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DISPLAY ADVERTISING - AGOF

Reichweitenerhebung: Mehr Netto vom Brutto

Jens von Rauchhaupt, 2. Juli 2010

Vor allem eine definitorische Anpassung des Multi-Client-Modells hatte erheblichen Einfluss auf die Nettoreichweiten der durch die AGOF ausgewiesenen Werbeträger in den jüngst erschienenen AGOF internet facts 2010-I. Aber warum steigt überhaupt die Nettoreichweite, wenn es immer derselbe Nutzer ist, der mit verschiedenen Browsern auf die Webseiten zugreift?

Die Werbeträger haben quasi auf einen Schlag in den AGOF internet facts 2010-I mehrere Millionen Unique User im Monat dazugewonnen. So konnte IP Deutschland etwa einen Anstieg von fast 9,5 Mio., Tomorrow Focus von 8,3 Mio. und OMS von 7,7 Mio. Unique User im Monat verzeichnen.

Was war geschehen? Zunächst erhöhte sich die Grundgesamtheit durch einen leichten Anstieg der Internetnutzer und die Zurechnung der EU Ausländer und deutschsprachigen Ausländer ab 14 Jahren. Der weiteste Nutzerkreis (WNK) der letzten drei Monate umfasst nunmehr 49,68 Mio. Menschen.  Bei den internet facts 2009-IV  waren es noch 43,49 Millionen. Dazu kommt ein saisonaler Effekt. Denn im ersten Quartal eines Jahres ist die Online-Aktivität der Nutzer immer höher als im letzten Quartal eines Jahres. Hauptverursacher des Nettoreichweitenanstieges ist aber die Feststellung einer veränderten Nutzungssituation.

Die ag.ma (Arbeitsgemeinschaft Media Analyse e.V.) und AGOF begleiteten die Studienerhebung  mit einer Telefon- und eine Onsite-Befragung zum Online-Nutzungsverhalten. Dabei stellten die Marktforscher fest, dass die Menschen inzwischen das Medium Internet anders nutzen als noch vor knapp zwei Jahren. Vor den internet facts 2010-I wurde ein Multi-Client-Nutzer als ein Nutzer definiert, wenn dieser mehr als 10 Prozent seiner gesamten Online-Nutzungszeit das Internet von mehr als einem Ort nutzt und/oder an einem Ort mit zwei Rechnern ins Internet geht. Ein Multi-Client-Nutzer wurde dann durch die Zusammenfassung von zwei Clients gebildet. Die neueren Untersuchungen zeigten, dass der Anteil von Usern mit mehr als einem Online-Zugang (Client/Browser) deutlich höher ist.

Claudia Dubrau, AGOF

Um diese geänderte Online-Nutzung gerecht zu werden, gilt ab der aktuellen AGOF-Ausweisung als Multi-Client-Nutzer, wer bei einer Nutzungsintensität ab 10 Prozent das Internet von mehr als einem Ort aus nutzt und/oder mit mehr als einem Browser pro Rechner online geht. Ein Multi-Client-Nutzer wird nun durch die Zusammenfassung von jetzt bis zu vier Clients gebildet. Der Anteil von Multi-Client-Nutzern stieg in den internet facts von bisher 37 Prozent auf jetzt satte 75 Prozent. Claudia Dubrau, Geschäftsführerin und Sprecherin Technische Kommission der AGOF, machte daher auf dem Hamburger Presse-Workshop zu den neuen internet facts 2010-I deutlich: „Wir fangen bei einem neuen Nullpunkt an – die Welt beginnt für uns sozusagen neu.“ Nadja Elias, Pressesprecherin der AGOF, ergänzte: „Mit der nötig gewordenen Definitionsanpassung, die wir jetzt vorgenommen haben, ist es schon so, als würde man auf den Reset-Knopf drücken.“

Das mit dem „Reset-Knopf“ nahm dann die Fachpresse genauso gebetsmühlenartig auf wie die offizielle AGOF-Darstellung über die Veränderungen der Grundgesamtheit und vor allem die AGOF-eigenen Erläuterungen der Multi-Client-Anpassung. Doch wir waren uns recht schnell sicher, dass die Änderung der Multi-Client-Definition mit ihren Folgen für die Nettoreichweite der Werbeträger erklärungsbedürftig ist. Lars Gibbe, Mitglied der Geschäftsführung der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), gesteht: „Im ersten Moment ist die Veränderung überraschend. Aber es ist doch nachvollziehbar, dass die Berücksichtigung von mehr Clients die Nettoreichweite erhöht. Wenn man bedenkt, was sich in den letzten Jahren auf dem Markt für Endgeräte getan hat, wird einem schnell klar, dass die Mediennutzung dem Forschungsmodell davongelaufen war. Es wurde es also Zeit für eine Anpassung.“

Auch auf der Facebook Seite von ADZINE wurde diskutiert, hier ein Auszug.

