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ANALYTICS

Jim Sterne im Adzine Interview

Jens von Rauchhaupt, 8. Juli 2010

Jim Sterne braucht keine Punkfrisur oder gefärbte Haare, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn die Bezeichnung Internet-Evangelist überhaupt auf eine Person zutrifft, dann auf Jim Sterne. Wir sprachen mit Jim Sterne über die Auswirkungen von Social Media auf die Webanalyse.

Jim Sterne, Target Marketing & WAA

Jim Sterne ist ein begnadeter Redner und zudem Autor zahlreicher Fachbücher. Als Geschäftsführer des Beratungsunternehmen Target Marketing und Präsident des WAA (Web Analytics Association) beschäftigt sich Sterne seit 1994 mit dem Internet als Marketingmedium. Für ihn ergeben sich vor allem durch die Social Networks neue Spielregeln, die Unternehmen im Umgang mit ihren Konsumenten unbedingt beachten sollten.

Adzine: Herr Sterne, vor drei Jahren sagten Sie auf der eMetrics in Düsseldorf: „The Internet sucks!“ Haben Sie noch immer so eine schlechte Meinung vom Internet?

Jim Sterne: Na ja, es ist noch immer ein wenig sucky, aber es ist auch sehr viel besser geworden. Firmen haben den Wert und die Vorteile des Internets für sich entdeckt und verbessern ihre Internetauftritte. In den letzten drei Jahren wurde dafür viel Geld investiert. Wenn wir heute über schlechte Unternehmenswebseiten sprechen, geschehen ja zwei Dinge: Die eigenen Angestellten informieren das Unternehmen viel eher über fehlerhafte Webseiten und dann haben wir noch Social Media. Da machen Fehler oder schlechte Unternehmensauftritte schnell die Runde. Also ja, es ist besser geworden. Die 3 Jahre machen schon einen großen Unterschied.

Adzine: Damals sagten Sie auch, dass die Unternehmen zu wenig die Userperspektive übernehmen, wenn sie ihre Webseiten gestalten. Ist das noch ein aktuelles Problem?

Jim Sterne In einigen Fällen schon. Wenn sie mal ins Internet gehen, finden sie beispielsweise Maschinenbauanbieter, die es mit ihrer Webseite allen Besuchern gleich Recht machen wollen. Man muss stattdessen die typischen Seitenbesucher identifizieren und genau analysieren, was die auf der Internetseite suchen. Daher ist die Kundensegmentierung eine sehr wertvolle und wichtige Maßnahme für jedes Unternehmen, das eine Unternehmensseite besitzt.

Adzine: Nach einer jüngsten Studie verbringt ein US-User monatlich durchschnittlich fünf Stunden in einem Social Network. In Deutschland sind es durchschnittlich drei Stunden …

Jim Sterne: Ich glaube keiner Studie, die mit Durchschnitten arbeitet. Wenn ich mein linkes Bein in einem Eisblock stelle, und mein rechtes in kochendes Wasser stecke, fühle ich mich doch nicht im Durchschnitt gut, oder? Das funktioniert so nicht. Vertrauen wir also lieber der Segmentierung: Bei Teenagern und jungen Erwachsenen sind es wohl eher 5 Stunden am Tag. Diese Altersgruppen sind doch den ganzen Tag dort angemeldet. Das ist ihre Art der Kommunikation. Ich bin 2 Stunden täglich dort online, weil es mein Geschäft ist. Bei meinen Eltern sind es null Stunden, denn die kommunizieren über E-Mail. Eine Studie mit einem solchen Ergebnis hat also keinerlei Bedeutung.

Adzine: Sind Social Networks/Social Media nach ihrem Verständnis echte Game Changer?

Jim Sterne: Ja! Es ist eine Erleichterung in der menschlichen Kommunikation. Telegraphie, Telefon, Handy, Internet und jetzt Social Media. Es vereinfacht unsere Kommunikation schon wieder. Nun zur Marketingperspektive: Eine Marke oder ein Unternehmen ist für mich als Verbraucher nicht mehr das, was sie/es über sich selbst sagt, sondern das, was meine Freunde darüber berichten. Social Media ist also ein Game Changer, auch für das Marketing der Unternehmen.

