Bei allem Hype um Facebook und Co. Wir Deutschen lieben bisher das entspannte Fernsehen. Im Jahr 2009 sah ein durchschnittlicher deutscher Zuschauer am Tag 212 Minuten fern, mehr als jemals zuvor. Nun ist hybrides Fernsehen im Anmarsch. Steht uns damit eine neue Medienära bevor? Wie wird das Fernsehen der Zukunft aussehen und wie schnell wird sich die neue Technik durchsetzen? Antworten darauf soll der zweite newTV-Kongress in der Medienstadt Hamburg finden. Wir haben uns jetzt schon mal zu diesem Thema umgehört.
Die Meinung von David Morgan, CEO von Simulmedia und zuvor Gründer der Targeting und Adserver-Unternehmen TACODA und Real Media, steht exemplarisch für die vieler Fachleute: „Online-Video-Advertising wird hinsichtlich der Werbegelder dem Fernsehen niemals den Rang ablaufen können. Die Nutzungserfahrung ist auf einem heimischen Großfernseher mit Surround Sound nun mal eine andere als auf einem Laptop oder 17-Zoll-Monitor.“ Fernsehzuschauer hätten eine höhere „Werbe-Toleranz“, die aus einer passiven (Lean-back) und sensitiven Nutzung herrührt. Schon vor 40 Jahren hatte der Kommunikationsexperte Marshall McLuhan die These aufgestellt, dass das Medium die Botschaft sei. „Das war vor 40 Jahren richtig und es stimmt noch heute“, sagt Morgan. „In den USA sind die TV-Werbespendings 66 Mal höher als die für Online-Videos. Da die Online-Nutzung – anders als bei Print – kaum zulasten der TV-Nutzung geht, wird das Fernsehen noch über Jahrzehnte das beherrschende Medium sein.“
Stimmt! Nur über welches Fernsehen sprechen wir eigentlich? Vielleicht kommt es nämlich bald gar nicht auf eine Unterscheidung zwischen TV- und Online-Nutzung an. Mit dem hybriden Fernsehen, also einem Gerät, das webbasiertes Fernsehen (IP TV) und klassisches Satelliten- bzw. Kabel-Fernsehen in sich vereint, könnte nämlich tatsächlich ein neues Medium entstehen. „Mit der neuen Entwicklung des hybriden Fernsehens haben wir völlig neue Möglichkeiten. Hier vereinigt sich das Beste aus beiden Welten: die günstige Technologie und Verbreitungsmöglichkeiten des Internets und gleichzeitig das Unterhaltungsmoment des klassischen Fernsehens“, sagt Kai Flatau, Berater für T-Entertainment (T-Online) und Geschäftsführer von Pro Digital TV, der zudem Leiter der newTV-Arbeitsgruppe Hamburg ist. „Der Pfiff des hybriden Fernsehens ist doch, dass der Zuschauer per Knopfdruck ganz einfach auf ein internetgestütztes Angebot wechselt, aber dabei seine Lean-back-Nutzungssituation beibehält.“
Einzelne TV-Geräte-Hersteller wie Panasonic (Viera Cast) und Philips (Net TV) sind bereits im Sommer 2009 nach vorne geprescht und haben ihre Geräte mit einem Internetanschluss ausgestattet. Doch dies wurde bisher eher als eine Art Versuchsstadium betrachtet. Nunmehr scheint sich aber im Hinblick Standardisierung einiges getan zu haben, wie Flatau berichtet: „Das Institut für Rundfunktechnik hat den neuen Standard HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) zur europäischen Normierung angemeldet. Dieser Standard beschreibt die technischen Möglichkeiten, webbasierte Angebote für das Fernsehen sichtbar zu machen.“ Treibende Kräfte hinter dieser Anmeldung seien laut Flatau die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Zudem steht hinter HbbTV ein Konsortium führender Unternehmen der europäischen Fernsehindustrie. Dabei werden dem Zuschauer zwei Nutzungsszenarien offenstehen, wie Flatau erklärt: „Einmal wird dem Zuschauer wie bei Net-TV von Philips eine eigene Online-Angebotswelt offeriert, zweitens werden die Sender sogenannte „Red-Button-Applikationen“ innerhalb des Programms anbieten, die der Nutzer dann während der Sendung anklicken kann. Beide Szenarien schließen sich dabei nicht aus.“ Flatau geht davon aus, dass zukünftig Zusatzapplikationen innerhalb des Programms eher von den großen Sendern genutzt werden, während das Net-TV-Nutzungsszenario sich eher an neue Marktteilnehmer richtet, Bewegtbildinhalte im Fernsehen zu platzieren.
