Passend zum Frühling macht die Web-Analyse-Konferenz eMetrics vom 22. bis 23. April wieder in der bayrischen Landeshauptstadt halt. Nach Toronto ist München der zweite Zwischenstopp der globalen Veranstaltungsreihe zum Themenbereich Web Analytics. Adzine nahm das zum Anlass, um mit dem Internetberater, Fachjournalisten und langjährigen eMetrics-Moderator Ossi Urchs über das Social Web, Mobiles Web, den Datenschutz und die eMetrics zu sprechen.
Herr Urchs, könnten Sie uns bitte etwas zu den Anfängen der eMetrics sagen?
Das gesamte Konzept der eMetrics geht zurück auf Jim Sterne, der sich Ende der 90er-Jahre in seinem Buch „World Wide Web Marketing“ erstmalig darüber Gedanken gemacht hat, wie sich Metriken für das Online-Marketing entwickeln lassen. Jim Sterne hat damit die gesamte Disziplin der Web Analytics begründet. Aus der Ursprungskonferenz in Santa Barbara ist die WAA (Web Analytics Association) hervorgegangen, die nun als eine Art Fachbeirat im Hintergrund der eMetrics agiert. Organisiert wird die eMetrics von Rising Media. 2005 hatten wir die erste eMetrics-Veranstaltung in Deutschland, die ich seitdem moderiere.
Was ist die Besonderheit an der eMetrics, wer sind die Adressaten?
Das geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Disziplin Web Analytics. Am Anfang waren es ganz unterschiedliche Leute, die davon getrieben waren, etwas zu entwickeln; teilweise aus der IT kommend, teilweise aus dem Marketing, Menschen mit sehr unterschiedlichen Backgrounds und unterschiedlichen Höhen der Vertrautheit, was man da eigentlich tut und was man mit der Web-Analyse machen kann. Das hat sich doch sehr gewandelt und hat sich in den letzten 3 Jahren extrem professionalisiert. Was die eMetrics heute ausmacht, ist die offene Diskussion. Die eMetrics unterscheidet sich stark von einer klassischen Management-Konferenz. Bei uns steht eine offene Diskussion, die problem- bzw. projektgetrieben ist, im Vordergrund. Große und namhafte Unternehmen legen ihre Strategie und ihre aufgesetzten Kennzahlen die KPIs, Key Performance Indicators offen und zeigen ihre Problemstellungen. Daraus resultieren dann typischerweise sehr offene und herzhafte Diskussionen mit den anderen Teilnehmern. Das ist das, was diese Konferenz ausmacht.
Der Teilnehmerkreis hängt natürlich stark vom Unternehmen und seiner Größe ab. Heute unterhalten ja einige Unternehmen eigene Analytics-Abteilungen, die im Online-Marketing angesiedelt sind. Bei IT-Unternehmen sind es weiterhin IT-Leute, die aber inzwischen ein hohes Maß an Online-Marketing-Kompetenz entwickelt haben. Es sind ja in diesem Bereich inzwischen ganze Berufsbilder entstanden. Web Analyse ist das Differenzierungsmerkmal gegenüber dem klassischen Marketing. Alles ist genau berechen- und kontrollierbar. Dieser Controlling-Aspekt ist sehr wichtig und er wird umso wichtiger, je mehr die Krise voranschreitet. Jetzt will jeder sehr genau wissen, was mit seinem investierten Marketing-Euro eigentlich passiert.
Die Wirtschaftskrise ist also ein Schwerpunkt in München?
Ja, ganz klar, Marketing in Zeiten der Krise wird ein Schwerpunkt sein. Das lässt sich nicht übersehen. Online-Marketing ist zwar noch in einer verhältnismäßig glücklichen Situation mit einem Wachstum von 20 Prozent in 2008. Selbst in diesem Jahr prognostizieren die führenden Verbände noch ein Wachstum von leicht unter 10 Prozent. Aber es ist natürlich klar, dass die Themen Cost Cutting und Controlling im Mittelpunkt stehen werden. Jim Sterne wird seine Keynote ganz im Zeichnen der Wirtschaftskrise halten und das Thema zieht sich auch durch viele Teilnehmerberichte.
Auf welche Vorträge freuen Sie sich besonders?
Besonders gespannt bin ich auf die Fallstudien von BMW, die vergleichend über die unterschiedlichen eingesetzten Kommunikationskanäle für eine Multichannelstrategie berichten werden. Marc Mielau, Head of Digital der BMW Group, wird dabei demonstrieren, wie auf den unterschiedlichen Kanälen der Traffic gemessen und optimiert wurde. Ein weiterer interessanter Beitrag, auf den ich mich besonders freue, ist der von Irene Seitz, Leiterin Produktmanagement Multimedia TV Marken bei SevenOne Intermedia-ProSiebenSat.1, die über Video-Tracking und die Unterschiede der Dynamiken in den Bereichen TV- und Online-Videos berichten wird. TV-Werbung ist ja die eigentliche Messlatte für Online-Marketing. Aber auch sonst wird es noch viele interessante Beiträge geben.
Und Social Networks, ein Thema?
