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Alte Werte für neue Botschaften

Karsten Zunke, 13. November 2008

Der Schreck sitzt tief. Nicht nur bei den Anlegern, die in tiefrote Depots blicken. Auch bei den Finanzinstituten ist die Verunsicherung nach dem Crash an den Finanzmärkten groß. Nur wenige wagen es, kommunikativ in die Offensive zu gehen. Denn wer weiß schon genau, ob der eigene Keller sauber ist. Die Bankenkrise wird die Werbung des Finanzsektors verändern. Schon jetzt wird an neuen Inhalten gefeilt. Wenn das Licht am Ende des Tunnels in Sicht kommt, wird die Finanzindustrie mit neuen Botschaften und Konzepten an den Start gehen.

Die CreditPlus Bank - in Sachen Ad-Impressions hierzulande die Nummer eins der Werbungtreibenden im Finanzsektor - sieht sich in der komfortablen Lage, ihre Werbestrategie nicht ändern zu müssen. Das Geschäftsmodell der CreditPlus Bank ist das klassisch solide Konsumenten-Kreditgeschäft. Sie bietet den Kunden keine Geldanlagen an. Als etablierte Retailbank verfügt sie nach eigenen Angaben über hohe Einlagenbestände und ist nur teilweise auf die Refinanzierung anderer Banken angewiesen. Aber auch hier beobachtet man die Reaktionen der Internetnutzer in diesen Zeiten sehr genau. Das Interesse der Nutzer an Themen rund um die Geldanlage ist in den letzten Wochen sprunghaft angestiegen. "Bei den Themen rund um den Konsumentenkredit ist es jedoch im Großen und Ganzen auf dem bisherigen Niveau geblieben. Insofern ändern wir als Spezialist für Konsumentenkredite unsere Online-Marketing-Strategie nicht", sagt Stefan Wiedemann, Leiter E-Finance Marketing der CreditPlus.

Auch Finanzmakler wie MLP sehen keinen Handlungsbedarf, da ihr Geschäftsmodell konzeptionell auf eine langfristige Beziehung zwischen Kunde und Berater ausgelegt ist. MLP ist davon überzeugt, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Kunde und Berater die beste Voraussetzung dafür ist, auch Krisenzeiten gemeinsam erfolgreich zu meistern. "Die Werbebotschaften vermitteln genau diesen Ansatz und bestehen daher auch unabhängig von der Finanzkrise nach wie vor", sagt Thorsten Scherer, Abteilungsleiter Vertriebs-/ Online-Marketing der MLP Finanzdienstleistungen AG. Die MLP-Online-Kampagne ist in eine crossmediale Image-Kampagne eingebettet, die Anfang September 2008 bundesweit gestartet ist und wie geplant durchgeführt wird.

Unter kommunikativem Zugzwang

Andere Finanz- und Versicherungskonzerne sind hingegen unter Zugzwang. Der Kreativchef der Werbeagentur Jung von Matt, Oliver Voss, geht davon aus, dass die Banken versuchen werden, Vertrauen aufzubauen. "Wobei hier jede Werbekampagne sehr realitätsbezogen sein muss. Es bringt nichts, schöne Scheinwelten zu vermitteln, wenn die aktuelle Nachrichtenlage eine ganz andere Sprache spricht", warnt Voss. Bei schönen Werbebildern und Kuschelwelten würden die Kunden eher abwinken. Erste Werbungtreibende haben bereits reagiert: Die Allianz greift zum Beispiel Sorgen ihrer Kunden auf und versucht Vertrauen zu schaffen. "Es sind schwierige Zeiten, aber nicht zum ersten Mal", heißt es im aktuellen Kampagnen-Text. Auch auf der Allianz-Homepage versucht der Finanz- und Versicherungsanbieter unter diesem Claim seinen Kunden Ängste zu nehmen. Der Finanzkrise widmet das Unternehmen auf seiner Website sogar ein eigenes News-Dossier.

