Es ist schon einige Jahre her, aber manche Schlagzeilen bleiben lange im Gedächtnis. So wie diese: "E-Mail ist tot" prangte in großen Lettern damals auf der Titelseite einer Fachzeitschrift. RSS-Feeds sollten sie ablösen - für immer. Doch auch wenn die Elektropost mittlerweile in die Tage gekommen ist - und vor allem unter Teenagern schon als altmodische Kommunikationsform gilt, - die E-Mail ist nicht tot. Im Gegenteil: Laut den Internetnutzungszahlen der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF) ist E-Mail das am häufigsten genutzte Instrument im Internet. Noch vor der Suchmaschinenrecherche und Nachrichten zum Weltgeschehen. Doch wie steht es um das E-Mail-Marketing? Lassen sich von Spam genervte Nutzer noch auf Werbe-E-Mails ein? Die Antwort lautet ja - wenn man es richtig anstellt.
Die E-Mail wurde schon des Öfteren für tot erklärt. "Aber das Gegenteil ist der Fall", sagt E-Mail-Experte Nico Zorn (), Partner der saphiron management + technology consultants. Auch das als Wunderwaffe der elektronischen Kommunikation angetretene RSS konnte der E-Mail nicht den Rang streitig machen. Denn es erreicht eher kleine Zielgruppen, die sich möglichst in Echtzeit informieren müssen. Und auch allen Messengern, Blogs und Social-Networks zum Trotz: Laut den jüngsten AGOF-Zahlen nutzen 89,2 Prozent der Onliner das Internet, um private E-Mails zu senden und zu empfangen. Auch die Budgets für E-Mail-Marketing wachsen - zumindest für die USA wird dies prognostiziert.
So geht Jupiter Research davon aus, dass die Ausgaben für E-Mail-Marketing in den USA von 1,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2007 auf 2,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012 steigen werden. Das klingt rasant, ist aber jenseits aller Erwartungen, die man noch im Jahr 2000 hatte. In dieser Boomphase des Webs ging Jupiter Research noch euphorisch von einem Marktvolumen von 7,3 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2005 aus. Prognosen sollte man also stets mit Vorsicht genießen. Ob sich die E-Mail-Werbeausgaben in den USA bis 2012 nahezu verdoppeln, bleibt abzuwarten. Für den deutschen Markt werden leider keine Zahlen erhoben. Ein Manko, das die Argumentation der Anbieter für ihr Werbeinstrument E-Mail immer wieder schwierig macht.
Veränderte Mediennutzung beachten
Außerdem hat die Elektropost durch das Web 2.0 Wettbewerber bekommen. Vor allem für Kids und Teenager werden zum Beispiel Social Networks immer wichtiger, auch Geschäftsleute networken immer eifriger online. Aber selbst hier ist die E-Mail im Spiel. "Ironischerweise wird man per E-Mail über neue Nachrichten in seinem Netzwerk informiert. E-Mail hat hier eine Alertfunktion und ist zudem für die Registrierung in einer Community wichtig", erläutert Zorn. Doch für E-Mail-Werber wird es dadurch trotzdem schwieriger, solche Leute zu erreichen. "Bei jüngeren Zielgruppen müssen Werbungtreibende die veränderte Mediennutzung berücksichtigen. Advertiser sollten bei ihnen nicht ausschließlich auf E-Mail setzten", rät Zorn. Ein probates Mittel, um auch diese Nutzer abzuholen, sei es beispielsweise, in einem Social Network eine Gruppe zu eröffnen. "Bei XING ist es zum Beispiel möglich, eine Gruppe zu gründen und deren Mitglieder mit einem Newsletter zu informieren. So lassen sich E-Mail-Marketingmaßnahmen für die eigene Gruppe starten", so Zorn. Insofern nimmt die Bedeutung der E-Mail keineswegs ab. Die elektronischen Briefe lassen sich zur Lead-Generierung und zur Kundenbindung einsetzen, Werbungtreibende können Stand-Alone-Newsletter verschicken oder in fremden Content-Newslettern Werbung schalten.
