Online-Clips können die starke emotionale Wirkung bewegter Bilder mit der Präzision und Interaktivität von Online-Werbung kombinieren. Damit bieten sie kreativen Konzepten einen sehr großen Gestaltungsspielraum. Doch dieses Potenzial wird bisher kaum genutzt. Könnte sich das ändern?
Werbeinvestitionen in Video-Ads konnten innerhalb der letzten Jahre zwei- bis dreistellige Wachstumsraten vorweisen. Kein Wunder, denn Online-Video-Nutzung boomt und immer mehr Internetseiten bemühen sich mit attraktivem Profi-Content um die Marketing-Budgets.
Viele Studien belegen die vergleichsweise hohe Werbewirkung von Bewegtbild-Werbung im Internet und deren Akzeptanz bei den Nutzern. Hinzu kommen die online-typischen Vorteile, die TV-Werbung nicht bieten kann: Messbarkeit, Erfolgskontrolle, Targeting. So können Streuverluste begrenzt und die Werbemittel-Kontakte kontrolliert werden – auch wenn es mit der technischen Abwicklung und Standardisierung noch ein wenig hapert.
Der größte Anteil der Werbegelder für Video-Werbung geht laut Nielsen an die großen Medienkonzerne. Die ProSiebenSat.1 Gruppe konnte im Jahr 2008 über 60 Prozent der gesamten Werbeumsätze für Video-Ads verbuchen. „Die TV-Spots werden oft leicht gekürzt eins-zu-eins übernommen. Meistens als Pre- oder Mid-Rolls. Dadurch können vor allem positive Wiedererkennungseffekte im Kopf des Nutzers erzeugt werden“, sagt Dr. Michael Adler, Head of New Media Research bei SevenOne Interactive. Häufig buchten TV-Kunden den Online-Bereich gleich mit, was natürlich auch Kostenvorteile habe, da der Spot nur noch mal fürs Internet aufbereitet werden müsse.
Auch unabhängige Anbieter wie Smartclip, die redaktionelles Videoinventar bündeln, etablieren sich derzeit am Markt. Jean-Pierre Fumagalli, Geschäftsführer des Bewegtbild-Vermarkters Smartclip über die Marktsituation von Video-Advertising: „2008 wurden in Deutschland etwa 10 Mio. Euro Netto im Bereich Video-Advertising umgesetzt. Dieses Jahr erwarten wir einen Nettoumsatz von 35 Mio. Euro. Unser Marktanteil liegt voraussichtlich bei circa 50 Prozent aller Video-Ads, wobei wir Kampagnen auf ca. 300 bis 350 Online-Plattformen präsentieren. Es fehlt aber immer noch an ausreichend hochwertigen Bewegtbildinhalten im Internet. Würden alle TV-Werber jetzt ihre Spots schalten wollen, könnten sie gar nicht die gewünschte Reichweite erzielen“, sagt Fumagalli, der auch UGC (User Generated Content) auf einem entsprechenden Qualitätslevel zukünftig für vermarktbar hält.
Warum Webetreibende auf Video Ads setzen sollten, verdeutlicht die neue Studie der Forschungsgemeinschaft "Zukunft Digital", die im Auftrag des Burda Community Networks (BCN), Tremor Media Europe und der Plan.Net Gruppe durchgeführt wurde. Hierzu hat Facit Digital 5000 Internetuser zum Thema Online-Video-Werbung befragt. Das Ergebnis: Video-Werbung im Internet wird nicht nur in breitem Maße akzeptiert, sondern verbessert das Markenimage, soweit sie im richtigen Umfeld platziert ist und die Surfgepflogenheiten der Nutzer respektiert.
Doch das optimale Format für Online-Video-Werbung scheint sich noch gar nicht herauskristallisiert zu haben. Bis auf einige empfohlene Definitionen des Internet Advertising Bureau gibt es kaum einheitliche Standards. Am meisten verbreitet sind In-Stream-Ads (in Video-Inhalten geschaltete Werbung) und In-Banner-Ads (Bewegtbild-Werbung im Banner). Laut Adler sind In-Stream-Ads derzeit sehr viel beliebter als herkömmliche In-Banner-Ads, obwohl das Inventar hier viel größer sei. Diese Formate beziehen sich aber lediglich auf das Umfeld und die Platzierung eines Videos. Konzeptuelle Eigenschaften wie Viralität, Interaktivität oder Erzählweise werden dabei nicht definiert. Inhaltliche Formate der Bewegtbild-Werbung könnte man zum Beispiel noch mal unterscheiden nach Spot, Viralfilm, Produktfilm, Branded Content usw. sowie Mischformen.