Hat ein solches hybrides Fernsehen also tatsächlich das Zeug für eine Medienrevolution? Torsten Hoffmann von Global Media Consult sieht es eher als einen lang anhaltenden Prozess: „Es wird eher einen langsamen Shift geben. Wir sehen ja gerade die Probleme der kleinen Free-TV-Sender, auch der traditionelle Pay-TV-Markt wächst in Deutschland kaum mehr. Gleichzeitig sehen wir eine starke Entwicklung der neuen Online-Plattformen. Es ist keine Revolution, sondern eine Evolution in Richtung Interaktivität und webbasiertem Fernsehen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. In Prinzip nutzt ja schon heute jeder webbasiertes Fernsehen auf YouTube, Sevenload usw. und gleichzeitig schauen die Menschen auch traditionelles Fernsehen wie etwa zur Winterolympiade. Die Anteile werden sich aber verlagern, wenn immer mehr Fernseher in den Haushalten internetfähig sind. Hierfür gibt es kein festes Datum. Jede ernst zu nehmende TV-Gesellschaft der Welt beschäftigt sich zurzeit mit dem Thema webbasiertes Fernsehen und Interaktivität“, erläutert Hoffmann, dessen Unternehmen Global Media Consult weltweit 35 Fernsehsender vertritt und berät.
Für Hoffmann sind die Marktführer in den jeweiligen Ländern derzeit die Treiber für gemeinsame Standards. Doch von einer Massentauglichkeit will Hoffmann noch nicht sprechen. Vielmehr sieht er zunächst eine andere Entwicklung auf die Branche zukommen, die sich ja schon bereits jetzt abzeichnet: „Ich glaube eher daran, dass bestehende Plattformen einfach parallel genutzt werden. D.h., dem Zuschauer wird auf den Fernsehbildschirm die Sendung ausgestrahlt, die Interaktion findet aber bspw. über das iPhone oder Facebook, Twitter oder eine E-Mail am Laptop statt. Die respondierende E-Mail muss ja nicht über den Fernseher abgesendet werden. Dies war auch ein Ergebnis aus einer Umfrage unter 300 internationalen TV-Profis, die wir vor Kurzem durchgeführt haben.“
Hoffmann wird auf den newTV-Kongress am 23. Februar unter anderem wildearth.TV vorstellen. Ein interessantes Projekt, das auch einen Vorgeschmack auf die nahe Zukunft gibt. Die Online-TV-Plattform wildearth.TV produziert Live-Wildlife-Content für das Internet. „Jeden Tag finden dort Realtime-Safaris aus dem Krueger Nationalpark statt, der User weiß nie, was plötzlich um die Ecke kommt. Dadurch, dass sich immer die gleichen Tiere dort aufhalten, hat jedes Tier einen eigenen Charakter, eine eigene Story und Sie werden es erahnen, einen eigenen Facebook Account. So ist Lily, the Black Bear, unser Star, der Knut wohlmöglich bald den Rang ablaufen wird. Der Bär hat schon jetzt 80.000 Fans auf Facebook, das sind mehr als Paris Hilton oder The David Letterman Show. Später werden wir daraus Inhalte konfektionieren und Fernsehsendern als Content anbieten. Gleichzeitig entwickeln wir gerade aus dem Online-Konzept einen internationalen Fernsehsender. Und das ist genau der Weg für die Zukunft. Man muss alle Plattformen und alle Möglichkeiten ausschöpfen. Die klassischen Trennlinien zwischen TV-Sender, Produzent, Online-Plattform, Community usw. verschwinden.“
Für Hoffmann steht zurzeit die Kostenfrage der kleine TV-Sender im Vordergrund: wildearth.TV hat 2 Kameras und macht damit 9 Stunden Live-Content täglich, National Geographic brauchen vielleicht neun Tage für 2 Minuten Footage. Natürlich ist letzterer Content hochwertiger, aber die Kosten der Produktion sind bei wildearth.TV im Vergleich 95 Prozent geringer. Um zukunftsfähig zu sein, muss man die Produktionskosten deutlich reduzieren, da große Distributionsdeals immer seltener werden. In einem anderen Projekt launchen wir beispielsweise gerade einen ganzen digitalen Pay-TV-Channel für unter 10.000 Dollar operative Kosten pro Monat: Content, Technik, und ‚Transport‘ nach Asien. Und das ist die Entwicklung am Markt: immer kleinere Sender mit äußerst niedriger Kostenstruktur.“
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