Aber dieses Instrument birgt Risiken. Das größte Problem für Versender und Empfänger ist Spam. Versender haben oft damit zu kämpfen, das allzu rigide Filter ihre Botschaften nicht zustellen oder sie gar auf schwarzen Listen landen. False-positive-Mails, also ausdrücklich erwünschte Newsletter, die versehentlich ausgefiltert werden, sind ein Problem. Vor allem Banken und Versand-Apotheken haben damit zu kämpfen. Nur allzu leicht werden seriöse E-Mails als Phishing-Versuch oder Viagra-Spam eingestuft. Und nicht nur Filter, auch die Nutzer reagieren äußerst sensibel.
Aggressive Aussortierer
Wichtiger als je zuvor ist es, dass der Newsletter vom Empfänger explizit angefordert wurde. Das ist ein KO-Kriterium für E-Mail-Marketing. Wer hier die Erlaubnis einholt, ohne dass der Empfänger sich dessen bewusst ist, bekommt ein Problem. "Empfänger reagieren zunehmend gereizt", weiß Zorn. Genervte User klicken sehr schnell auf den "Report-as-Spam-Button". Wenn das sehr viele Nutzer tun, wird der Absender vom Provider unter Umständen als Spammer eingestuft und seine E-Mails werden für alle Adressaten aussortiert. Denn für den Empfänger ist alles Spam, was er nicht explizit angefordert hat. Auch wenn der Nutzer sich nicht mehr an die Anmeldung erinnern kann, ist die E-Mail für ihn Spam. "Da wird nicht viel nachgedacht. Wenn der Nutzer sich seines Einverständnisses zur Werbung nicht bewusst ist, macht es für ihn keinen Unterschied, ob es sich um eine Casino-, Viagra- oder seriöse E-Mail handelt. Der Empfänger entscheidet, was für ihn Spam ist - nicht das werbungtreibende Unternehmen. Und die User sortieren immer aggressiver aus", warnt Zorn.
Opt-in nicht käuflich!
Hinzukommt, dass durch Spam die ganze Branche in ein schlechtes Licht gerückt wurde. Mit Argusaugen mustern die Onliner die elektronischen Nachrichten in ihren privaten Postfächern. Sie sind wählerischer und wissen sich zu wehren. Mit gekauften Adressen Leads zu generieren ist daher keine gute Idee. Immer wieder gibt es schwarze Schafe. "Grundsätzlich ist es auf legalem Weg nicht möglich, E-Mail-Adressen zu kaufen", erläutert Zorn. Wenn so etwas angeboten werde, sei dies entweder ein unseriöses Unternehmen oder missverständlich formuliert. "Man kann zwar E-Mail-Adressen kaufen, aber nicht die Erlaubnis, diese Empfänger zu beschicken", so Zorn. Nur der Besitzer von Adressen darf die Empfänger, von denen er vorher das Einverständnis eingeholt hat, anschreiben - nicht jeder X-beliebige Werbungtreibende. Die einzige Möglichkeit wäre, sich an den Adressinhaber zu wenden, der dann im Auftrag eines Dritten seine Kunden anschreibt. Dabei bekommt der Werbungtreibende, Dritte aber keinen Zugriff auf die Adressen. "Wir empfehlen daher, E-Mails in erster Linie als Kunden-Bindungsinstrument einzusetzen", sagt Zorn. Denn es müsse immer das Ziel eines Unternehmens sein, sich einen eigenen Adressverteiler aufzubauen, "weil Werbungtreibende dann die Adressen regelmäßig ansprechen und Sales generieren können - und das quasi kostenlos."
