In Zeiten des Finanz-GAU drängt sich die Frage auf: Wie hält es die Geldbranche mit der aktiven Kommunikation. Unisono propagiert der Medienwald, dass die Branche am Boden liegt, sich selbst aus dem Geschäft manövriert hat. Die ihr zugedachte Rolle, die Wirtschaft durch Cash-Management am Laufen zu halten und ins Laufen zu bringen, kann sie teils nur noch mit staatlichen Garantien erfüllen. Schlägt diese Rekonvaleszenz auf die Werbung durch? Verändern sich die Mediabudgets sowie Instrumente und Kanäle?
Um diese Fragen zu beantworten, fragte Adzine acht Marktteilnehmer aus der Media-Planung und den Medien selbst nach ihrer Einschätzung. Von Depression, Deflation oder Desillusion ist dort nichts zu hören. Alle Interviewpartner schätzen die Lage für den Online-Finanzwerbemarkt positiv ein. Sie sehen aber Auswirkungen der Finanzkrise auf das Werbeverhalten der Finanzbranche. So sagte Christian Heuser, Corporate Development bei Ormigo GmbH, dass "durch die Finanzkrise besonders die Marketingbudgets unter stärkerem Druck stehen und Ergebnisse bringen müssen. Performance-Marketingkampagnen, die nach messbaren Größen wie Clicks oder Leads abgerechnet werden, erhalten einen größeren Stellenwert." Stefan Swertz, Vorstand adisfaction, drückt es sogar noch etwas weniger diplomatisch aus: "Imagekampagnen sehe ich kaum. Der Grund liegt auf der Hand: Das Ansehen der Banken ist derzeit so beschädigt, dass viele Marketer glauben, es lohne sich nicht gegenzusteuern."
Performance ist King
Der Trend geht also zum Performance-Marketing. Obwohl es auch Finanzinstitute gibt, die andere Wege gehen. "Die Royal Bank of Scotland vollzieht nach Übernahme der ABN AMRO ein Re-Branding und ist auf allen großen Wirtschafts- und Finanzsites präsent", erzählt Swertz weiter. Image-Werbung leisten sich momentan nur "Flaggschiff-Anbieter" antwortete Stefan Kainrath, Director FinMedia GmbH, Haar bei München (fondsweb.de, zertifikateweb.de u.a.), auf unsere Frage, welche Ziele die Finanzdienstleister mit ihren Kampagnen in erster Linie verfolgen. "Wir haben in der Regel gezielte Produktwerbung auf den Websites." Nadja Elias, Pressesprecherin United Internet Media AG, München, beobachtet "eine Zunahme der unmittelbaren Verzahnung von Image beziehungsweise Brandkampagnen mit direkter Kundengewinnung. So werden zum Beispiel Offline-Kampagnen online intelligent um Direct-Response-Maßnahmen erweitert, um über das Internet schnell und messbar Abschlüsse zu generieren."
Falscher König?
Die Krise bringt es also mit sich, dass die Onlinewerbung der Finanzbranche, die ohnehin schon sehr vertriebsorientiert war, noch stärker in Richtung Performance geht. Allerdings basieren insbesondere Finanzprodukte auf Vertrauen. Es könnte sich für die Finanzbranche also als Pyrrhussieg entpuppen, wenn jetzt nur auf den kurzfristigen Abverkauf von Produkten gesetzt wird. Image ist in dieser Branche das Fundament für alle Produkte. "Gerade bei Finanzdienstleistern stehen alle diese Ziele im Fokus. Brand und Image gehen einher mit der Zielsetzung, am Ende auch die entsprechenden Leads zu generieren", gab Guido Sachs, Geschäftsführer InteractiveMedia CCSP GmbH, im Interview zu bedenken. "Grundsätzlich gilt, dass der Markenaufbau durch eine Imagekampagne die entscheidende Grundlage für den Erfolg einer Performance-Kampagne legt", konkretisiert Carola Holtermann, Sales Marketing, Public Relations and Online Research, Ligatus, das im Finanzbereich normale Kundenverhalten.
Aber beherzigen Unternehmen diese Logik? "Direkt-Banken und -Versicherungen fokussieren eher abschlussorientierte Kampagnen, wohingegen alle anderen Finanzdienstleister stärker auf Branding und Image setzen", beschreibt Elias das unterschiedliche Werbeverhalten der Marktteilnehmer. Stärker bedeutet hier aber nicht überwiegend. "Bei Banken entfallen - meiner Erfahrung nach - mindestens zwei Drittel des Budgets auf Produktwerbung, oft performancebasiert eingesetzt", benennt Swertz das Performance- bzw. das Image-Volumen. "Image wird eher über TV und Print gemacht." Bei Interactive Media ist das Verhältnis von Performance und Image bei Banken in etwa ausgeglichen, meint Sachs.
