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Das Abendland wird nicht untergehen

Sandra Goetz, 15. Oktober 2009

Seit Mittwoch ist Frankfurt am Main wieder das Zentrum für Leseratten. Im Mittelpunkt steht nicht allein die Digitalisierung, sondern stärker denn je die Diskussion über neue Geschäftsmodelle und wie die Buchbranche neue Kunden gewinnen will.

Die Stimmung ist gelöst, der Buchmarkt ist bislang sauber durch die Finanzkrise gekommen und die Buchmesse ist, soweit jetzt bereits absehbar, ein voller Erfolg. Die Buchbranche schaut, bis auf Ausnahmen, optimistisch, aber auch realistisch in die Zukunft, sodass Konsolidierungsmaßnahmen, aber auch ein zu erwartendes kleines Wachstum weiter zum Alltagsgeschäft gehören. Das gilt für die Hörbuch- und Buchbranche gleichermaßen. Dabei ist auffällig, dass „sich die Verlage dem Thema Marketing zunehmend öffnen und bereit sind, neue Wege zu gehen. Dies gilt vor allem für Online-Medien, die Verkaufsförderung und Themen wie Mobile Marketing“, fachsimpelt Boris Udina, Mitglied der Geschäftsleitung Marketing/Vertrieb vom Hörbuchverlag audio media auf dem Panel „Mobile Marketing: Wie Verlage neue Kunden erreichen“.

Boris Udina, audio media

So hat der audio media erstmalig Etats für Mobile Marketing zur Verfügung gestellt und die Contnet AG, ein Anbieter im Bereich Mobile Enabling und Mobile Marketing, beauftragt, für zwei Hörbuch-Spitzentitel die Kampagnen zu fahren, darunter die neue Serie „DARK SOUL“ von Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein, der bislang 37 Millionen Bücher verkauft hat. „DARK SOUL“ wurde nur fürs Hörbuch geschrieben, eine komplett eigene Themenwelt von Comics bis Gothic wird hierfür kreiert, die Print- und Onlinekampagne startet bereits Mitte Oktober. „Partner sind unter anderem die Hohlbein-Fanseiten wie hohlbein.net sowie Lokalisten.de. Geplant sind myspace.com, RongCon 2010 und die Portale der Buchfachpresse sowie Print der Buchfachpresse mit „Hörbuch“, „Hörbücher“, „Piranha“  oder auch „All my music“, so Udina.

Teilzeit-Indianer auf dem Mobile

dtv holt Leser ans Handy

Auch der Deutsche Taschenbuch Verlag hat Neuland auf diesem Gebiet beschritten. Zum ersten Mal wird ein Schwerpunkttitel, hier „Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers“ vom US-amerikanischen Kultautor Sherman Alexie mit einer Mobile-Marketing-Kampagne beworben. Über die Versendung einer SMS mit dem Keyword „Spirit“ können potenzielle Leser an einem Gewinnspiel teilnehmen sowie kaufimpulssteigernde Gadgets herunterladen. Produktpartner sind Nintendo mit Wii Sports und der Publisher 2K mit Basketball-Wii-Games. Lokalisten.de, Spiesser.de, yeaz.de und weitere Plattformen sollen hierfür als Werbeträger dienen. Für die Umsetzung sind auch hier wieder die Münchner Spezialisten von Contnet verantwortlich; sie sind eines der ersten Unternehmen, das für den Buchmarkt Mobile-Marketing-Kampagnen entwickeln. Darüber freut sich Vorstand Ralph Suda, der weiß, dass „wir mit unserer Expertise so eine Art Türöffner für den Buchhandel sind“. So ist es kein Wunder, dass Contnet und der audio media Verlag das Panel rund um die Frage, wie Buchverlage neue Kunden erreichen, gemeinsam bestreiten.

Ralph Suda, contnet

Mobile-Marketing-Kampagne, Spitzentitel und Buchverlag: Auf den ersten Blick hört sich das nicht sonderlich innovativ an, ist es aber, denn die Buchbranche hat lange eher verhalten bis verschreckt reagiert, wenn es um neue Vermarktungsmodelle ging. Im Vorfeld der Leitmesse hat die Frankfurter Buchmesse  gemeinsam mit dem Branchenmagazin „Buchreport“ eine Umfrage unter den 840 internationalen Branchenvertretern durchgeführt. Mit 607 Nennungen wurden neben der „Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und neuer multimedialer Produkte“ vor allem „geeignete Vermarktungsstrategien“ als die wichtigste Herausforderung der Branche genannt.