Sofasurfer klicken schneller weg als Couchpotatos zappen können
Stefan Portune, Geschäftsführer bei Initiative Media, glaubt nicht, dass sich eins-zu-eins ins Netz gestellte TV-Spots in Zukunft durchsetzen werden. „Nur zum Teil. Der TV-Spot, wie wir ihn kennen, beruht auf einer gelernten Nutzungssituation, die nicht aufs Internet übertragen werden sollte. Nutzer möchten einen Spot dann sehen, wenn sie es wollen – sie wollen nicht unterbrochen werden“, so Portune. Um dem gerecht zu werden, müssten sich auch die Spots ändern.
Martin Gassner, Chief Creative Officer der Agentur Interone, formuliert es sogar noch etwas radikaler: „Einen TV-Spot einfach ins Netz zu stellen, ist vergleichbar mit Spam, es sei denn, er basiert auf einer hervorragenden Idee, ist unterhaltsam oder so außergewöhnlich, dass man ihn einfach sehen muss und weiterleiten will. Das ist aber leider bei den wenigsten TV-Spots der Fall. Wenn ein Spot richtig gut ist, dann ist es egal, wo er abgespielt wird. Dann funktioniert er auch im Netz. Langweilige TV-Werbung wird auch im Netz langweilig sein. Im Netz sind Nutzer aktiv und klicken sogar noch schneller weg.“
Erfolgsfaktoren
Eine aktuelle qualitative Studie der e+p commercial Filmproduktion und von SAP beleuchtet die Erfolgsfaktoren für Bewegtbildkommunikation im Netz. Dafür haben Anke Olesch und Ralf Strauß neun Monate lang fast 300 weltweit eingesetzte Werbefilme analysiert, Interviews mit Experten geführt und Studien ausgewertet. Auf dieser Grundlage gelang es ihnen, insgesamt sieben Eigenschaften zu identifizieren, die erfolgreiche Werbeclips im Netz kennzeichnen:
- authentisch
- unterhaltend
- emotional
- visuell interessant
- relevant und informativ
- aktuell
- überraschend
„Diese Erfolgskriterien sind je nach Kommunikationsziel unterschiedlich wichtig“, sagt Anke Olesch. Für die Umsetzung von Bewegtbild fürs Internet sei außerdem spezifisches Know-how nötig. „Filme fürs Netz müssen strategisch anders geplant werden als TV-Spots – disziplinübergreifend, über Kampagnen und Projekte hinweg“, so Olesch weiter. Funktionale Grenzen, etwa zwischen dem Klassik-Bereich, Dialogmarketing oder Online-Marketing, müssten aufgebrochen werden.
Für Martin Gassner ist die Idee entscheidend, die dem User Nutzen und Freude bringen sollte. „Sie muss unterhaltend, herausfordernd oder auch informierend sein.“ Ob es sich dabei um Toilettenpapier oder Produkte handelt, die ein hohes Involvement voraussetzen, spielt keine Rolle. „Man kann mit jedem Produkt dieser Welt spannende Geschichten erzählen. Im Netz hat man zudem nicht das Thema der zeitlichen Beschränkung. Das Verständnis, wie heute Marken kommuniziert werden sollten, ist hierzulande meist noch nicht richtig angekommen bzw. wird oft noch nicht umgesetzt. In den USA ist man schon mutiger. Hier haben diverse VW- oder Burger-King-Kampagnen von Crispin, Porter + Bogusky Benchmarks gesetzt.“ (siehe zum Beispiel http://www.whopperfreakout.com)
Für Stefan Portune sind bei der Konzeption von Webclips neue Formate erforderlich. Der Nutzer sollte nur begrenzt beim Surfen gestört werden und außerdem sei die Relevanz der Informationen wichtig. Darüber hinaus müssten die Spots mediaadäquat aufbereitet sein ganz banal: klickbar, zoombar, anhalten, weiterlaufen, vertiefende Informationen, sharebar etc.
