Soziale Medien zum Erfahrungsaustausch gibt es bereits ebenso lange wie das Internet selbst. Neu hingegen sind die zunehmende Aufmerksamkeit der Nutzermassen und deren Bereitschaft, aktiv und andauernd am Dialog teilzunehmen. ADZINE sprach mit zwei Experten darüber, was sich in sozialen Medien über Marken herausfinden lässt und welche Informationen für die Analyse der Wahrnehmungen einer Marke im Internet relevant sind.
Das klassische Marketing ist dabei, sich ein neues Terrain zu erschließen: Jüngste Entwicklungen im Web 2.0 lassen eine immer stärkere Einbindung sozialer Medien in Marketingprozesse erkennen, die das Ziel verfolgen, Spezifikationen von Social Media mit Online-Marketing zu kombinieren. Social-Media-Marketing stellt ohne Zweifel besondere Anforderungen an das strategische Vorgehen in Markenumfeldern: Online-Communitys tauschen sich praktisch über alle Marken in Internetforen aus. Immer mehr Unternehmen interessieren sich daher für das Thema Social Media. Der Markenartikler möchte natürlich wissen: Was wird eigentlich über meine Marke oder mein Produkt im Netz gesprochen? Wo tauschen sich die Nutzer vorrangig über die Marke aus? Wer sind die Opinionleader? Befinden sich unter ihnen Experten? Kann ich ihre Meinungen positiv beeinflussen, ohne indiskret zu sein? Welches Verhalten der Marke wird eventuell von den Nutzern erwartet? Diese Antworten geben zumeist Unternehmen, die sich professionell auf die Suche nach dem Webgezwitscher machen und sich auf Social-Media-Marketing spezialisiert haben.
Das Internet aufbrechen
„Ich muss wissen, von welcher Quelle die Information ausgeht – ich muss wissen, wo die A-Quellen sind“, erläutert Evrim Sen, Geschäftsführer der infospeed GmbH in Köln, einem Spezialisten rund ums Thema Webknowledge. Sen betont am Beispiel des Autoherstellers Ford die Notwendigkeit, zunächst einmal die für das Produkt oder die Marke relevanten Quellen im Netz richtig zu identifizieren, und spricht vom „Aufbrechen“ des Internets. Allein für das Thema „Automobil“ existieren in Deutschland circa viertausend Foren. „Man kann aus zwei Millionen Treffern etwa mit Dublettenfiltern zehn Top-Quellen aus Blogs, Foren und Bewertungsportalen identifizieren, und das sind dann immer noch eine ganze Menge Informationen“, lässt Sen wissen. Im Rahmen dieses Filterprozesses läuft eine zu diesem Zeitpunkt automatisierte und an Keywords orientierte Suche nach analyserelevanten Inhalten. „Du musst die Community kennen – welche Kultur hat sie, was finden die cool?“, weiß Evrim Sen und stellt klar, dass es eben um „soziale“ Medien geht, die hier betrachtet werden. Um zum Beispiel die Top-Ten der A-Quellen für den Kunden Ford zu identifizieren, müssen entsprechend gut passende Schlüsselwörter als Referenz zum Abgleich arbeiten. Das erfordert Insiderwissen und eine enge Absprache mit dem Kunden: „Wir nehmen die Top-Themen in ein Cluster, damit später der Redakteur in diesem Cluster mit der Brille der Themen, die den Kunden interessieren, jeden Keyword-Eintrag durchgehen kann. Um sinnvolle Maßnahmen ergreifen zu können, muss man die Blogs und Foren lesen.“
Was die Kunden denken
Einen anderen Ansatz verfolgt der Wettbewerber ethority: Dazu nutzen die Hamburger semantische Analysetechniken wie die Gridmaster-Technologie. Durch einen komplexen Algorithmus werden Gruppen und Meinungen segmentiert. Damit kann das Unternehmen Millionen von Meinungen innerhalb kürzester Zeit verarbeiten. David Nelles, Head of Corporate Communications, bezeichnet das als „Aufspidern der Webinhalte im Deep Web“. Hierbei identifiziert eine Software prozessabhängig themenrelevante Einträge in Foren, Blogs und Portalen und filtert eben jene Inhalte heraus, die man einer Analyse unterziehen möchte. Das geschieht vollautomatisch, wie Nelles beschreibt. „Ethority entwickelt zusammen mit dem Kunden Themenwelten mit Keywords in bis zu acht Sprachen, um eben das, was in den Foren gesprochen wird, mit der Relevanz der Themen abzugleichen.“ Die „Analysemaschinerie“ muss also mit Schlüsselbegriffen gefüttert werden, die eine vom Kunden als relevant definierte Themenwelt möglichst zutreffend abbildet.
Marken, so stellt Nelles fest, werden so oder so im Internet besprochen – ob man das nun als Markenartikler wünsche oder nicht – und die schlechteste Reaktion darauf sei es, die Dialogbereitschaft zu verweigern; nur wer offen am Dialog teilnimmt und auf Kritik eingehen kann, sei auch in der Lage, angemessen zu reagieren, meint Nelles. „Es ist wichtig, Leute kennenzulernen, um Vertrauen aufzubauen – das ist eigentlich auch nichts anderes als draußen auf der Straße: Wenn Sie mit jemanden reden wollen und ihn vielleicht zu sich nach Hause einladen, müssen sie diesen Menschen erst mal kennenlernen.“ Wie geht man mit dem Inhalt um und welche Verhaltensregeln gibt es? Social Media kann man nicht 9 to 5 betreiben, das zeigt das Beispiel Vattenfall. Das Unternehmen initiierte einen Blog, der sich thematisch mit Klimaunterschriften zum Umweltschutz beschäftigte und Nutzer zu Registrierung und Teilnahme einladen sollte. Vattenfall ließ den Blog – mutmaßlich vom CRM – nur zu den Geschäftszeiten betreuen. Nach 18 Uhr waren dann Blogger von Greenpeace so frei, den gesamten Blog zu kippen und erfolgreich zu unterminieren. Statt sich der „Übernahme“ zu stellen und entsprechend zu handeln, nahm Vattenfall den Blog aus dem Netz und entzog sich so dem Dialog.
Nelles beschreibt die dringende Erfordernis, als Markenartikler bei der Ansprache in den Foren nicht plump vorzugehen. Nelles sieht darin einen zentralen Charakterzug der Social Media, nämlich sich gerade dann, wenn man als Vertreter einer Marke in Internetforen, Weblogs und Mailinglisten auftaucht, soziale Anerkennung zu verschaffen, indem man mit entsprechender Integrität interagiert. „Man sollte weg davon, alles nur noch vom CRM machen zu lassen, finde ich. Der User muss einen Mehrwert davon haben, sonst macht er es nicht mehr“, weist Nelles auf das notwendige wechselseitige Vertrauen hin. Er unterstreicht die Bedeutung der sozialen Komponente in Social-Media-Umfeldern, die aus Sicht von ethority nur dann erfolgreich im Marketing genutzt werden kann, wenn man auch dann handlungsfähig bleibt und am Austausch aktiv teilnimmt, gerade wenn man als Marke kontrovers diskutiert wird. Schließlich gehe es immer stärker mehr um C2C-Dialog im Auge des Internets, d.h. um von Nutzern generierte Kanäle, die Kaufempfehlungen für jeden Nutzer ständig zugänglich machen. „Das Gesicht hinter der Marke ist das Relevante. Eine Marke kann ja nicht ‚sozial’ sein – im besten Fall sind es Mitarbeiter des Unternehmens, die sich offen als zu der Marke gehörend zu erkennen geben und sich der Kritik stellen“, rät David Nelles.