2018 Digitales überholt Print

Der Wunsch nach Vernetzung mit anderen Kreativbranchen wie Film, Games und Musik steht bei knapp 20 Prozent der Befragten auf der Liste der Prioritäten. Tendenz steigend. Und zwar je jünger die Befragten sind. Schließlich glauben 50 Prozent der Branchenfachleute, dass im Jahr 2018 digitale Produkte Print überholen. Wer sich auf der Buchmesse umschaut, wird das Gefühl nicht los, dass das noch früher geschieht. Da bleibt nicht mehr viel Zeit. Der dtv ist sicher einer der aktivsten Verlage, die Online werben und kommunizieren. Das zeigt auch der relaunchte Verlagsauftritt, bei dem es gar - ein Novum - Bewegtbild auf der Startseite gibt. „Online spielt eine immer größere Rolle für uns. Das gilt übrigens auch für das Konvergenz-Produkt Handy, das mittlerweile viele Features bietet – bis hin zu einer Art E-Book-Reader bei Smart-Phones“, so Werbeleiterin Gabriele Fischer.

Gabriele Fischer, dtv

Obgleich sich der Deutsche Taschenbuch Verlag noch hauptsächlich auf den stationären Buchhandel und dessen Online-Shops konzentriert, ist er ein gutes Beispiel für die Nutzung des Internets. „Buchverlage produzieren immer öfter Bewegtbilder, um Trailer oder Video-Podcasts auf YouTube & Co. und bei Social Communities einzusetzen. dtv ist ein Vorreiter und hat beispielsweise Video-Podcasts bereits sehr früh entdeckt. Auch Twitter und diverse Blogs spielen eine immer größere Rolle. Darüber hinaus werden Werbemittel geschaltet, vor allem großflächige Skys, aber auch Layer und Content Ads“, erklärt Fischer. Neu ist hierbei der relativ breite Einsatz von TV in Kombination mit Online, was sich Buchverlage noch nicht sehr lange leisten. Dies auch nur aufgrund der Budget-Konzentration auf echte Spitzentitel.

Taugt das E-Book für den Massenmarkt?

Die Veränderungen der Mediennutzung und Lesegewohnheiten stellt sich laut besagter Umfrage als zweitgrößte Herausforderung der Branche dar (425 Nennungen). An dritter Stelle steht der Preiswettbewerb in Form zahlreicher kostenloser Digitalangebote (354 Nennungen) und die illegale Verbreitung geschützter Inhalte durch Piraterie (322 Nennungen). Bezüglich der veränderten Mediennutzung und Lesegewohnheiten wird letzten Endes nicht entscheidend sein, ob sich E-Books oder E-Reader durchsetzen oder das Lesen am Bildschirm des PC oder Notebook der Nutzung spezieller Lesegeräte oder multifunktionaler Handhelds vorgezogen werden. Entscheidend ist, dass das Buch als Statussymbol im bürgerlichen Wohnzimmer zunehmend an Bedeutung verliert und mittelfristig dahin verschwindet, wo es bereits Platten und CDs hin verschlagen hat. Noch sind die Verlage dabei, ihre Erfahrungen mit E-Books zu sammeln und ausgewählte Titel in diesem Format umzusetzen. „Doch erst wenn das Thema Urheberrecht mit allen Beteiligten final geklärt ist und sich auch noch ein Preisgefüge abzeichnet, das Verlage und Leser akzeptieren können, wird das Thema E-Book einen Massenmarkt erreichen“, meint die dtv-Werbeleiterin.

Openmokos Wikireader: 3 Mio. Wikipediaartikel

Bei aller westlichen Kritik an China – eines können wir vom Gastland lernen: Für die chinesischen Worte für „Krise“ und „Chance“ wird das identische Schriftzeichen verwendet. Will heißen: Hinter jeder Krise verbirgt sich die Chance des Neubeginns. Und die Krise wird kommen, und zwar in Form der Lesegeräte. Bislang war der Markt hierfür in Deutschland überschaubar. Sony dominierte mit seinem Sony Reader, auf der Buchmesse stellen sie den neuen Reader Touch Edition vor. Für Aufregung sorgt Kindle, welches am 19. Oktober nach Deutschland kommt. 1.500 Bücher kann das Gerät speichern. Premiere feiert auf der Buchmesse das E-Book eines Berliner Startups: Das Gerät txtr ist wie Kindle onlinefähig. Ganz zu schweigen vom iPhone, welches sich immer mehr zum Konkurrenten für E-Book-Anbieter mausert und im App-Store zigtausend Bücher zum Download anbietet. Random House etwa bietet Bücher von Stieg Larsson und Stephen King an, Blue Panther Books Goethe, Max und Moritz und die Gebrüder Grimm, Heubach Media den Business Knigge. Ab 0,79 Euro geht es los. Dieser äußerst lukrative Markt wird nicht nur einigen wenigen überlassen: Verlage, Medienhäuser, Telkos und Start-ups stehen in den Startlöchern, um eigene Lesegeräte 2010 serienreif auf den Markt zu bringen. Geräte, mit denen man seine eigene Bibliothek in Hand- oder Hosentasche rumtragen kann. Dennoch muss sich niemand ernsthaft Sorgen machen: Das Abendland wird nicht untergehen, das Buch wird überleben – zumindest digital.

Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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