Wer vor einem Jahr gedacht hätte, dass Software-Systeme zur Analyse des Besucherverhaltens auf Websites auf einer Art vorläufigem Plateau in der Entwicklungsgeschwindigkeit hinsichtlich neuer Reports und Auswertungsfunktionen angelangt waren, wurde in den letzten Monaten schnell eines Besseren belehrt. Besonders in den Bereichen zusätzliche Datenquellen, flexible Konfigurierbarkeit, Visualisierungen und Optimierungsmethoden hat sich sehr viel getan. Ein Sorgenkind der Branche bleibt der von außen oft angemahnte Datenschutz, ohne klare Kriterien für die Unterscheidung von angemessenem vs. unangemessenem Umgang mit den Daten zu liefern.
Streams, Mobile und Social Web
Die jetzt abgeschlossene vollständige Aktualisierung des ‚Einkaufsführers Web Analytics‘, einer detaillierten Übersicht zu entsprechenden Systemen, hat eindrücklich gezeigt, dass die führenden Tool-Anbieter unvermindert am Ausbau der Funktionalitäten ihrer Angebote arbeiten. Den Ansprüchen ihrer Nutzer ein wenig voraus sind sie dabei meist in der Erschließung neuer Datenquellen. 2008 konzentrierte sich diese Aufmerksamkeit auf die sorgfältige Erfassung der Nutzer-Interaktionen mit den zunehmend populären Audio- und Video-Streams auf Websites. Diese Formate haben vor allem in diesem Jahr eine weite Verbreitung gefunden und das Bedürfnis der Content-Anbieter befördert, nicht nur zu wissen, dass ein Video abgerufen wurde, sondern auch wie lange es im Durchschnitt abgespielt wird und vor allem auch ob und wie Werbeformate in Video-Streams funktionieren.
Der gegenwärtig laufende Test verschiedener Tools und Kennzahlen zur Messung dieser Formate der AGOF belegt die Wichtigkeit der Erfassung. Noch nicht so sehr im Fokus der meisten Kunden steht dagegen bisher die genauere Erfassung von Nutzern, die über Mobil-Geräte zugreifen. Tatsächlich halten viele Analytics-Anbieter inzwischen spezielle Trackingmethoden und Codes bereit, um genauere Daten zu liefern. Viel geredet wird dagegen über Events im Social Web, seien es nun Nachrichten über Twitter, Facebook-Apps oder auch Konversationen in Blogs. Angesichts der Tatsache, dass lange nicht mehr alles, was ein Unternehmen oder seine Produkte betrifft, auf der unternehmenseigenen Website geschieht, wird eine Integration dieser site-externen Nutzeräußerungen wichtiger, allerdings lassen sich die Daten nicht leicht in die vorhandenen Analyse-Strukturen einpassen.
Ein Dashboard statt 1.000 Reports
Ein großes Thema hinsichtlich einer produktiven Nutzung der Traffic-Analysen ist immer die Unterscheidung von wichtigen und nicht so wichtigen Informationen. Die Festlegung unternehmens-spezifischer Kennzahlen bietet klassischerweise den Hebel, um zu handlungsrelevanten Auswertungen zu kommen. Die Mehrzahl der Anbieter der Tools hat auf diese Ansprüche nur langsam reagiert. Die Einrichtung von Zielgruppen, Kennzahlen, automatisierter Reports und Dashboards erfordert eben auch von den Tool-Nutzern einiges Engagement und einen professionellen Umgang mit den zunehmend komplexer werdenden Analyse-Werkzeugen, sodass sich hier vielleicht auch in den Tools und bei ihren Nutzern selbst eine neue Trennlinie zwischen wirklich professionellen Systemen und Anwendern und Angeboten zum Tracking von Websites mit einem Wie-viele-PIs/Besuche/Besucher-hatten-wir-letzten-Monat-Ansatz zeigt. Jedenfalls bieten die Top-Anbieter ihren Kunden inzwischen sehr gute Möglichkeiten, die Analysen zu individualisieren und aussagestark zu machen, ohne dabei auf die hauseigene Tabellenkalkulation zurückgreifen zu müssen.
