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Musikpromotion online – wenn Hass zu Liebe wird

Jens von Rauchhaupt, 11. September 2009

Die Musikindustrie hatte lange Zeit ein äußerst gespaltenes Verhältnis zum Internet. Tauschbörsen sorgten bei den Plattenfirmen und Künstlern für Depressionen und tun es zum Teil noch immer. Doch inzwischen weiß die Branche die Vorteile des Webs zu schätzen. Der Onlinekanal entpuppt sich nämlich als ein perfektes Vehikel für die Musikpromotion und den Abverkauf.

Wenn Jochen Distelmeyer noch vor dem Release seines neuen Albums in seinem Musikclip auf stern.de über Hass sinniert oder das Berliner Duo 2raumwohnung in einem Videobeitrag auf Bild.de über das Making-of des Musikclips ein Interview gibt, dann weiß Matthias Bischoff, dass seine Auftraggeber zufrieden sind. „Videoslots auf stern.de, spiegel.de oder bild.de sind heiß begehrt. Für einen erfolgreichen Chart Entry muss man aber heute als Künstler auf allen Medien gleichzeitig präsent sein“, sagt Bischoff und erinnert sich noch an ganz andere Zeiten: „Der Onlinekanal wurde lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelt. Heute ist das Internet für die Plattenfirmen überhaupt nicht mehr wegzudenken.“

Matthias Bischoff, Add On Music

Der Promoter Bischoff beschreibt seine Agentur Add On Music als „eine Online-Musik-Promotion-Agentur für zeitgemäße Musik.“ Der gelernte Verlagskaufmann ist bereits seit zehn Jahren im Musikbusiness tätig. Von einem eigenen Label führte sein Weg zu Sony Music Entertainment. Dort betreute er die Promotion für Bands aus der Hamburger Schule (Sterne), Brit-Pop (Oasis) und dem Hip-Hop-Bereich (Fugees). Nun ist er mit Add On Music selbstständig und sorgt dafür, dass die Zielgruppen auf die neuen Alben von 2raumwohnung, Fettes Brot, Virginia Jetzt! oder auch dem ehemaligen Blumfeld-Sänger, Jochen Distelmeyer, aufmerksam werden. Und zwar noch bevor das neue Album auf dem Markt ist. Die großen Labels wie Universal, Warner, BMG, EMI und Sony Music Entertainment gehören dabei genauso zu seinen Auftraggebern wie kleinere Plattenfirmen.

"She moves in", Miss Platnum, Four Music

„Die Musikindustrie hat klar von der Entwicklung des Internets profitiert“, meint Bischoff. Ähnlich positiv wie Bischoff wertet Markus Roth, New Media Director des Berliner Plattenlabels Four Music/Columbia Berlin (Bela B, Clueso, Gentleman, Max Herre, Miss Platnum, und Wir sind Helden), die Rolle des Internets. „Die physischen Verluste der letzten Jahre wurden noch nicht kompensiert. Aber das digitale Geschäft entschärft den Negativtrend in der Branche.“ Roth bestätigt, dass der Abverkauf im Internet durch iTunes und andere Downloadportale sowie die neueren digitalen Vertriebsmodelle wie Abo- oder werbefinanzierte Services sich immer besser entwickeln. Ein Grund liegt sicherlich in der zielgenauen Kundenansprache durch Onlinepromoter wie Bischoff und natürlich in dem eigenen, digitalen Promotion & Marketingeinsatz der Labels.

Markus Roth, Four Music

„Das Internet ist inzwischen wie Print, Radio und TV ein fester Bestandteil unserer Planungen“, sagt Roth, der auch Medialeistung auf einschlägigen Musikseiten einkauft. „Welchen Medienkanal wir wie stark für unsere Promotion nutzen, kann man pauschal nicht beantworten; das ist sehr von der Musikrichtung und damit von der Zielgruppe abhängig. Es kommt aber gerade bei unseren Künstlern durchaus vor, dass wir einen gewichtigen Teil des Budgets für Aktivitäten im Internet einsetzen, wenn wir wissen, dass wir dort unsere Kernzielgruppe vorrangig erreichen können.“ Allerdings ist die Musikpromotion eine diffizile Angelegenheit. Tausende von Musikseiten nutzen die Zielgruppen je nach Musikrichtung, fast unüberschaubar ist das Angebot für die Labels. „Das komplette Geschäft hat sich mit dem heutigen Mediennutzungsverhalten der Zielgruppen verändert. Insgesamt ist das Informationsangebot für Musik sehr viel kleinteiliger und breiter geworden“, so Roth. Dieser Umstand schürt den Bedarf an branchenerfahrenen Spezialisten, die das Terrain sondieren und dann die themenspezifischen Webseiten in die Promotion aufnehmen.

