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DISPLAY ADVERTISING

Zählung des Sichtbaren

Jens von Rauchhaupt, 19. November 2009

Vorangegangene Woche präsentierte der Rich-Media-Anbieter EyeWonder ein neues Mess- und Reportingprodukt namens Ad Visibility Suite, das in der Lage ist, nur tatsächliche Sichtkontakte und die Verweildauern des Users vor einem Rich-Media-Werbemittel zu ermitteln. Werden eigentlich Sichtkontakte von Werbebannern im unteren Bereich einer Internetseite gezählt, wenn der User die Site aufruft, aber nicht runterscrollt?

Martin Lütgenau, Tomorrow Focus

Nahezu alle Premiumsites bieten ihre auf TKP basierten Werbeplatzierungen ausschließlich im sichtbaren oberen Bereich ihrer Webseiten an. Und das hat auch einen guten Grund wie Martin Lütgenau, Geschäftsführer der Tomorrow Focus Portal GmbH, erläutert. „Die Ad Impression wird natürlich beim Laden der Seite sofort gezählt, egal ob im sichtbaren oder nicht sofort sichtbaren Bereich der Seite. Branding-Kunden, die klassisch auf TKP-Basis einbuchen, werden bei Tomorrow Focus nur im sofort sichtbaren Bereich, ‚above the fold’ ausgeliefert. Werbeformen im nicht sofort sichtbaren Bereich werden meist für performance-orientierte Kunden auf Textlink-Basis bzw. Text/Bild-Basis genutzt. Es gibt bei uns folglich eine klare Differenzierung und für beide Segmente unterschiedliche Preise.“ 

Jens Pöppelmann, BVDW

Jens Pöppelmann, Arbeitskreisleiter Ad Technology beim BVDW und in der Geschäftsleitung bei IP Deutschland: „Gerade Sites mit vielen redaktionellen Inhalten auf der Homepage sind interessante Beispiele: Mit dem Aufruf eines Artikels, steigt der User in die Inhalte einer Seite ein. Durch das Lesen eines Artikels erreicht der User auch den nicht sichtbaren Bereich einer Seite. Werbung, die ggf. in diesem Bereich platziert worden ist, wird daher gesehen. Tendenziell versuchen Vermarkter Werbung im sichtbaren Bereich zu platzieren. Es gibt Vermarkter, die zwischen buchbaren Werbeformen im nicht sichtbaren und sichtbaren Bereich unterscheiden. Dementsprechend werden für Platzierungen im nicht sichtbaren Bereich teilweise andere Preise verlangt bzw. werden für Low-TKP- und CPC-Buchungen genutzt. Eine Notwendigkeit, die Reports mit Infos wie 'sichtbar' und 'nicht sichtbar' anzureichern, wurde daher bisher nicht gesehen.“

Doch ohne die Gewissheit des echten Sichtkontaktes bleibt hochwertiges Premiuminventar im unteren, nicht sichtbaren Bereich doch Inventar 2. Klasse. Eine Problemstellung, die wenigstens im Bereich Rich Media nun gelöst wurde, auch bei Tomorrow Focus wie Lütgenau erläutert: „Vor einigen Monaten haben wir das Footer Ad entwickelt, um den nicht sofort sichtbaren Bereich effizient für Branding-Kunden zu nutzen: Das Werbemittel wird erst dann geladen, wenn der User ganz nach unten gescrollt hat. Dadurch wird erstens sichergestellt, dass ein Sichtkontakt definitiv hergestellt wird. Zweitens hat der User seinen Informationsbedarf am Ende einer Seite gestillt und ist deutlich offener für Werbung.“

FooterAd von Tomorrow Focus. Rich media Stream startet erst nach dem vollständigen Herunterscrollen

In dem von Lütgenau beschriebenen Fall holt sich der Publisher Ad Server mittels Redirect das Werbemittel vom Server des Werbungtreibenden, also meist vom Agenturen-Ad-Server. Damit entstehen keine Zählabweichungen, alles läuft seinen vorbestimmten Gang. Doch die Regel ist dies indes nicht, wie Tim Weber, Sales Director bei EyeWonder, erläutert: „In der Tat ist dieses Beispiel von Tomorrow Focus noch eine Ausnahme und ergänzt sich hervorragend mit der Ad Visibility Suite – es geht aber in die für alle Beteiligten richtige Richtung, Sichtbarkeit und saubere Zählung zu festen Größen im Reportingsystem aufzubauen.“

Tim Weber, EyeWonder

EyeWonder-Lösung

Eine neue Ergänzung, die für die Marktpartner unterschiedlich nutzbar wird, ist das neue Reportingtool von EyeWonder, das zudem keine Zusatzkosten bei den Kunden von EyeWonder verursachen soll. „Die Ad Visibility Suite misst die Views und Interaktivität unserer Werbemittel erst dann, wenn der Internetnutzer tatsächlich das Werbeformat ‚berührt’. Mediaagenturen sind damit in der Lage, prozentual auszuweisen, was tatsächlich vom Internetnutzer gesehen wird. Dem Publisher ermöglicht das Reportingtool zu analysieren, wie viele User nach unten scrollen, bzw. er erhält Kenntnis darüber, wie viele Nutzer bereits im oberen Bereich seiner Seite verloren gehen.