Von der Analyse zur Optimierung: Surveys & MVT
Seit einigen Jahren nimmt der Einsatz von A/B-Tests und multivariaten Tests (MVT) zur Optimierung insbesondere von Landing Pages und anderen wichtigeren Website-Bereichen zögerlich, aber deutlich zu. Dieser Markt wurde lange Zeit von Google (Google Website Optimizer) auf der einen und Omnitures Test & Target-System auf der anderen Seite dominiert. Zwar gibt es einige von den Analyse-Tools selbst unabhängige Anbieter (z.B. Divolution, Maxymiser), aber eine Integration mit dem Gesamt-Tracking der Site liegt doch nahe. Viele Anbieter von Analyse-Systemen wie etwa Econda, Nedstat, Webtrekk oder Webtrends haben dies in den letzten Monaten zum Anlass genommen, ihre Angebote auszubauen.
Sei es, dass spezialisierte Unternehmen aufgekauft (Webtrends und Widemile), sei es, dass eigene Systeme entwickelt wurden. Insbesondere die statistisch vergleichsweise anspruchsvollen multivariaten Tests erfordern dabei ein gutes Fingerspitzengefühl für die Balance zwischen komplexen Konfigurationsmöglichkeiten und der unkomplizierten Begleitung des Nutzers durch den Testprozess. Neben den rein traffic-basierten Testmethoden erlebt ein methodisch eher schlichtes Werkzeug eine neue Blüte: Die Online-Umfragen oder Surveys. Mit einfachen, aber direkten Fragen an die Besucher der Website können die quantitativen Verhaltensdaten mit qualitativen Informationen angereichert werden und so gute Hinweise auf Optimierungsnotwendigkeiten geben. Auch hier gibt es schon eine ganze Weile ein Angebot im großen Werkzeugkasten von Omniture, aber einige weitere Anbieter haben in letzter Zeit nachgezogen.
Leidiges Thema: Datenschutz
Fragt man Unternehmen auf der Suche nach einem Tool oder interessierte Anwender nach Anforderungen für ein Traffic-Analyse-Werkzeug, so taucht immer wieder die Frage nach der Sicherheit der Daten und der Einhaltung deutscher Datenschutzbestimmungen auf. Leider ist die Frage einfacher gestellt, als beantwortet. Im Kern dreht es sich dabei um die Speicherung der IP-Adressen, also der für die Internet-Struktur notwendigen eindeutigen Adresse eines Zugriffsgerätes. Inwieweit eine solche Adresse in Deutschland als personenbezogen zu gelten hat oder nicht und ob und wie lange sie gespeichert werden darf, ist juristisch gesehen derzeit unklar.
Die Anbieter der Analyse-Tools stecken damit in einer Klemme: Einerseits wird zwar Google Analytics von den Datenschutzbeauftragten wegen der massenhaften Speicherung der Adressen heftig kritisiert, andererseits ändert dies aber nichts an der Beliebtheit des Tools und der Praxis des Unternehmens. In Abgrenzung zum kostenlosen Google Analytics mit seinem zweifelhaften Datenumgang können die Anbieter sich aber nicht auf eine klare Richtlinie oder eine Art Gütesiegel berufen, um die Seriosität des eigenen Vorgehens zu belegen, da klare Anforderungen der Datenschutzbeauftragten fehlen.
Insgesamt stehen Unternehmen heute sehr gute und umfassende Werkzeuge zur Messung, Analyse und Optimierung ihrer Online-Angebote zur Verfügung. Die Entwicklungen des letzten Jahres haben dieses Angebot noch vergrößert und verbessert. Aber es bleibt wie mit dem Beton: Es kommt darauf an, was man daraus macht.
Weitere Informationen zu Web-Analytics-Systemen und -Anbietern unter www.idealobserver.de/web-analytics-tools. Ein Interview mit Frank Reese auf der dmexco sehen Sie hier. Frank Reese ist als Autor zahlreicher Fachartikel, Referent auf Konferenzen und Seminaren, Herausgeber des Einkaufsführer Web Analytics und Unternehmensberater einer der profiliertesten Experten der Branche in Deutschland.
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