Jürgen Sandhöfer, Vorstandsvorsitzender der Sektion Internet in der AGOF, veranschaulicht für uns noch einmal die Konsequenzen der Multi-Client-Anpassung zeitgemäß und einfach. „Es ist 2010 – Weltmeisterschaft in Südafrika. Im Stadion von Johannesburg haben sich 84.000 Zuschauer eingefunden, wie wir anhand der verkauften Tickets feststellen können. Die Zuschauer haben sich während des Spiels und in der Halbzeitpause Verschiedenes gekauft, ein Bier, eine Cola, einen Hotdog, Eis, vielleicht einen Schokoriegel oder Gummibärchen. Die Verkaufszahlen zeigen, wie viel insgesamt von jedem dieser Snacks und Erfrischungen verkauft wurde. Nach dem Spiel befragen wir am Ausgang des Stadions eine Stichprobe der Zuschauer, was sie sich gekauft haben. Um zu erfahren, wie viele Besucher zu den Eisessern, wie viele zu den Biertrinkern, wie viele zu den Colatrinkern etc. gehören, errechnen wir die jeweilige Anzahl anhand der Gesamtverkäufe und der Daten der Stichprobe. Bei den bisherigen Befragungen nach WM-Spielen haben wir nur nach den zwei Hauptkäufen gefragt – bei einem Stadionbesuch haben die meisten Zuschauer bislang nur ein oder zwei Käufe getätigt. Dadurch haben wir eventuell vernachlässigt, dass der Biertrinker und Hotdogesser vielleicht in einem dritten Kauf zusätzlich auch noch ein Eis und eine Tüte Gummibärchen gekauft hat. Da wir nun festgestellt haben, dass die Zuschauer sich neuerdings mehrmals etwas kaufen und nicht alles in bis zu zwei Käufen holen, haben wir die Stichprobe angepasst und fragen auch nach einem dritten und vierten Kauf. Dabei zeigt sich, dass z.B. mehr Zuschauer zusätzlich auch Eis gekauft haben. Das bedeutet, Zuschauer, die wir bereits als Biertrinker und Gummibärchenesser kennen, werden jetzt auch zu Eisessern – die Zahl der einzelnen Eisesser steigt an. Da die Anzahl der gesamten Eisverkäufe gleich geblieben ist, sind wir also bislang davon ausgegangen, dass die bereits ‚bekannten‘ Eisesser bei einem Kauf mehr Eis einkaufen, durch die jetzt vergrößerte Eisesserschaft wird die Eismenge pro Person etwas geringer.“

Jürgen Sandhöfer, AGOF

Unberücksichtigt blieb bisher, ob ein Single-Client-User eventuell noch weitere Clients im System erzeugt, und zwar durch die Nutzung eines weiteren Browsers. Nach der Definitionsanpassung überprüft die AGOF dies. Auch ein User, der nur einen PC zum Surfen nutzt, kann nun ein sogenannter Multi-Client User sein, also ein User, der sich aus mehreren Nutzungssträngen zusammensetzt, wenn er mehrere Browser nutzt. So kann ja ein User aus beruflichen Gründen überwiegend Websites der Bereiche Nachrichten, Wirtschaft und Politik besuchen und auf einem anderen Browser Webseiten aus der Unterhaltung ansteuern. „Je nachdem, welcher der beiden Browser zufällig dem User zugewiesen wurde, wurde bisher entweder die berufliche oder die private Nutzung für diesen User nicht berücksichtigt“, sagt Sandhöfer. Durch die angepasste Multi-Client-Definition werden nun beide Nutzungsstränge dem User zugeordnet und so erhalten die Websites, die vorher unbeachtet blieben, einen neuen Nutzer (Unique User). „Bei den bisherigen Multi-Client-Usern, die ja eher ‚Multi-PC-User‘ waren, gilt dies natürlich gleichermaßen. Auch dort wurden bisher Nutzungsstränge nicht zugeordnet“, ergänzt Sandhöfer.

Lars Gibbe, OWM

Lars Gibbe vom OWM begrüßt die Anpassung der Multi-Client-Definition, macht aber auch klar, dass es sich um eine vorläufige Validierung der Client-Verteilung handelt. „Wir halten die Anpassung der Browseranzahl, die für den Großteil der Netto Zuwächse steht, für vertretbar, weil sie deutliche, faktische Veränderungen in der Onlinenutzung nachzeichnet. Gleichwohl haben wir noch größere Anstrengungen für die endgültige Validierung dieses Kennwertes eingefordert.“ Diese Validierung soll innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate erfolgen. Dann wissen wir alle, ob es sich bei der Anpassung der Multi-Client-Definition um eine wahre Leistungssteigerung oder eher um Leistungsdoping gehandelt hat.

Über den Autor/die Autorin:

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