Andreas Schwibbe, Adnologies

Kreativagenturen profitieren nachweislich davon, ob ihre interaktiven Werbeformate unter Effizienzkriterien punkten, weil auch diese gemessen werden können“, sagt Weber, der die derzeit eingesetzten Systeme und Technologien für das Reporting als „meistens inhomogen“ beschreibt. Wie technologisch solche Messungen bewerkstelligt werden, erläutert Andreas Schwibbe, Geschäftsführer des Ad-Server-Anbieters adnologies: „Solche Systeme funktionieren über Skriptsprachen. Per Javascript kann die Bildschirmgröße und wieweit der User gescrollt hat, aus dem Browser ausgelesen werden. Die exakte Position des Ad Tags wird ebenfalls ermittelt und dem System mitgeteilt. Aus diesen Angaben können dann der tatsächliche Sichtkontakt und die Sichtdauer berechnet werden."

Sichtbarkeits-Reporting für Publisher?

Nicht jeder Publisher/Vermarkter bietet ein Footer Ad wie Tomorrow Focus. Sollten Publisher also nicht eine Reportinglösung à la EyeWonder implementieren, um gegenüber den Mediaagenturen genauere Ergebnisse zu liefern? „Der Publisher platziert die Ad Tags i.d.R. selber und ist daher über die Sichtbarkeit informiert. Sicherlich ist eine solche Messmethodik für Display Ads auch für Publisher ein `Nice to Have´, um die Platzierungen im Bezug auf unterschiedliche Bildschirmgrößen besser nachvollziehen zu können oder Platzierungen mit garantierter Sichtbarkeit besser zu bepreisen", sagt Schwibbe.

Martin Lütgenau vertritt dagegen die Auffassung, dass der Einsatz eines solchen EyeWonder-Systems Sache der Agenturen sei: „Diese Messmethodik ist nur sinnvoll auf Kampagnen- bzw. Motiv-Ebene. Ganz pragmatisch gesehen: Die meisten Banner werden von Kunden und Agenturen über Redirects gebucht und ausgeliefert. Somit wäre es am einfachsten, wenn diese Messung über die Kunden oder Agenturen erfolgt.“

Oliver Weiss, Facilitate Digital

Hier widerspricht der Technologiepartner von EyeWonder in Person von Oliver Weiss, Deutschlandchef vom Agentur-Ad-Server-Anbieter Facilitate Digital: „Nein, das denke ich nicht. Würde solch ein Analyse- und Reportingsystem wie das von EyeWonder nur aufseiten der Agentur seine Verwendung für Werbemittel im unteren Seitenbereich finden, erhält die altbekannte Diskussion um Zähldifferenzen eine ganz neue Dynamik. Der Publisher Ad Server würde die Impression auch ohne Sichtkontakt zählen, während man auf Agenturseite nun die Gewissheit hätte, dass der User überhaupt gar nichts vom Werbemittel mitbekommen hat. Daher würde es meiner Ansicht nach auf jeden Fall Sinn machen, eine solch geartete Messmethodik in das Ad-Server-System des Publishers zu integrieren.“

Weber vermutet: „Sowie zwei unterschiedliche Systeme von Agentur- bzw. Publisherseite in den Prozess involviert sind, kommt es zu unterschiedlichen Zählungen. Auch Publisher können mithilfe der Ad Visibility Suite eine Analyse der ‚Wertigkeit’ ihrer Werbeplätze bekommen und gegebenenfalls mit unterschiedlichen Angeboten für Branding-/Performancekampagnen reagieren. Wenn sämtliche Werbemittel über unser System ausgeliefert werden, lässt sich dieser Ansatz auch auf Standard-Displaywerbemittel ausweiten.“

Weiss von Facilitate sieht jedoch ein weiteres Problem bei einem einseitigen Einsatzes eines solchen Reportingsystems auf Agenturseite: „Würden Publisher und Agenturen sich auf Zählung der tatsächlichen Sichtkontakte beschränken, hätte dies auch Auswirkungen auf performancebasierte Display-Kampagnen. Mit einem Wegfallen der Impressions, die der User nie zu Gesicht bekommt, verbessert sich doch automatisch die Conversionrate.“

Screenshot der EyeWonder Suite

Die Diskussion um die Messung und dem Reporting der Sichtbarkeit der Werbemittel steht also noch am Anfang. Dabei muss sich die Lösung von EyeWonder nicht zwangsläufig als „das Reportingsystem“ etablieren. Auch andere Unternehmen wie Eyeblaster oder adnologies arbeiten an ähnlichen Lösungen. „Für unsere nächste Ad Server Release Q1/2010 planen wir bei adnologies ein Package mit ganz ähnlichen Funktionen, darunter befindet sich neben der Sichtkontakt-Messung auch ein virtuelles Eyetrackingsystem, in dem sich innerhalb des Werbemittels Interaktionen und Wahrnehmungen des Nutzers messen und vorhersagen lassen", erläutert Schwibbe von adnologies. Für Martin Lütgenau von Tomorrow Focus steht mehr die Verweildauer auf der Agenda: „Eine View-Time-Währung einzuführen ist aber durchaus eine überdenkenswerte Option für Publisher und Vermarkter.“

Über den Autor/die Autorin:

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