EuGH: Google darf fremde Marken in AdWords zulassen – Markenrechtsverletzung sind aber dennoch denkbar
Martin Schirmbacher, 26. März 2010Selten ist in der SEM-Szene ein Gerichtsurteil mit so viel Spannung erwartet worden, wie das am Dienstag veröffentlichte Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Letztlich ist aber herausgekommen, was von Experten erwartet worden war. Der EuGH hat entschieden, dass Google keine Markenrechtsverletzung begeht, wenn es die Nutzung fremder Marken in seinem AdWords-System zulässt (Az. C-236/08 bis 238/08).
Allerdings lassen die Richter den Markeninhabern ein Hintertürchen offen: Im Einzelfall könne nämlich dennoch eine Beeinträchtigung der „herkunftsweisenden Funktion der Marke“ vorliegen. Darüber, wie weit das Türchen offen steht, scheint es schon wieder mehrere Meinungen zu geben.
Doch der Reihe nach: In dem zugrunde liegenden Fall gingen mehrere Markeninhaber gegen Google vor, weil Google zuließ, dass gezielt AdWords-Werbeanzeigen eingeblendet wurden, wenn Nutzer in das Google-Suchfeld einen Markennamen eingaben. Einer der Kläger war der Inhaber der Marke Louis Vuitton, der sich dagegen wandte, dass bei Eingabe des Markennamens in die Google-Suche eine Anzeige für eine Website erschien, unter der Plagiate von Louis-Vuitton-Produkten angeboten wurden. Verklagt wurde also nicht der Betreiber der Website, sondern Google als der Anbieter des AdWords-Dienstes. Der Ausgangsstreit spielt vor französischen Gerichten. Das vorlegende Gericht war der Cour de Cassation in Paris.
Die Klage gegen Google blieb ohne Erfolg. Der EuGH hat geurteilt, dass Google die Marke selbst nicht im geschäftlichen Verkehr nutze, sondern allenfalls Dritten (nämlich den Google-Kunden) die Verwendung des Markenbegriffs gestatte. Dies reiche nicht für eine Rechtsverletzung durch Google selbst. Ob Google für mögliche Rechtsverletzungen seiner Kunden hafte, sollten die Gerichte der Mitgliedstaaten, in dem Fall also Frankreich, klären. Die Chancen hierfür stehen aus Sicht der Markeninhaber aber nicht besonders gut, weil zugunsten von Google auch die Hostprovider-Privilegierung der E-Commerce-Richtlinie stünde. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wiederum beurteilt nach nationalem Recht – der Dienst rein technischer, automatischer und passiver Art ist und der Anbieter weder Kenntnis noch Kontrolle über die weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzt.
Nicht aus der Schusslinie sind damit aber die Werbetreibenden, die auf die fremden Marken buchen. Hier stellt der EuGH zunächst fest, dass in der Verwendung der Marke als Keyword durch den Werbetreibenden eine Benutzung der Marke für Waren oder Dienstleistungen im Sinne der Europäischen Markenrechtsrichtlinie liege. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Verwendung der Marke für den Internetnutzer nicht unmittelbar sichtbar sei.
Eine Rechtsverletzung durch die Werbetreibenden komme jedoch nur in Betracht, wenn durch die Nutzung der Marke eine wesentliche Funktion derselben beeinträchtigt werde. Dies sei jedoch nur der Fall, wenn „aus der Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke … oder vielmehr von einem Dritten stammen.“ Dies zu entscheiden, sei Sache der nationalen Gerichte.
Bemerkenswert ist dabei das Argument des EuGH, der Markeninhaber habe es ja in der Hand, in der organischen Suche ganz nach oben zu gelangen, um einen Kontrapunkt zu den Anzeigen zu setzen. In bemerkenswert naiver Weise führt der EuGH ins Feld, dass sich „die Reihenfolge der natürlichen Suchergebnisse nach der Relevanz der jeweiligen Websites in Bezug auf das vom Internetnutzer eingegebene Suchwort bestimmt“. Außerdem erscheine „die Homepage und Werbe-Website des Inhabers dieser Marke in der Liste der natürlichen Ergebnisse … normalerweise an einer der vordersten Stellen dieser Liste“. Offenbar ist dem EuGH nicht mitgeteilt worden, dass dies bei Weitem nicht selbstverständlich ist und sich ganze Konferenzen mit der Optimierung von Websites für die Google-Suche beschäftigen.
Wer mit fremden Marken werben will, muss also durch die Gestaltung der Anzeige oder auf andere Weise deutlich machen, dass die von ihm angebotenen Waren oder Dienstleistungen nicht im Zusammenhang mit dem eingegebenen Keyword stehen, sondern gegebenenfalls ein Konkurrenzprodukt sind. Ob darauf tatsächlich in der Anzeige hingewiesen werden muss oder sich das auch aus den Umständen ergeben kann, lässt der EuGH offen. Vieles spricht für Letzteres. Erscheint die als Keyword gebuchte fremde Marke nicht im Anzeigentext und ist auch eine anderweitige Verbindung nicht herstellbar, spricht alles dafür, dass in die Herkunftsfunktion der Marke nicht eingegriffen wird. Der EuGH erwähnt die deutliche Trennung zwischen organischer Suche und Werbeanzeigen nur am Rande. Hier dürfte jedoch ein entscheidender Punkt liegen. Ist die Trennung für jedermann sichtbar, liegt eine gedankliche Verbindung zwischen dem Markeninhaber und den von dem Wettbewerber beworbenen Produkten fern.
Zulässig ist daher nach dem EuGH Urteil die Buchung fremder Marken als Keyword, wenn jeder Eindruck einer Verbindung zum Markeninhaber vermieden wird. Taucht die Marke in der Anzeige nicht auf und muss der User auch sonst nicht annehmen, dass die beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Markeninhaber stammen, ist die Werbung markenrechtlich zulässig.
Unzulässig ist demgegenüber eine Werbung, wenn bei dem unbefangenen Publikum den Eindruck entsteht, es werde für Produkte geworben, die von dem Markeninhaber stammen. Danach hat Louis Vuitton natürlich gute Chancen, gegen den Plagiator und seine Website vorzugehen. Auch Shops, die die Marke nicht selbst führen, aber im Anzeigentext damit werben, handeln markenrechtswidrig, weil der Nutzer annehmen wird, dass eine Verbindung zwischen Marke und Werbenden dahingehend besteht, dass der Shop eben jene Marke im Angebot hat.
Neben den markenrechtlichen Ansprüchen bestehen in einigen Konstellationen auch wettbewerbsrechtliche Möglichkeiten, gegen den Werbenden vorzugehen. Wird etwa gezielt eine Domain als Keyword gebucht, liegt es nahe, eine wettbewerbswidrige Behinderung anzunehmen.
Noch sind vier weitere Verfahren beim EuGH zur Entscheidung anhängig. Große Überraschungen sind dabei nicht zu erwarten. Das Hintertürchen für die Markeninhaber scheint insgesamt nur einen Spalt breit offen zu sein, weil nur klare Verstöße sicher zu verfolgen sind. Konkurrenten, die auf die fremde Marke buchen und dabei jeden Eindruck einer Zusammengehörigkeit mit dem Markeninhaber vermeiden, sind in Zukunft auf der sicheren Seite.