Den Traum vom großen Geld durch Werbeerlöse haben einige Online-Angebote immer noch nicht abgelegt. Doch sowohl für Internet-Start-ups wie auch etablierte Contentanbieter hängen die Früchte der Vermarktung immer höher.
Wer eine gut frequentierte Website sein Eigen nennt oder von seinem neuen Online-Geschäftsmodell dermaßen überzeugt ist, dass die User ihm die Tore einrennen, denkt schnell über die Werbefinanzierung seiner Website nach. Doch diese Art der Monetarisierung wirft zunehmend Fragen auf. Wie lässt sich eigentlich das Vermarktungspotenzial des eigenen Webauftritts bewerten? Und ab wann lohnt es sich überhaupt über eine Vermarktung des Online-Angebots nachzudenken?
Dazu hat die Interim-Managerin und Vermarktungsexpertin Anke Felbor eine eigene Checkliste entwickelt: „Bei den Gesprächen mit meinen Mandanten sind immer wieder die gleichen Fragen aufgeworfen worden. Das Vermarktungspotenzial von werbefinanzierten Geschäftsmodellen lässt sich über die folgenden Faktoren bewerten: Zielgruppe & Reichweite, Wettbewerb, mögliche Werbeformen, die technische Voraussetzung sowie die Leistungsfähigkeit des Sales Teams.“
Werbeerlöse als Kirsche auf dem Sahnehäubchen
Jan Schlüter, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Mediakraft, welches u.a. Tape TV, die israelische DSNR Media Group (DMG) berät, will da nicht widersprechen. „Grundsätzlich sind solche Checklisten hilfreich, wenn es sich bei den Kunden um Start-up-Unternehmen in der Planungsphase handelt. Ich rate aber generell jedem meiner Kunden davon ab, sein Businessmodell ausschließlich auf Werbeerlöse auszurichten. Bei den zurzeit stark sinkenden Werbepreisen sollte das Unternehmen sofort sein Geschäftsmodell überdenken. Werbeerlöse können vielleicht als Kirsche auf dem Sahnehäubchen mitgenommen werden. Der Schwerpunkt der Gewinnerzielung sollte aber auf jeden Fall woanders liegen.“
Ganz so dramatisch wie Schlüter sieht es Ralf Scharnhorst, Geschäftsführer von der Beratungs- und Planungsagentur Scharnhorst Media derweil nicht, gleichwohl er es war, der jüngst in einem HORIZONT-Beitrag darauf aufmerksam gemacht hat, dass von 2008 bis 2009 der durch-schnittliche Netto-TKP nach seinen Berechnungen von 14 auf 4 EURO gesunken sei. „Die Werbepreise schwanken stark mit der Konjunktur. Das ist natürlich auch der Grund, warum alle Welt derzeit über Paid Content spricht. Es gibt ja im Prinzip nur drei Säulen, wie man ein Online-Angebot finanzieren kann: Das sind Werbeerlöse, Paid Content bzw. ein kostenpflichtiger Zugang wie bei Xing sowie der Verkauf von Produkten. Von diesen drei Möglichkeiten ist die Werbung noch immer der allgemein zugänglichste Weg.“ Scharnhorst Media berät explizit Online-Medien in puncto Vermarktung.
„Wir schätzen zunächst die Zielgruppe des Mediums ein und berechnen daraus den Wert der Werbeflächen eines Online-Angebotes. Zudem arbeiten wir zur Bewertung des Kundenangebotes mit einer sogenannten Vermarkungskaskade, die alle acht wichtigen Vermarktungsmöglichkeiten berücksichtigt. Um anschließend den passenden Vermarkter für den Kunden auszuwählen, haben wir den agenturtypischen Pitchauswahlprozess auf die Vermarkter übertragen“, verrät Scharnhorst.
Ab welcher Reichweite macht eine Vermarktung Sinn?
Ist man von seinem Angebot überzeugt und entscheidet man sich für eine Monetarisierung über Werbeerlöse, kommt spätestens im ersten Verkaufsgespräch die Frage nach der Reichweite.
„Die kleineren Kunden, die wir beraten, haben etwa 3 Mio. Ad Impressions im Monat. Das führt etwa zu monatlichen Werbeerlösen von gut 2.000 EURO. Ab dieser Größe fängt es erst an, interessant zu werden“, meint Scharnhorst. Bei weniger Reichweite empfiehlt Scharnhorst die Nutzung von Google AdSense und zudem die Nutzung von weiteren Marktplätzen bzw. Adexchanges wie beispielsweise AdScale.
Jan Schlüter, ehemaliger Geschäftsführer beim Vermarkter TripleDoubleU, will sich nicht auf eine fixe Reichweitenzahl festlegen: „Es gibt darauf einfach keine pauschale Antwort, ein ‚Schema F‘ oder gar eine Schablone, die zur Beantwortung dieser Frage herangezogen werden kann. Vor wenigen Jahren konnte ein Online-Werbeträger mit ca. 60.000 bis 100.000 Unique User sehr gute Umsätze erzielen, z.B. bei Reise- und Autoportalen. Doch die Zeiten sind vorbei. Heute gibt es am Markt zu viele Mitbewerber und die Preise für Standard-Werbeformen liegen brach. Es gibt zwar immer wieder ‚neue‘ Formate, aber auch deren Preiskurve zeigt nach unten. Ein großer Anteil an der Attraktivität der Werbeträger gegenüber Werbetreibenden liegt der Zielgruppe, die die Webseite besucht, zugrunde. Wer mit seiner Webseite einfach alle ansprechen will, hat es besonders schwer, sich allein nur von Werbung zu finanzieren. Dann braucht man heutzutage deutlich mehr als 1 Mio. Unique User und einen wirklichen USP.“
Anders wertet Schlüter die Lage bei Online-Angeboten mit spitzeren Zielgruppen. „Wenn man in einer besonderen Zielgruppe eine besondere Kernkompetenz innehat und in dieser Zielgruppe eine im Verhältnis gesehen hohe Reichweite, dann braucht es nicht unbedingt eine kritische Masse, da freuen sich die Werbetreibenden, wenn Sie überhaupt ihre Zielgruppe dort erreichen.