Allerdings sollte man bei diesen Zahlen nie vergessen, dass auch bei Imagekampagnen auf die Performance geschaut wird. Versicherungen würden dagegen den Großteil ihres Budgets performanceorientiert einsetzen, erläutert Sachs weiter. Auschlaggebend für dieses Vorgehen könnte sein, dass Imagewerbung nicht so unmittelbar und so verlässlich messbar sei. Und der Vorteil der Onlinewerbung liegt nun mal in der Messbarkeit von Kampagnen in Klicks, Leads, Verkäufen oder anderen zuvor definierten Parametern.
Verzahnung von Off- und Online
Die mediale Verzahnung von Kampagnen für den Erfolg scheint gerade in der Finanzbranche essenziell. Verstehen es also die Marktteilnehmer, auf der Werbeklaviatur virtuos zu spielen und einen Gesamtklang zu erzeugen? Oder zerfallen die Werbeaktivitäten in einzelne Töne, die eher zu einer Dissonanz neigen als zu einem Crescendo?
Die Antworten unserer Interviewpartner fielen bei dieser Frage sehr unterschiedlich aus. Zwar betonten alle, dass eine enge Verzahnung sehr sinnvoll sei, aber je nach Kunde und Produkt von gut bis nicht vorhanden ist. Dies hängt mit der Organisation des Kunden und der Steuerung der Budgets zusammen. Läuft alles über einen Tisch, existiert die Verzahnung. Sind beim Kunden Online- und Offline-Werbung getrennt organisiert, sind Verzahnungen eher Zufallsprodukte. Ähnlich sieht es mit den Budgets aus. Liegen sie in einer Hand, läuft es. Werden sie auf mehrere Agenturen verteilt, bleibt die Abstimmung auf der Strecke. Für Heuser geht der Trend deutlich hin zur Verschmelzung, sprich Verantwortung in einer Agenturhand. Für Holtermann besteht hier auch noch sehr hoher Optimierungsbedarf bei ihren Werbekunden. Es drängt sich ein Satz aus den frühen Neunzigern auf: Nun wächst zusammen, was zusammengehört. Wie man allerdings an der deutsch-deutschen Situation immer noch ablesen kann, kann dies dauern.
Die richtige Platzierung
Wo soll denn nun online geworben werden? Welche Platzierungen sind für Finanzdienstleister interessant? Sind es eher die allgemeinen Umfelder, auf die die Branche setzen sollte, oder eher Special-Interest-Umgebungen. Die Antwort auf diese Frage könnte von Radio Eriwan stammen: Es kommt darauf an! Auf die zu bewerbenden Produkte und die Zielgruppe. "Tagesgeldkonten werden in allgemeinen Umfeldern beworben, komplexere Produkte wie Zertifikate sicher weiterhin in Finanzumfeldern", ist Heusers Antwort.
Für Lars Merle, Director Sales OnVista, sind offensichtlich die Special-Interest-Seiten attraktiv und er hat auch sachliche Argumente parat. "Special-Interest-Portale eignen sich sehr gut, um Finanzprodukte zu bewerben. Hier sind Leads oft höherwertiger als von General-Interest-Seiten, auch die Response auf Image-Werbung ist höher. Produkte, die für eine breite Masse interessant sind - wie etwa Tagesgeldkonten oder Versicherungen - werden häufig in allgemeinen Umfeldern beworben; gleichzeitig aber auch auf Special-Interest-Websites."
Allgemein gilt, je komplizierter ein Produkt, desto mehr rücken die Special-Interest-Seiten in den Fokus. Das ist für Werbung soweit nichts Neues. Interessant ist aber, dass Elias auch spitze Zielgruppen auf General-Interest-Seiten erreichbar sieht. "Intelligent geplant und umgesetzt können grundsätzlich alle Ziele in beiden Umfeldern erreicht werden. So kann eine Interessenidentifikation über Targetingmöglichkeiten auch im General-Interest-Umfeld erfolgen." Hier kommt das Targeting zum Zuge. "Bei der Werbeadressierung, insbesondere der brandingorientierten, setzt auch die Finanzbranche immer mehr auf Targeting, d.h. die direkte Zielgruppenansprache anstelle von Umfeldern. Mit Targetingtools können dabei nicht nur die fokussierten Zielgruppen punktgenau in der Reichweite angesprochen, sondern auch unterschiedliche Produktinteressen wie z.B. private Altersvorsorge, Geldanlage oder einzelne Versicherungsprodukte bedient werden."
