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Stör-Werbung bald ein Auslaufmodell?

Karsten Zunke, 27. August 2009

Der niederländische Elektronikkonzern Philips hat vor wenigen Wochen sein webbasiertes Fernsehen Net TV gestartet und gehört damit neben Panasonic zu den Vorreitern auf diesem Gebiet. ADZINE sprach mit Jan Wendt, Geschäftsführer der Hamburger Beratungsgesellschaft MMH über das Zusammenwachsen von Internet und TV und die daraus resultierenden Chancen für das Marketing. Sein Unternehmen versteht sich als „Agentur für web-integrierendes Fernsehen“ und begleitete Philips beim Aufbau des deutschsprachigen Net-TV-Portals, passte Websites für die Fernsehgeräte an und sorgte für den passenden Content.

ADZINE: Herr Wendt, interaktives Fernsehen ist ein alter Hut. Bisher konnte sich keine Lösung durchsetzen. Warum sollte nun ausgerechnet webbasiertes Fernsehen den Durchbruch schaffen?

Jan Wendt: Bisherige Versuche das Fernsehen interaktiv zu machen sind nicht an der Unfähigkeit der Macher oder schlechten Ideen gescheitert, sondern weil entscheidende Voraussetzungen fehlten.

ADZINE: … die da wären?

Jan Wendt: Zunächst müssen die Nutzer für interaktive TV-Inhalte bereit sein. Nach nunmehr knapp 15 Jahren Internet ist dies der Fall. Vor allem da jetzt Bewegtbilder im Internet Einzug halten. Weitere wichtige Voraussetzungen sind die Hardware und die Infrastruktur. Hardware muss flächendeckend vorhanden sein und die Infrastruktur muss es ermöglichen, solche Inhalte abzurufen. Erst heute haben wir die nötigen Bandbreiten, um die am TV-Gerät abgefragten Daten im Netz zu übertragen. Das alles war vor fünf Jahren noch nicht der Fall.


Jan Wendt, MMH

ADZINE: Welche Rolle spielen die Inhalte?

Jan Wendt: Die wichtigste. Sie bilden die notwendige Basis, damit webbasiertes Fernsehen ein Erfolg wird.

ADZINE: Inhalte gibt es im WWW ja reichlich …

Jan Wendt: Ja, aber sie müssen für die Darstellung auf dem TV-Gerät angepasst werden. Deshalb muss man die Websites umschreiben oder komplett neu aufsetzen. Unsere Aufgabe für Philips war es daher, den Aufbau des deutschsprachigen Portals zu begleiten, Seiten anzupassen und Content-Partner zu akquirieren.

ADZINE: Was muss ein Internet-Publisher tun, um Content-Partner von Philips Net TV zu werden?

Jan Wendt: Ein Publisher muss diverse Arbeitsprozesse einleiten. Er muss zum Beispiel einen TV-tauglichen Service bauen lassen. Hierbei sind strategische Aspekte ebenso zu beachten wie Rechtsfragen, technische Belange oder inhaltliche Aufgabenstellungen. Da Philips sich für CE-HTML als Standard entschieden hat, hält sich der technische Aufwand aber in Grenzen.

ADZINE: Und die Kosten?

Jan Wendt: Der Publisher muss mit Philips in ein bilaterales Vertragsverhältnis einsteigen. Hierzu muss er unsere Agentur kontaktieren, da wir den Publisher durch den gesamten Prozess führen. In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte wichtig. Der Service muss technisch validiert werden, um dem Konsumenten unangenehme Überraschungen bei der Nutzung der einzelnen Services zu ersparen. Darüber hinaus sieht das Philips-Business-Modell vor, dass jede Weiterleitung vom Portal auf den Service nach einer Cost-per-Click-Abrechnung vergütet wird. Das startet mit 1 Cent pro Click und verringert sich, je höher die Besucherzahlen sind.

ADZINE: Wie darf man sich das Internet auf dem Fernseher vorstellen?