Auch die quirin bank geht stärker auf das Thema Sicherheit ein. Das Geld-Institut hat unter anderem einen "Offenen Brief" des Vorstandssprechers an Deutschlands verunsicherte Privatanleger formuliert, der als Anzeige im Spiegel, aber auch auf Spiegel-Online, in der FAZ, der FAS und der SZ erschienen ist. "Wir verstärken die Online-Marketing-Aktivitäten, gehen stärker auf unsere Kunden zu und werben vor allem mit unserem Geschäftsmodell und der Stabilität der Bank", sagt Pressesprecherin Kathrin Kleinjung. Die Sicherheit der Geldanlage sei für den Endverbraucher im Moment das entscheidende Thema.

Langsames Erwachen

Große Teile der Finanzbranche halten aber noch an ihren grundlegenden Kommunikationskonzepten fest. "Es sollen jedoch zunehmend Werbemittel für neue Produkte erstellt werden, die neue Chancen aufzeigen", erläutert Stefan Swertz, Vorstand der Fullservice-Online-Agentur adisfaction in Meerbusch, die einige namhafte Kunden aus dem Finanzsektor betreut. Dabei werde aber wenig auf die Krise eingegangen. Die Werbungtreibenden der Finanzbranche würden vielmehr versuchen, darüber hinweg neue Möglichkeiten aufzuzeigen und positiv in die Zukunft zu schauen. Und dass Nutzer in diesen Zeiten das Interesse an Finanzwerbung verloren hätten, lässt sich nicht sagen. Im Gegenteil: "Die Klickraten auf Finanzkampagnen sind momentan erstaunlich hoch", sagt Swertz. Seine Vermutung: Finanzaffine Zielgruppen suchen ihre Chancen gerade in der Krise. "Wer jetzt wirbt, könnte überdurchschnittlich profitieren", sagt Swertz.

Doch solange Banken nicht alle Gefahren in ihren Bilanzen kennen, tun sie wahrscheinlich gut daran, zunächst vorsichtig zu werben. Doch auch Swertz glaubt, dass sich die Online-Werbung für Finanzprodukte verändern wird. Er erwarte einen grundsätzlichen Wandel hin zu Produkten, die Vertrauen vermitteln und auf Einfachheit setzen. "Der Stachel sitzt tief, die Anleger suchen jetzt nach Sicherheit und Anlageschutz. Das wird sich bald in der Kommunikation niederschlagen", ist sich Swertz sicher.

"Fairness, Ehrlichkeit und Transparenz"

Inhaltlich beeinflusst die Finanzmarktkrise schon jetzt zunehmend die Kommunikationskonzepte. "Banken setzen wieder verstärkt auf Image-Werbung, statt wie bisher hauptsächlich Produktvorteile zu kommunizieren", sagt André Nitze, Geschäftsführer Creative- & Artdirection der Online-Kommunikationsagentur Golden Alligator Interactivities aus Berlin. Dies kommt einem Paradigmenwechsel gleich. "Viele Kampagnen setzen bisher nur auf Leistung und Konditionen. Künftig wird es verstärkt um Werte wie Fairness, Ehrlichkeit und Transparenz gehen", erklärt Nitze den kommunikationsstrategischen Wandel. Kunden von Golden Alligator hätten diesen Weg bereits eingeschlagen und würden künftig transparenter kommunizieren. "Das wird im kommenden Jahr spürbar sein", sagt Nitze. Die Agentur betreut unter anderen Raiffeisenbanken und Sparkassen.

Für andere Banken rückt jetzt auch die Art der Online-Werbung in den Fokus. Cortal Consors als Tochtergesellschaft der BNP Paribas ist zum Beispiel nach eigenen Angaben nicht direkt von der aktuellen Finanzkrise betroffen. "Allerdings sind auch wir noch vorsichtiger geworden und haben unsere aktuelle Strategie noch einmal genau unter die Lupe genommen", erläutert Stefanie Nordemann, Teamleiterin Online Marketing von Cortal Consors. Das Unternehmen setzt beim Online-Marketing auf einen ineinandergreifenden Mix sämtlicher Online-Marketing-Maßnahmen. Hier rückt jetzt das Thema Performance-Marketing stärker in den Vordergrund. "Wir überprüfen unsere Maßnahmen ständig und hinterfragen zurzeit den Bereich Display Advertising noch kritischer, um uns gegebenenfalls stärker auf performancebasierte Werbeformen zu konzentrieren", so Nordemann. In den unterschiedlichen Produktkommunikationen platziere man aber auch immer wieder das Thema Sicherheit der Anlagen und gäbe grundlegende Informationen zum Unternehmen. Durch die Unsicherheit an den Märkten sind auch bei Cortal Consors Produkte wie Tages- und Festgeld aktuell deutlich stärker nachgefragt als Fonds und Zertifikate.

