„Fortgeschrittenes Experimentierstadium“
Arne Schulze-Geißler, 20. Februar 2009Nicht nur die ganze Welt besteht aus sozialen Beziehungen, sondern in zunehmendem Maße nutzen Menschen das Internet, um ihre Beziehungen zu pflegen und neue zu etablieren, ihre Meinungen zu äußern, wo sie glauben, dass sie gehört werden. Was lag für Thomas Koch, Geschäftsführer und Gründer des Konferenzveranstalters Kongress Media, daher näher, als vor knapp zwei Jahren die Social Web WORLD zu initiieren. Unter dem Dach von Kongress Media bietet die Social Web WORLD einen Expertenaustausch mit Konferenzen und Informationsservices zur Anwendung von Web-2.0-Ideen und -Konzepten in Unternehmensstrategien und Kommunikation.
Gerade fand in Hamburg am 18. Februar die Konferenzveranstaltung „Social Media FORUM“ statt und wir hatten Gelegenheit Thomas Koch ein paar Fragen zum aktuellsten aller Internetthemen zu stellen.
Adzine: Social Media, eine Modeerscheinung, ein Evolutionsschritt oder die Revolution der Medien?
Koch: Sicher keine Revolution, aber eine unaufhaltsame Evolution, drei Schritte vor, einer oder zwei zurück – insgesamt geht es nach vorne. Als ich zur Schule ging, gab es weder PC noch Maus, heute gibt es SchülerVZ, MySpace, Google, StudiVZ. Die neue Generation lernt nicht mehr auf Vorrat, sie greift Infos on Demand ab und kommuniziert on Demand und Just in Time. Social Media ist die Infrastruktur dafür.
Adzine: Warum sollten sich Unternehmen mit dem Thema Social Media beschäftigen?
Koch: Social Media nach innen hin – Stichwort Enterprise 2.0 –, weil es effizient ist, so Wissen zu erfassen, zu dokumentieren und verfügbar zu machen. Social Media nach außen gerichtet – Stichwort Web 2.0 – ist ein guter zusätzlicher Kanal, um Kunden auch künftig zu erreichen. Communitys sind ein Tool, um Kunden zu binden und einzubinden. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Es ist natürlich für Unternehmen nur einer von vielen Wegen – wenn auch ein besonders smarter – zum Kunden, um zu kommunizieren. Für Medien dagegen wird es vermutlich lebensentscheidend sein, den Social-Media-Weg zu beschreiten.
Adzine: Wie können Sie mit Ihren Veranstaltungen dazu beitragen, dass für Unternehmen, der soziale Aspekt des Webs greifbarer wird.
Koch: Wir alle betreten laufend Neuland, was das Web 2.0 angeht. Jenseits des Hypes gibt es handfeste Fragen und Erfahrungen, die Innovatoren in den Unternehmen bewegen und klären müssen. Innovatoren, Projektverantwortliche aus anderen Unternehmen können mit ihren Erfahrungen helfen und neue Wege aufzeigen. Wer gerade innoviert hat, der hat was zu erzählen und ist dankbar, von anderen weitere Inputs zu bekommen für seine nächste Aktivität. Darauf setzen wir mit unseren Veranstaltungen. Wir gehen davon aus, dass Innovatoren nicht irgendwann verwalten, sondern weiter innovieren wollen. So entsteht eine Community der Praktiker im Dialog und wir sind die Infrastruktur. Das ist doch voll Web 2.0.
Adzine: Versuchen Unternehmen Social Media eigentlich primär aus Marketingsicht zu erschließen oder welche anderen Unternehmensbereiche haben auch Interesse daran?
Koch: Social Media wird in vielen Unternehmen als Abenteuerspielplatz gesehen. Man wirft nicht die ganze Welt auf einmal über den Haufen. Es gibt zwei völlig unterschiedliche Treiber für Social Media:
Ein nachhaltiger Impuls kommt aus der Ecke Unternehmenskommunikation, genauer der internen Kommunikation. Dort erkennt man die Potenziale von Kollaboration und Wissensdokumentation und -verfügbarkeit und man weiß, dass die Digital Natives als nächste Generation kommen. Also beschäftigen sich sehr viele der großen Unternehmen mit dieser Ausprägung von Social Media, auch Web 2.0 im Unternehmen genannt.