Adzine: Wie sehen sie das Thema Privacy und Social Networks, in Deutschland ein großes Thema?

Jim Sterne: Social Networking ist eine Kommunikation in der Öffentlichkeit. Wenn man etwas Privates zu sagen hat, sollte man dies nicht über Social Networks tun, es sei denn, es gibt dafür ein extra geschütztes Umfeld. Das müssen noch immer sehr viele Menschen lernen.

Adzine: Dann ist man in den Staaten wohl schon angenervt, wenn die Europäer und vor allem die Deutschen das Thema Datenschutz diskutieren?

Jim Sterne: Nein. Datenschutz ist ein sehr wichtiges Thema. In der Vergangenheit ging man in den USA viel zu lax damit um. Die beste Lösung für das Marketing ist daher nach meiner Ansicht ein Opt-in. Wenn ein Unternehmen einen User auf der Webseite trackt, weiß es nicht, wer der User ist. Dafür benötige ich also zum Beispiel keinen Opt-in für das Setzen von Cookies. Erst dann, wenn der User etwa einen Newsletter bestellt oder ein Buch kauft und seinen Namen, seine E-Mail-Adresse und Kreditkartennummer hinterlässt, ändert sich das. Es findet doch eine Art Austausch statt und als User muss ich mich immer fragen, ob ich einen vernünftigen Gegenwert für die Preisgabe der persönlichen Daten erhalte. Daher sollten Marketingspezialisten dem Kunden für die Preisgabe von persönlichen Daten auch immer einen vernünftigen Gegenwert anbieten. Von meinem Lieblingssupermarkt habe ich zum Beispiel eine persönliche Kundenkarte, die an der Kasse nach dem Einkauf eingescannt wird. Daher kennt der Supermarktbetreiber, was ich esse, wie viel Alkohol ich konsumiere, welche Arzneimittel ich kaufe …

Adzine: … und das macht sie nicht nervös?

Jim Sterne: Nein, überhaupt nicht, denn ich bekomme ja 2 Dollar Rabatt pro Einkauf.

Adzine: Typisch amerikanisch.

Jim Sterne: Ja, aber wehe der Supermarkt würde meine persönlichen Daten gegen meinen Willen weitergeben. Dann würde ich nämlich darüber bloggen, es weitersagen, Tweets absetzen und Interviews geben. Und sie würden schnell feststellen, dass es ein Riesenfehler war.

Adzine: Was wäre die Web Analytics eigentlich ohne Cookies?

Jim Sterne: Web Analytics ohne Cookies funktioniert nicht besonders gut. Es muss immer eine Technologie geben, die das Klickverhalten auf der Webseite tracken kann. Ich muss als Websitebetreiber nicht wissen, wer der User ist, ich muss nur wissen, welche Sites und welche Inhalte er schon gesehen hat. Cookies sind für die Webanalyse die einfachste und beste Wahl.

Adzine: Halten Sie es eigentlich für notwendig, dass es eine Art globale Datenschutzrichtlinie im Onlinemarketing gibt?

Jim Sterne: Nein, dafür gibt es zu viele kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern. Europäer sehen den Datenschutz nun einmal anders als wir US-Amerikaner. Wenn man es allerdings auf ethische Grundsätze herunterbrechen würde, dann glaube ich schon, dass ethische Unternehmen, also Unternehmen die wichtige Werte wie Datenschutz achten, sich auch global durchsetzen werden.

Adzine: Wie können Unternehmen nun von Social Media und der Webanalyse profitieren?

Jim Sterne: Drei Dinge. Erstens: Social Networks und Social Media im Allgemeinen sind neben den Suchmaschinen und den Werbebannern inzwischen wichtige Trafficquellen für die Unternehmensseiten. Die Herkunft der Quelle kann man mit Web Analytics natürlich nachverfolgen und dann entscheiden, wo zukünftige Marketingmaßnahmen am meisten Sinn machen. Zweitens: Zuhören. Unternehmen oder Marken sollten dort zuhören, was über sie gesagt wird. Wenn dann ein einzelner Angestellter, wie im Fall von Nestlé, sich dazu entscheidet, das Brand Book auf Facebook übertragen zu wollen und negative Äußerungen über das Unternehmen sowie die Nutzung eines veränderten Nestlé-Markenlogos in einem Viralspot untersagt, dann ist das „bizarrely stupid“. Nun rufen 93.000 Fans dazu auf, Nestlé-Produkte zu boykottieren. Noch einmal: Social Media und Social Networks haben die Welt verändert, bleibt zu hoffen, dass Nestlé die Lektion gelernt hat.