Erfolgsfaktor Segmentierung
Dass die gute alte E-Mail in naher Zukunft an Bedeutung verliert, scheint unwahrscheinlich. Denn auch dieses Werbeinstrument profitiert von neuen Möglichkeiten. Ein wichtiger Trend ist die Segmentierung von Zielgruppen. Im Idealfall hat der User nicht nur via Double-Opt-In der Werbung zugestimmt, sondern auch zentrale Daten zu seiner Person und seinen Interessen angegeben, die in einer Datenbank erfasst werden. Während früher E-Mails blind an den kompletten Verteiler herausgeschickt wurden, lassen sich Empfängergruppen heute aufgrund der gesammelten Informationen feingliedriger selektieren.
"Die Anzahl der Zielgruppen und individuellen Inhalte hängt besonders von den Differenzierungsmöglichkeiten im Produktbereich sowie dem Spielraum auf der inhaltlichen Ebene und im Corporate Design ab. Zugleich ist die Güte der vorliegenden Profil- und Aktionsdaten wesentlich. Wertvoll sind vor allem demografische Informationen oder Öffnungs- und Klickraten vergangener Mailings", erläutert Ulf Richter, Geschäftsführer des E-Mail-Marketing-Anbieters optivo. Noch mehr Möglichkeiten ergeben sich, wenn Daten zum Kaufverhalten oder zu in der Vergangenheit bestellten Produkten verfügbar sind. Technisch sind mehrere Hundert Zielgruppen problemlos möglich.
"Gerade kleine und mittelständische Unternehmen gehen dieses Thema jetzt an. Sie erkennen, dass es beim E-Mail-Marketing nicht um Masse, sondern um Klasse geht", sagt Zorn. So mache es mehr Sinn, kleinere Zielgruppen mit relevanten Botschaften zu adressieren, als Newsletter nach dem Gießkannenprinzip zu streuen.
Individueller werben
Heute ist es auch möglich, bereits im Vorfeld einer E-Mail-Kampagne automatisiert unterschiedliche Newsletter-Versionen mit variierenden Betreffzeilen, Angeboten und Produktfotos zu Testzwecken an Untergruppen des Gesamtverteilers zu verschicken. Werbungtreibende können somit zentrale Kennzahlen wie Öffnungs- oder Klickraten bereits im Vorfeld erheben, analysieren und die Kampagne entsprechend optimieren, noch bevor sie gestartet ist. Die ganze Werbewucht entfaltet sich aber erst, wenn Inhalte für den Empfänger relevant sind und zum Profil und den Interessen des Users passen. Werber können mit geeigneter E-Mail-Marketing-Software Inhalte für bestimmte Nutzer ausblenden oder austauschen. So könnten beispielsweise jungen Männern andere Bücher empfohlen werden als Frauen über 50. Oder Stammkunden erhalten einen Jubiläums-Rabatt, andere Kunden nicht.
Wer die Individualisierung auf die Spitze treiben will, lässt die E-Mail-Leser entscheiden, wann und zu welcher Uhrzeit sie den Newsletter erhalten wollen, oder stellt zumindest Zeitfenster zur Wahl. Auch Trigger-E-Mails gelten als zukunftsweisend. Dabei werden E-Mails automatisiert an bestimmte Nutzer verschickt - zum Beispiel könnte zum Geburtstag des Nutzers eine Karte mit Gutschein verschickt oder Bestellabbrecher mit zusätzlichen Rabatten gelockt werden. Anlässe gibt es viele. Und die Möglichkeiten, relevant per E-Mail zu werben, sind im Laufe der Zeit vielfältiger geworden. "Der Trend geht aktuell eindeutig in Richtung individueller E-Mail-Kommunikation auf Basis dynamischer Inhalte. Die Unternehmen sind deshalb gut beraten, ihre Möglichkeiten im Bereich Segmentierung sowie Text- und Bildindividualisierung deutlich auszubauen", rät Richter. Denn technisch gehört die E-Mail nicht zum alten Eisen. Und auch wenn nachvollziehbare Marktzahlen für Deutschland nach wie vor nicht erhoben werden - dass die E-Mail in naher Zukunft als Marketinginstrument in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, ist in Anbetracht ihrer Möglichkeiten nicht zu erwarten.
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