Jan Wendt: Es ist ein wenig wie die ursprüngliche Nutzung von AOL. Unsere Portallösung für Net TV ist wie das Einstiegsportal in das Internet. Bei der Menüführung des Startportals haben wir uns an DVD-Menüs in Kachelform orientiert. Bei den Inhalten liegt der Fokus auf Unterhaltungsseiten. Hinzu kommen Inhalte, wie man sie aus dem Video-Text kennt, beispielsweise Sport-News. Auskunftsdienste gibt es auf dem Web integrierenden TV eher weniger. Die meisten Seiten ähneln nicht den bekannten Websites. Bild.de.tv hat beispielsweise einen schwarzen Hintergrund und die Videos sind werbefrei. Selbstverständlich kann man auch im freien Internet surfen. Aber das ist mitunter äußerst umständlich und auf dem Fernseher unschön anzuschauen.


VIERA-Cast, Panasonic

ADZINE: Wie sieht das Werbemodell aus?

Jan Wendt: Die bestehenden Media-Vermarkter würden gern sofort auf bewährte Standard-Instrumente setzen. Entgegen diesem Rat gehen wir einen anderen Weg. Die Inhalte sind noch komplett werbefrei, weil die Reichweite bisher viel zu gering ist. Wir betrachten das Ganze eher als eine große Marktforschungsaktion. Die ersten Publisher haben schon nach acht Wochen ihre Services umgebaut, da die ersten Erkenntnisse vorhanden waren.

ADZINE: Und wenn die Reichweite vorhanden ist? Wie wird vermarktet?

Jan Wendt: Jeder, der die Zugänge kontrolliert, wird wahrscheinlich Vermarktungsmodelle aufsetzen. Entweder Seitenbetreiber oder CE-Gerätehersteller. Wir befinden uns mit dem webbasierten Fernsehen in der gleichen Situation wie das Internet im Jahr 1994. Es gibt keine Cases aus den USA, an denen wir uns orientieren könnten, und wir haben keine Yahoos oder eBays als Vorbild. Wir sind hier in Deutschland, in einem Referenzland für Web integrierendes TV. Unzählige Fragen sind ungelöst. Wir stehen mit dem interaktiven Fernsehen ganz am Anfang.

ADZINE: Und Ihre Prognose?

Jan Wendt: Natürlich wird es weder im klassischen Internet noch im webbasierten Fernsehen auf Dauer Inhalte kostenfrei geben. Irgendwann kommt der kapitalistische Grundzug zum Tragen. Was sich nicht lohnt, wird nicht weitergeführt. Viele kostenfreie Angebote im klassischen Web werden verschwinden. Irgendwann geht den Leuten einfach die Luft aus.

ADZINE: Wie wird die Werbung im Fernseh-Web aussehen?

Jan Wendt: Das Problem ist, dass man gern versucht, aus dem Ist-Zustand die Zukunft abzuleiten. Das ist ein Fehler. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft Geld nicht mehr mit störender Werbung verdient wird. Das Refinanzierungsmodell der Medien, störende Werbung einzusetzen, hat sich bald überlebt.

ADZINE: Was ist die Alternative?

Jan Wendt: Targeting und recommendation engines werden die Zukunft sein. Sie sorgen dafür, dass Werbung zielgruppengenau wird. In Bewegtbildern wird kontextsensitive Werbung eine große Rolle spielen. Jeder Fernsehkonsum wird in den neuen Medien abgebildet und kann auch für webbasiertes Fernsehen exakt analysiert werden. So wie in anderen Medien wird es auch Paid Content geben – allerdings eher im Bereich des Micropayment.

ADZINE: Was ist die große Herausforderung für webbasiertes Fernsehen?

Jan Wendt: Der Zug ist ins Rollen gekommen. Jetzt müssen alle Marktteilnehmer mit den richtigen Schritten dafür sorgen, dass er auch kräftig Fahrt aufnimmt. Insbesondere die großen Telekommunikations- und Kabelnetzbetreiber könnten dafür sorgen, indem sie freie Inhalte ebenfalls auf das Fernsehgerät bringen. Dann wird auch die Inhalte-Vermarktung Konturen bekommen.

Über den Autor/die Autorin:

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