Web 2.0 kann noch nicht punkten
Nach dem wie, wofür und wo interessierte Adzine jetzt das womit. Welche Instrumente setzt die Finanzbranche bei ihrer Werbung ein. Die Antwort unserer Gesprächspartner war diesmal einhellig: Alles, was funktioniert. Und das sind Display, Affiliate, Search oder E-Mail-Marketing. Es scheint aber eine Gewichtung dieser Instrumente zu geben. Heuser sieht Search an erster Stelle, gefolgt von Display, E-Mail und Affiliate. Dennis Landau, Senior Account Manager MEC Interaction, sieht ebenfalls Search und Display auf Platz eins und zwei. Aber natürlich kommt es hier wieder auf die einzelne Kampagne und ihr Ziel an. Danach wird das passende Instrument ausgewählt.
Beim womit muss man natürlich auch fragen, ob Alternativen zu Mediaschaltungen wie Content-Integration oder Web-2.0-Ansätze Anwendung zu finden sind. Heuser sagt hierzu, "das Thema Content-Integration hat in den letzten Jahren seit 2001 stark abgenommen. Das Aufwand/Nutzenverhältnis hat sich nicht gerechnet. Web-2.0-Ansätze stecken sicher noch in den Kinderschuhen."
Merle von OnVista sieht hier ebenfalls die Kinderschuhe, ist aber bei der Content-Integration nicht so pessimistisch. "Maßgeschneiderte Werbekonzepte wie beispielsweise Content-Integrationen und strategische Partnerschaften werden in Zukunft eine größere Rolle spielen. Hier gibt es noch viel Potenzial." Auch Sachs sieht die Content-Integration "als einen wichtigen und effektiven Weg, um die teilweise komplizierten Produkte zu erklären und den potenziellen Kunden näherzubringen." Als weitere Alternative zu den Klassikern sieht er die Verwendung von Bewegtbildern in Videosequenzen oder Podcasts. Die Agentur adisfaction, die einige Finanzdienstleister betreut, setzt Content-Integrationen schon seit Jahren sehr erfolgreich um. Sie bieten dem interessierten Leser und Anleger Informationen zu Anlageprodukten, die exakt zu seinem Interesse passen. "Die Produkteinbindungen erfolgen dynamisch und kontextuell, sind datenbankbasiert und teilweise mit Realtime-Kursen unterfüttert. Die hohen Response- und Konversionswerte werden sicher dafür sorgen, dass sich der Trend zu Content-Integrationen verstärkt." Im Web 2.0 hat adisfaction in kleinen Finanzumfeldern schon Testfahrten installiert. "Wir werden dieses Leistungsfeld in 2009 ausbauen." Ergebnisse wollte Swertz aber noch nicht nennen.
Blick in die Glaskugel
Die bisherigen Fragen beleuchteten eher den Ist-Zustand der Finanzwerbung. Wie wird aber die Zukunft aussehen? Wir fragten unsere Gesprächspartner, ob in Zukunft mehr Image und Marke in den Vordergrund gestellt werden, um Vertrauen zurückzugewinnen, oder ob die Branche mehr Wert auf schnelle Ergebnisse legt? Auch hier gingen die Einschätzungen weit auseinander. Nach Swertz "können wir mit dem Comeback der Imagewerbung rechnen, wenn die Banken ihre Bilanzen um alle Risiken bereinigt haben." Für Merle rückt "im Zuge der Finanzkrise das Thema Vertrauen und Imageaufbau wieder stärker in den Vordergrund." Nach Sachs' Beobachtungen "setzen viele Unternehmen angesichts der Finanzkrise derzeit verstärkt darauf, die Marke und deren Image zu stärken."
Heuser erwartet eine genau diametrale Entwicklung. "In schwierigen Zeiten wird oft die Ergebnisorientierung nach vorne gestellt." Kainrath "erkennt bislang keinen 'Sinneswandel'. Die Finanzbranche ist eine Verkäuferbranche. Es wäre daher wünschenswert, wenn Vertrauen durch gute Produkte und vor allem Beratung zurückgewonnen werden kann." Landau schließlich vertraut auf die Beständigkeit der Finanzbranche: "Nur wegen der Finanzkrise wird es nach meiner Meinung keinen großen Paradigmenwechsel in der Kommunikation geben. Dazu ist die Finanzkrise in Deutschland (noch) viel zu abstrakt." Diese Frage sollte man also noch einmal in zwei oder drei Monaten stellen, wenn die Folgen für die Marktteilnehmer sichtbarer sind. Je nachdem, mit welchem Ansehen die Finanzdienstleister aus der Krise herauskommen, wird es eine Renaissance der Imagewerbung geben oder auch nicht. Da aber alle Interviewpartner immer wieder betonten, dass für eine erfolgreiche Onlinewerbung ein gutes Image des Werbenden und seiner Produkte eine zentrale Rolle spielt, stehen die Chancen für die Imagewerbung nicht schlecht.
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