Adzine: Wäre es also für einige Unternehmen dann nicht besser, überhaupt nicht in Facebook und anderen Social Networks einzusteigen?

Jim Sterne: Nein, erstens sind Social Networks als Trafficquelle zu wichtig. Außerdem muss man, wie gesagt, lernen zuzuhören, was vielleicht auch für Toyota hilfreich gewesen wäre, bevor das ganze Beschleunigungsproblem von der Presse ausgeschlachtet wurde. Ich kenne ein Gegenbeispiel, bei dem eine Onlinetextanalysefirma den Autokonzern Ford vor einem ähnlichen Fiasko bewahren konnte. Dort gab es plötzlich Probleme mit einer bestimmten Reifenmarke und man konnte eine Rückrufaktion starten, bevor etwas Schlimmeres passiert ist.
Zurück zu ihrer vorangegangenen Frage: Der dritte Punkt ist Mitreden. Ein Unternehmen kann über die Social Networks mit seinen Kunden aktiv kommunizieren und für Customer Satisfaction sorgen, indem es auf Probleme eingeht und sich mit dem User und seinen Argumenten auseinandersetzt. Außerdem kann man dann über clevere Viralspots zusätzlich für Brand Awareness sorgen. Mein Lieblingsbeispiel ist zurzeit der Heineken-Football-Viralspot „Heineken is for fun“.

Adzine: Was halten Sie von den Facebook-Fanpages in Bezug auf Web Analytics?

Jim Sterne: Wenn ich eine Fanpage habe, kann ich die Besucherströme auf meiner Fanpage tracken und analysieren, was meine Besucher dort auf der Fanpage machen. Wenn ich also als Unternehmen bereits ein Webanalysetool nutze, das auch mit Facebook zusammenarbeitet, erhalte ich wertvolle Zusatzinformationen. Mithilfe der Social Networks kann ich also meinen Content im Netz verbreiten und zudem meine Web-Analytics-Fähigkeiten auf die Fanpages ausweiten.

Adzine: Welche Trends sehen Sie zurzeit in der Webanalyse?

Jim Sterne: Die Datenkombinationen. Immer mehr Unternehmen kombinieren ihre CRM- (Custom Relationship Management) Datensätze mit den gewonnenen Datensätzen aus dem Onlineverhalten und Meinungsumfragen auf der Website. Das führt zu einer immer höheren Qualität der Daten.

Adzine: Was kommt als nächstes in der Webanalyse

Jim Sterne: Es ist wie ein Pixelbild. Umso mehr Pixel ein Bild hat, desto besser die Auflösung. Das Gleiche gilt eigentlich auch für die Webanalyse: Umso mehr Daten ich habe, desto besser wird das Gesamtbild. Aber wir erhalten so viele unterschiedliche Arten von Informationen. Meist können wir sie noch immer nicht sinnvoll nutzen, geschweige denn, diese Daten aufeinander in Bezug setzen. Das Problem ist, dass derjenige, der die Daten auswerten soll, auch die richtigen Fragen stellen muss. Im Mai werden wird die WAA daher damit beginnen, eine Zertifizierung zum Webanalysten anzubieten. Hier geht es nicht darum, die Nutzung der einzelnen Web Analytics Tools zu erlernen. Es geht viel mehr darum, welche Daten man für welche Aufgabenstellung benötigt. Was der Web Analytics zudem noch fehlt, ist die Anerkennung im Senior Management. Diese Managementebene muss besser verstehen können, wie wertvoll Web Analytics für das eigene Unternehmen sein kann.

Herr Sterne, vielen Dank für das Gespräch!

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