von „Gewohnheitsorientierter Strategie.“

Die meisten Anbieter schauen aber immer noch in den Rückspiegel, um herauszufinden, welche Produkte einen Gewinn in der Zukunft versprechen und welche auf ihrer Seite empfohlen werden sollen. Das ist zum größten Teil der Grund dafür, dass klassischen Methoden neue Produkttrends oft erst Monate zu spät erkennen. Sie werden von den Verkaufszahlen und nicht den Suchanfragen abgeleitet.

Das ist ein großes Problem, vor allem bei einer Internetseite mit schnell wechselndem Inventar. Beispiel Bekleidungsanbieter: Wenn man im Februar Mäntel empfiehlt, weil das der am meisten verkaufte Artikel im letzten Monat war, die Kunden aber schon vom sommerlichen Strand in Spanien träumen, verpasst man die Möglichkeit, Bikinis, Sonnenbrillen etc. verkaufen zu können. Reine Verkaufslogik hätte uns dies schon gesagt, aber eben auch das Verhalten der Benutzer bzw. die „Invisible Crowd“ verraten uns dies genau zum richtigen Zeitpunkt. Man sollte sich nicht allein auf historische Daten fixieren. Besser versucht man, die feinen Signale und die kollektive Weisheit der Seitenbesucher aufzunehmen.

Indem man beobachtet, welche Trends und Artikel dem Kunden wirklich wichtig sind, gewinnen E-Commerce-Firmen ein solides Verständnis für Präferenzen der Gemeinschaft, ohne das Risiko, durch Messung missverstandener Click-Analysen der Kunden falsch informiert zu werden. Mit dem Long-Tail-Blick wird die Mehrheit der Seitenbesucher vertreten und repräsentiert. Außerdem kann der Anbieter besser verstehen, wie diese Gemeinschaften sich selbst zu kleinen Gruppen mit gleichen Interessen organisieren. Bedient man nun diese kleinen Gruppen gezielt mit entsprechenden Artikeln, dann wird der Long-Tail immer länger und profitabler!

Ihren Long-Tail ankurbeln

Der Hauptvorteil, sich auf die namenslose Menge zu verlassen, besteht aus dynamischen Produktempfehlungen, die das Potenzial haben, Umsatzsteigerungen von 20 bis zu 300 Prozent zu erzielen. Wenn Käufer auf eine Seite gelangen, ist es möglich, sofort ihre Interessen herauszufinden und ihnen Artikel ihrer Interessenlage zu zeigen. Diese Empfehlungen passen meistens, denn sie wurden aus kollektiven Vorlieben von Käufern mit den gleichen Interessen erstellt. Die Menge wirbt somit gezielt für Artikel, während sie diejenigen zurückstuft, die momentan nicht so beliebt sind.

Die heutigen Online-Vermarkter handeln nach anderen Regeln als die der letzten Jahre und die, die Gewinn mit dem Long-Tail machen wollen, müssen noch mehr auf die Dynamik des Marketings achten und darauf, Nischenprodukte zu verkaufen. Mit dem Verstehen des Long-Tail-Marktes und dem Einbeziehen der unsichtbaren Menge können Anbieter konkurrenzfähig bleiben und die „Besucher-zu-Käufer-Umsätze“ steigern wie nie zuvor.

Über den Autor/die Autorin:

Über den Autor: Jack Jia ist Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender von Baynote, Inc., San Francisco. Er ist ein gefragter Sprecher auf Konferenzen und Foren. Über jack@baynote.com können Sie mit Herrn Jia (in Englisch) kommunizieren.