Mobile Clips für die Hosentasche
Einen raketenhaften Aufstieg prophezeit Gassner Werbeclips im mobilen Internet. „Mit den neuen Endgeräten und Tarifmodellen ist ein ubiquitäres Internet gegeben. Man ist ‚always online‘ und viel ‚tote‘ Zeit wird mit kurzen Ausflügen ins Netz ausgefülllt. Sie haben aber das Problem der beschränkten Größe des Bildschirms und wirken dadurch emotional weniger direkt. Emotionale Effekte müssen daher über andere Mittel geschaffen werden, zum Beispiel über die Story oder überraschende Elemente. Außerdem ist die Nutzungssituation zu beachten – aufgrund der größeren Ablenkung sollten andere akustische und visuelle Effekte berücksichtigt werden.“ Trotzdem werde aber auch das mobile Internet mit TV-Spots belegt werden, so Gassner. „Die Frage ist: Was ist das für ein Format und was sind das für Geschichten, die ich erzählen muss, um in der Hosentasche mitgenommen zu werden?“
Im Internet ist nicht nach 30 Sekunden Schluss
Zur künftigen Entwicklung der Bewegtbild-Werbung müsse das non-lineare Prinzip erst mal verstanden werden, erklärt Stefan Portune. „Ohne Nutzerakzeptanz werde ich nichts durchkriegen! Die Masse will dann Informationen, wenn sie es will. Im Internet ist jedoch nicht nach 30 Sekunden Schluss! Ein gutes Script und eine gute Erzählweise werden nach wie vor wichtig sein … aber nicht begrenzt auf 30 Sekunden!“ Portune kann sich vorstellen, dass sich ein gleichberechtigter Mix aus hochprofessionellen, aufwendig produzierten Spots und User Generated Content finden wird. Außerdem könnten Werbespots künftig für einen Bruchteil der bisherigen Kosten produziert werden.
Ben Föhr, Producer bei e+p commercial, sieht das ähnlich: "Bei einem klassischen TV-Spot machen die Produktionskosten des Films lediglich zehn Prozent des Werbebudgets aus – die restlichen 90 Prozent werden für die Schaltung des Films bezahlt. Bei einem Werbeclip im Netz dagegen ist es umgekehrt: Hier betragen die Schaltungskosten nur 10 Prozent – und 90 Prozent können für die Produktion verwendet werden.“ Mit einem Budget von einer Million könne man also einen TV-Spot oder neun Online-Spots drehen und schalten und so über einen längeren Zeitraum aktuellere, vielfältigere Spots produzieren.
Dominik Terruhn, Geschäftsführer von plan.net Media, zweite Mediaagentur, sieht dies differenzierter: „Diese Verhältnisse sind abhängig von der Mediengattung, in die man maßgeblich investieren will, und welche Reichweite man mit diesem Clip erzielen will. Wenn das gesamte Budget in TV gesteckt wird, ist der Anteil der Produktionskosten natürlich relativ gering. Würde man aber das gesamte Budget in Online investieren, verhält es sich doch genauso. Bisher wird aber für Online weniger Geld ausgegeben als für TV. Fernsehbudgets sind große sechs- bzw. siebenstellige Millionenbeträge.“ Die Produktionskosten können aber auch für das Internet hoch sein, berichtet Terruhn. „Um überhaupt einen halbwegs gelungenen Werbespot zu produzieren, ist man auch im Internet bei einem fünfstelligen Betrag, und das gilt für einen Spot in einer durchschnittlichen Kampagne.“
Gigantische Entwicklung prognostiziert
Beim diesjährigen Multimediakongress (DMMK) in Berlin sagte Manfred Klaus, Geschäftsführer der plan.net Gruppe, dass wir beim Bewegtbild gerade etwas Ähnliches erleben wie damals bei den Bannern. „Als die Werbung im Internet losging, sah vieles so ähnlich aus wie eine Anzeige.“ Erst dann hätten sich auch Kreative damit beschäftigt, wie die Möglichkeiten des Webs genutzt werden könnten, so Klaus. „Wir werden eine gigantische Entwicklung sehen, die Vielfalt der Werbeformen und auch die Erzählweise von Bewegtbildinhalten wird sich völlig verändern. Jede neue Werbeform braucht ihre Zeit, um sich an ein Medium zu gewöhnen.“
Wer dreht Webclips? Einen Überblick zu Clips, Agenturen und Filmproduktionen kann man sich z.B. bei kress.de verschaffen. Dort sind unter der Rubrik Spotschau aktuelle Werbeclips samt Hintergrundinfos zu sehen.
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