Selbst- oder Fremdvermarktung?
Daher stellt sich hier die grundsätzliche Frage nach dem Sales Team. Sollte das Online-Angebot also ein eigenes Sales Team aus dem Boden stampfen und damit Personalkosten einkalkulieren oder lieber diese Aufgabe einem externen Vermarkter übertragen, der freilich seinen Anteil an jeder verkauften Ad Impression verlangt. Hier gehen die Meinungen der Experten deutlich auseinander:
„Vermarkter sind die vermeintlichen ‚Verkaufsprofis‘ für Publisher und der Zugang zu Agenturen und Marken und somit zu Werbeerlösen. Nicht alle, aber die meisten Vermarkter sind ‚Verwalter von sehr, sehr vielen Publishern‘, da bleibt natürlich die individuelle Betreuung oftmals auf der Strecke und auch die Handhabe, sich und seinen Werbeträger bei den Agenturen und Marken zu platzieren. Die Vermarkter sind auch ‚nur‘ Kaufleute und kümmern sich intensiv um die Plattformen, die am meisten Umsatz für den Vermarkter bedeuten. Da überlegt sich natürlich die einzelne Webseite, den Vertrieb der Werbeflächen selbst in die Hand zu nehmen“, erläutert Schlüter.
Allerdings spricht laut Schlüter auch einiges gegen eine Eigenvermarktung. „Gegen diese Überlegungen stehen die Bestrebungen der Agenturen und Marken, mit möglichst wenigen Ansprechpartnern im Wertschöpfungsprozess der Kampagnenrealisation zu tun zu haben, denn viele Ansprechpartner bedeuten viel Administration und hohe Administrationskosten. Marken und Agenturen wünschen sich wenige große Vermarkter, mit denen man alle Kampagnenziele (Reichweite, Zielgruppe) erreichen kann. Da ist wenig Spielraum für Eigenvermarktung. Sie ist schlichtweg nicht erwünscht. Eigenvermarktung ist nur möglich und akzeptiert, wenn der Werbeträger Potenzial auf schnelles Reichweitenwachstum hat oder sehr innovativ ist oder einen besonderen USP vorweisen kann, oder alles in sich vereint.“
Ralf Scharnhorst präferiert eher die Fremdvermarktung, vor allem dann wenn es sich beim Online Medium um ein Start-up-Unternehmen handelt. Bei der Eigenvermarktung kann der Publisher natürlich rein rechnerisch den höchsten Preis erzielen. Aber sie ist auch die Vermarktungsstufe, die am längsten braucht, um sich Erfolg versprechend aufzubauen. Daher empfehlen wir gerade den Kunden, die bei null starten, einen Exklusiv-Vermarkter mit ins Boot zu nehmen. Das führt zu stabilen Preisen und ein Exklusiv-Vermarkter kann relativ schnell den Verkauf starten, da er bereits über die nötigen Kontakte zu den Werbekunden und Agenturen verfügt. Wir raten aber grundsätzlich auch immer dazu, eine Eigenvermarktung aufzubauen. Bis sich dort der Erfolg einstellt, kann es jedoch ein Jahr dauern.“
Falsche Vorstellungen
Ein Patentrezept gibt es nicht. Gerade junge Unternehmen hätten laut Felbor oftmals falsche Vorstellungen hinsichtlich ihres Umsatzpotenzials. „Meiner Erfahrung nach überschätzen gerade die werbefinanzierten Start-ups immer noch das Umsatzpotenzial von Online-Werbung. Im Überangebot des Marktes ist eine sehr hohe Reichweite oder eine genau ansteuerbare Premium-Zielgruppe Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vermarktung. Aber trotz eines ausgefeilten Targeting decken die Werbeumsätze häufig nicht die operativen Kosten. Zusätzlich müssen intelligente Konzepte entwickelt werden, über Premiuminhalte, Mitgliedschaften oder Content-Kooperationen zusätzliche Erlöse zu generieren, ohne Nutzer zu verlieren. Die Auswahl des richtigen Vermarkters und dessen Steuerung verursacht zudem einen hohen Aufwand und muss von jemandem verantwortet werden, der die Anbieter im Markt und die Marktgepflogenheiten sehr genau kennt“, sagt Felbor.
Fazit
Der Werbemarkt wartet nicht gerade auf Neulinge, die zusätzliche Online-Medialeistung zur Verfügung stellen. Selbst bekannte bestehende Medienmarken haben mit dem Überangebot und dem Preisdruck zu kämpfen. Nicht grundlos finden sich auch auf den Marktplätzen wie Adscale und RightMedia inzwischen große Online-Publisher wie Gruner+Jahr und Axel Springer. Eine Individual- und Eigenvermarktung von neuen und unbekannten Angeboten wird damit zusehends aussichtlos und der Verkauf über Marktplätze und Exchanges die erfolgversprechendste Alternative.