Botschaften mit Response

An den Werbe-Inhalten habe sich im Performance-Marketing bisher nichts Gravierendes geändert und negative Berichterstattungen zur Finanzmarktkrise, in deren Umfeld automatisch auch Ligatus-Werbung erscheint, sind für Tim Kröner, Geschäftsführer von Ligatus, kein Problem. "Unser Performance-Marketing-Netzwerk setzt sich aus Premium-Umfeldern zusammen. Diese hochwertigen Marken haben eine starke Position bei den Nutzern, da sie gerade jetzt durch ihren qualitativen Wirtschaftsjournalismus wertvolle Informationen und Orientierung bieten. Dieses Vertrauen auf Nutzerseite macht sie zu besonders wertvollen Werbeumfeldern", erläutert Kröner. Geschlossene Fonds, Anlageformen für regenerative Energien und Versicherungen sind die Kernprodukte von Ligatus - also ebenfalls keine Dinge, deren Image durch die aktuellen Verwerfungen am Finanzmarkt gelitten haben.

Trotzdem wirkt sich die Finanzkrise doch auf die Wahrnehmung und die Reaktion auf die Werbebotschaften aus und diese sind im responseorientierten Marketing sofort spürbar. "Wir merken, dass Finanzprodukte, die mit Sicherheit argumentieren können, momentan besser funktionieren. Kapitalerhalt ist ein aktuell sehr gefragtes Stichwort", so Oliver Thylmann, Managing Director und Gründer von Ormigo aus Köln. Versicherungen und Festgeldkonten werden stark beworben, aber auch exotische Anlagen wie ein Investment in Edelholz-Plantagen stoßen auf großes Interesse in der umworbenen Zielgruppe. "Großkunden aus dem Finanz- und Versicherungssektor setzen jetzt etwas mehr auf Sicherheit. Aber da unsere Werbung ohnehin performancebasiert ist und wir uns zudem im Jahresendgeschäft befinden, spüren wir die Auswirkungen der Finanzmarktkrise nicht", sagt Thylmann.

Substanz und maximale Offenheit

Doch mit Performance-Marketing allein dürften sich die Probleme der Marketingabteilungen langfristig nicht lösen lassen. Kunden suchen in ihrer Verunsicherung verstärkt nach Orientierung und Bestätigung und möchten wissen, wie ihre Bank für solche Zeiten aufgestellt ist. "Hinzu kommt, dass in der gegenwärtigen Situation viele Kunden mehr Transparenz bezüglich des Produktangebotes wünschen. Für das Marketing bedeutet dies, Produkte transparenter und weniger erklärungsbedürftig zu machen", erläutert Adel Gelbert, Managing-Partner von BBDO Consulting. Unmittelbar seien Konzepte wie die aktuelle Allianz-Kampagne ein sehr gutes Mittel, um schnell und effektiv gegen die Vertrauenskrise anzugehen. "Mittelfristig wird man sich auf Agenturseite darauf einstellen müssen, noch stärker als bisher eine emotionale Ansprache mit genügend inhaltlicher Substanz zu fundieren", so Gelbert.

"Es wird die Bank gewinnen, welche die größte Offenheit zulässt", ist der Kreative Nitze überzeugt. Es müsse das Potenzial der Agenturen mehr genutzt werden. "Möglichkeiten und kreative Ideen, eine neue Transparenz für die Finanzbranche umzusetzen, sind in der Agentur-Szene ausreichend vorhanden. Jetzt liegt es an den Werbungtreibenden, das Beste aus dieser Chance zu machen."

Über den Autor/die Autorin:

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