"Gute Blogs sind die Feuilletons des Internets"

Mit gut 800 Online-Redaktionen ist Promoter Bischoff regelmäßig in Kontakt, stellt ihnen Text-, Bild- und Videomaterial zur Verfügung, bietet ihnen Interviews mit den Künstlern sowie weitere Hintergrundinformationen an.„Wir wissen ja genau, wie die Produktion eines Albums voranschreitet. Liegt bereits das erste Material vor, beginnt die Pre-Promotion, wir planen längerfristige Kooperationen mit den online Medienpartnern, Socialnetworks, Communities und Videoportalen. Das  kann schon ein halbes Jahr vor Veröffentlichungstermin der Fall sein. Die heiße Phase beginnt etwa spätestens ein bis zwei Monate vor der ersten Single Auskopplung. Dann beginnt auch die Veröffentlichung des zugehörigen Videos. Umso näher wir dann dem Veröffentlichungstermin kommen, umso mehr Aktionen starten wir dann in den Online Medienkanälen“, erklärt Roth. Mit dem Material des Labels beginnt Bischoff dann die Befeuerung im Netz. „Meinungsführende Musikseiten spielen dabei eine zentrale Rolle. Wenn ich zum Beispiel auf spex.de und Spreeblick.com eine Rezension über das neue Album erreicht habe, ziehen viele andere Seiten nach“, sagt Bischoff.

Rezensionen oder besser CD-Besprechungen sollen für die nötige Tiefe an Information bei der Zielgruppe sorgen. Hier achtet Bischoff besonders auf das Releasedatum: „Wir versuchen das mit den Redaktionen immer so abzustimmen, dass die Rezensionen in der Release-Woche des Albums erscheinen. Geschieht das zu früh, würde das Album womöglich wieder in Vergessenheit geraten“. Zusätzlich beliefert Bischoff Mediendienste wie etwa „teleschau.de“ mit Informationsmaterial, um die Neuigkeiten breiter zu streuen. „Viele Medien verfügen nicht über eine eigene Musikredaktion und bedienen sich daher aus dem Rezensionspool von „teleschau.de“.

Musikvideo Jochen Distelmeyer auf MySpace, Wohin mit dem Hass?

Das klassische Musikvideo ist nicht tot – ganz im Gegenteil. Vielmehr nutzen Musikpromoter wie Bischoff den Musikclip als zentrales Kommunikationsmittel. Gab es früher beinahe nur MTV und VIVA, bietet die Onlinewelt mit Videoplattformen wie TapeTV, MyVideo-Musik, Clipfish, Sevenload und natürlich YouTube weit mehr Möglichkeiten. Mit wachsender Begeisterung genießen die User nicht nur die neuesten Spots der Künstler kostenfrei, sondern auch in guter Qualität. Ihr besonderer Vorteil für die Promotion: Die Videoclips lassen sich wie bei Viralspots weiterempfehlen oder auf die Seiten in den Social Networks verlinken. „In der Musikbranche erregt ein Bewegtbild mehr Aufmerksamkeit als ein ellenlanger Text über die Geschichte des Künstlers“, meint Bischoff. Auch MySpace lässt sich ist im Hinblick auf Bewegtbild sehr gut für eine Promotion nutzen. Hier können aber aufseiten der Labels und Künstler große Fehler gemacht werden, wie Roth erläutert: „Wer als Künstler etwa ein MySpace-Profil hat, sollte auf die Anfragen der Fans reagieren. Kommunikation ist ja keine Einbahnstraße.“

Doch Bischoff und seinen Kollegen wird derzeit der Umgang mit seinen Videoclips nicht immer leicht gemacht. „Ich muss zunächst überprüfen, ob zwischen dem Major Label und dem Videoplattformbetreiber eine Lizenzvereinbarung besteht. Die Videoplattformen führen Listen mit den Künstlern – wenn der Künstler dort nicht gelistet ist, wird das Video auch nicht vom Plattformbetreiber eingestellt“, erläutert Bischoff die Situation. Inzwischen haben die meisten Videoplattformen einen solchen Lizenzdeal mit den meisten Major Labels abgeschlossen. Dabei hüllen sich aber alle Beteiligten in Schweigen, wer bei dieser Vereinbarung eigentlich wem etwas bezahlt.

Alles für die Fans: Virginia Jetzt! gab via Skype Privatkonzerte

Dass Online viel Raum für Kreativität lässt, zeigt das jüngste Beispiel der deutschen Band Virginia Jetzt! Anfang August hatte die Band über ihre Homepage und Social-Media-Seiten 27 persönliche Skype-Mini-Konzerte verlost. Jedem Gewinner wurde via Skype ein Song aus dem neuen Album direkt aus der Wohnung vom Bassisten vorgespielt. Ein Gewinner organisierte in seiner Firma einen Beamer, damit die Mitarbeiter dem Ständchen von Virginia Jetzt! beiwohnen konnten. „Spannender, persönlicher und moderner kann man eine Firma sicherlich nicht ins Wochenende schicken“, so Bischoff.

Über den Autor/die Autorin:

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