Mein persönliches Leib- und Magenthema. Soziale Netzwerke sind die ganz große Herausforderung im Online-Marketing insgesamt. Der Nutzer wird immer mehr zum Akteur. Hier taugen noch nicht einmal die klassischen Onlinekonzepte. Für die Web-Analyse geht es in diesem Bereich darum, neue Kennzahlen zu finden. PIs und Unique User sind da nicht wirklich hilfreich. Hier muss das Online-Marketing viel mehr dialog- und austauschgetrieben agieren. Meines Erachtens hat man nur eine Chance, wenn man Teil der Debattenkultur wird. Das kann man im Moment sehr schön an der Entwicklung von Twitter sehen, wo man entweder Teil der Debatte ist oder schlichtweg nicht stattfindet.
Muss man denn wirklich bei allen sozialen Netzwerken eine Kommerzialisierung im Sinn haben?
Das Geld folgt den Nutzern bzw. den potenziellen Kunden. Wenn ich weiß, dass meine Zielgruppe in einem sozialen Netzwerk sehr konzentriert zu finden ist, dann tue ich auch gut daran, dort präsent zu sein. Dabei geht es ja nicht unbedingt darum, meine Stimme zu erheben, denn diese Netzwerke sind extrem interessant für Einsichten zum Konsumenten und für die Markenforschung. Wenn ich verstehe, wie ich den direkten Kontakt zu meinem Kunden für mich nutzen kann, hat man ein sehr mächtiges Tool in der Hand.
Gibt es eigentlich schon KPI-Kennzahlen für Social Networks oder Marketing 2.0?
Darüber werden gerade große Diskussionen geführt. Ich würde nicht soweit gehen und sagen: diese Kennzahlen seien schon etabliert. Entscheidend ist, zu verstehen, was eigentlich in diesen Netzwerken aktive User sind. Es nützt ja gar nichts, wenn ich weiß, dass ich bei Facebook 175 Mio. registrierte Nutzer habe, wenn ich nicht weiß, wann und wo wer dort unterwegs ist. Ich muss also erst mal wissen: Wer sind die aktive Nutzer und was ist deren Nutzungsaktivität? Damit meine ich, wie viel Zeit verbringen Sie mit Profilpflege, wie viel Zeit mit Kontaktpflege, Mediakonsum, Musikhören, Videos etc. Nur so kann ich nur feintunen was ich dort überhaupt tue. Das Thema Medianutzung wird aus vielen Gründen immer wichtiger. Damit kann ich doch herausfinden, welcher Typus Nutzer typischerweise ein Video konsumiert, was letztlich für Werbung bei Online-Videos entscheidend ist.
*Das Internet ist zunächst einmal ein öffentlicher Raum. Ich muss nur wissen, dass es so ist. Vielen Nutzern kommt dieses Wissen manchmal abhanden. In sozialen Netzwerken hat man natürlich das Gefühl, man befände sich quasi in einem geschützten Raum. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall. Letztes Jahr habe ich eine lebhafte Diskussion zwischen europäischen Datenschützern und 600 Schülern in Berlin moderiert. Das war höchst interessant. Die Schüler hatten gute Kenntnisse darüber, dass man z.B. niemals seine Handynummer preisgibt. Allerdings waren ihnen die mittelbaren Folgen überhaupt nicht klar, die spätestens dann eintreten, wenn der Personalleiter wegen Fotos von einem Junggesellenabschied zum Gespräch bittet.
*Ganz am Anfang ja. Wie bei vielen Neuentwicklungen muss man es einige Zeit genutzt haben, um den Dienst auch wirklich zu verstehen. Am Anfang, als ich vom Konzept gehört habe, dachte ich nur: Wer braucht das? SMS kann schon zu einer Plage werden. Heute haben sich aber richtige Szenen entwickelt und die Leute tauschen sich inzwischen auch informationsorientiert über den Medienkanal Twitter aus. Es gibt schon eine ganze Reihe von Unternehmen, wie etwa IBM, die extrem interessante Tweets absetzen. Die Monetarisierungsstrategie von Twitter selbst ist natürlich nicht ganz so leicht zu beantworten.*Bei den Teilnehmern wird das Thema bestimmt diskutiert, auf Anbieterseite noch nicht. Eigentlich ist es erst in den letzten 18 bis 24 Monaten losgegangen. Dann allerdings mit Macht, wenn man sich vorstellt, dass wir inzwischen über 10 Mio. Mobile-Internetnutzer in Deutschland haben. Das sind mehr als wir 1998 im deutschen Web hatten. Das ist eine stattliche Nummer. Und dieses Gerät eignet sich für jede Art von Service-Angeboten. D.h., ich kann sehr viel direkter meinen Kunden ansprechen und er wird es auch nicht als werbliche Belästigung empfinden. Ganz im Gegenteil, es wird Service-Layer geben, die mir sagen, welches Angebot mir weiterhilft. In diesem Zusammenhang werden dann Bewertungsangebote wie z.B. Quipe interessant, denn Bewertungen sind Argumente für die Entscheidung des Nutzers.
*Wenn man die Inhalte der verschiedenen eMetrics-Konferenzen vergleicht, sind wir in Europa das typische Jahr hinterher. Inzwischen kann man dies aber nicht mehr durchgängig sagen. Wenn man sich die Themenstellung Mobile Web anschaut, ist Europa deutlich weiter als Amerika. Von den Branchen her kann ich dies nicht bestätigen: die Teilnehmer und Referenten kommen aus dem Handel, der Industrie oder sind Dienstleister. Tatsächlich gibt es aber Defizite bei den Unternehmen. Wenn erst einmal auf der Ebene des Senior Managements verstanden wurde, was man für ein Pfund mit Web Analytics in die Hand bekommt, werden die Unternehmen auch ganz schnell große Verfechter der Web-Analyse.
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