Der zweite Treiber ist in der Tat externe Unternehmenskommunikation. Da probiert man im Augenblick aus. Hier eine Community, da Engagement in bestehenden Communitys, hier ein Forum, da eine virale Kampagne und dann noch hier und da ein wenig Mobile dazu. So lernen die Unternehmen und entwickeln die Themen. Das ist genau richtig und ganz Web 2.0: anfangen, probieren, verwerfen, weitermachen, wieder machen – und mit jeder Aktion etwas im Dialog mit den Kunden gelernt.
Für eine Gruppe Unternehmen ist Social Media heute strategisch, da es sich im Kerngeschäft abspielt: Für die Medienunternehmen selber. Da geht es um die Zukunftsfähigkeit des jeweiligen Medienunternehmens oder zumindest -produkts.
Adzine: Das erste Social Media FORUM fand am 20.09.2007 statt. Was haben Sie für sich persönlich aus der Veranstaltungsreihe bisher mitgenommen?
Koch: Das Thema ist seitdem vom Rand in das Zentrum des Interesses gerutscht. 2007 gab es noch viele Medien, die uns z.B. sagten, Communitys sind im Augenblick kein Thema für uns. Die Teilnehmer waren Early Adopters in den Medienhäusern und mussten intern noch einige Widerstände beseitigen.
Schon ein halbes Jahr später hat sich die Zahl der Nein-Sager drastisch reduziert. Es ging um Refinanzierung – immer noch eine der größten offenen Fragen, aber auch bereits um Infrastrukturfragen, Motivationsfragen, also um die Praxis. Jetzt 2009 ist das Thema in den Medienhäusern omnipräsent, es gibt Communitys und es gibt Strategien und Richtlinien. Wir greifen beim 4. Social Media FORUM am 17. und 18.2. in Hamburg wieder mal Innovationsthemen von „morgen“ auf, wie Social News und Regio Wikis. Da gibt es schon etwas, aber es wird künftig viel mehr geben. Gerade Social News hat echtes Potenzial zum „Kassenschlager“ für die Medienhäuser, nicht erst seit dem Hudson-River-Foto über twitpic.
Adzine: Welche Themen stehen in diesem Jahr ganz oben auf der „Social Media“-Agenda?
Koch: Für Medienunternehmen sind es grundsätzlich weitere partizipative Möglichkeiten, die man Lesern bieten möchte. Hier geht es jetzt z.B. bei den Regionalzeitungen um RegioWikis oder um Social News. Der „Leserbrief“ bzw. Leserdialog wird geadelt und bekommt z.B. beim Tagesspiegel einen Platz auf der Startseite. Twitter/Microblogging wird zunehmend als genereller Trend sichtbar und sich weiter verstärken, weil er schnelle Erfolge bringt.
Prinzipiell sind wir bei allen Social Media Aktivitäten noch in einem fortgeschrittenen Experimentierstadium. Fragen nach Wirtschafltichkeit, Nachhaltigkeit, Nutzwert sind nicht mit 100% gesicherten Fakten zu beantworten. Daher müssen Social Media Treiber in den Unternehmen nach wie vor viel Überzeugungsarbeit leisten.
Engagierte Mitarbeiter die in Unternehmen für Social Media Konzepte trommeln haben etwas Wichtiges zu sagen. Wer die Ohren schließt und das Alles nicht wahrhaben will kann schnell im Abseits stehen.
*Im folgenden haben wir heute noch ein kurzes SEMinar mit Herrn Dr. Schirmbacher zum Thema Vertragsgestaltung im SEM zwischen Agenturen und Kunden. Das vollständige SEMinar mit Formulierungshilfen wird in der ADZINE Printedition Nr. 1/2009 erscheinen.
*Weiterhin gute Unterhaltung mit Adzine! **