Die Schlagworte "Web 2.0" und "Social Media", im Englischen auch gern als "umbrella terms" bezeichnet, beginnen sich langsam zu schärfen. Wer sich im Netz durch unkonventionelle Kommunikation hervortun möchte, muss wissen, wie er seine Botschaft in einem ausdifferenzierten digitalen Sozialsystem, in die Audience tragen kann. Dialog statt nackte Media-Reichweite steht auf der Agenda. Dabei werden "Web 2.0" und auch "Social Media" je nach Kontext und Perspektive mit verschiedenen Ansätzen und Aspekten assoziiert, die die Gefahr mit sich bringen, als Terminus technicus überpenetriert zu werden und aus dem Ruder zu laufen. Word-of-mouth, virales Marketing, Blogs, Podcasts, Social Networks ....
Um es ganz einfach zu machen: Das Web 2.0 "definiert sich durch drei Faktoren: Neue Technologien, veränderte Internetnutzung und neue Angebote", so David Eicher von den Webguerillas in München. Dabei sind die "User reifer geworden, nutzen die Kommunikationsformen Text, Bild, Audio, Video - und sind dafür bereit, auch persönliche Daten freizugeben". Weblogs, Wikis, Foren, Vlogs, Podcasting, Multimediaangebote, wie Flirckr und Youtube, oder auch virtuelle Welten, wie Second Life, und Social-Bookmarking-Dienste, wie Mister Wong, oder Social News Seiten, wie digg.com, sind Beispiele für Social Media. Im Gegensatz zu traditionellen Medien ist das Gefälle zwischen Sender und Empfänger (Rezipient) aufgehoben, die User erstellen gemeinsam ihre eigenen Inhalte - und das, ohne dafür große technische Kenntnisse haben zu müssen.
Erst der Anfang
"Wir stehen noch am Anfang der Entwicklung", meint Nico Zorn, Partner bei der Bonner Unternehmensberatung Saphiron Management & Technology Consultants. Während E-Mail- und Suchmaschinenmarketing viel von Unternehmen genutzt werden, weisen beispielsweise die meisten Blogs in Deutschland kaum Reichweite auf. Und genau das ist der Dreh- und Angelpunkt vieler im Raum stehender Diskussionen rund um Markenführung und Markenaufbau: "Die Frage, wie und auf welcher Plattform ich heute Opinionleader, somit wichtige und glaubwürdige Multiplikatoren erreiche, sind für jeden Marketer grundlegend. Schließlich geht es um Abverkauf und nicht allein um ein schönes Image. Noch nie hatten die User dabei soviel Einfluss, somit Macht auf ein Markenbild und ein Produkt." Die Ausschnitte in den Suchmaschinen haben Auswirkungen auf das Unternehmen oder das Produkt. Eine Negativmeldung im Netz - und die Auswirkungen können verheerend sein. Davon abgesehen "kann heute jeder auf Wiki einen Eintrag vornehmen oder jederzeit einen bestehenden Eintrag ändern", so Online-Marketing-Dozent Nico Zorn. Hier liegt das große Problem für Unternehmen - oder, besser: die große Herausforderung.
Keine einfache Formel
Für die meisten Werbetreibenden stellt Dialog statt Media-Reichweite keine echte Alternative dar. Schließlich müssen sie ihre Botschaft an so viel Menschen wie möglich adressieren. Wenn z. B. Beiersdorf ein neues Haarshampoo auf den Markt bringt, dann wird Web 2.0 allein nicht funktionieren. Egal, ob wir hier von Foren, Blogs, word-of-mouth oder viralen Kampagnen oder einer Kombination aus allem sprechen. Das Unternehmen lebt nun mal davon, dass Millionen von Menschen die Produkte kaufen. Es macht allerdings Sinn, dass ein großes Unternehmen wie z.B. Beiersdorf parallel zum klassischen Marketing und Mediaplan den Dialog im Internet sucht - was BDF auch tut. Doch die viele Marketingverantwortlichen wenn sie nicht gerade bei BDF, Unilever, VW, BMW, Renault, Daimler, Nike, adidas, Post etc. sitzen ignorieren bislang Web-2.0-Technologien und -Herausforderungen. Was sind 1.000 angemeldete Nutzer in einem Produktforum wert? Was bedeutet es, wenn 50.000 Personen bei Youtube das Video gesehen haben oder 500 Leute unseren Podcast hören?
Das sind Fragen, die viele Marketingverantwortliche zunächst mal für sich klären wollen. Martin Oetting vom Mundpropaganda-Spezialisten trnd AG hierzu: "Investment in Social Media rechnet sich nicht wie in klassischen Werbekampagnen. Wenn man in Social Media investiert, hat man es mit einem längeren Investment in Beziehungspflege zu tun. Eine Sicht, die im Konsumgütermarketing neu ist. Hier ist der Konsument das letzte Glied in der Kette, der fraglos zu konsumieren hat, was ihm vorgesetzt wird. Das ist eine total veraltete Sicht. Wir haben es heute nicht mehr mit einer Masse zu tun, sondern mit erwachsenen, selbstbestimmten Kunden, die in Interaktion mit dem Unternehmen stehen. Und umgekehrt."
(Inter-) Aktivität
Es komme darauf an, dass man die richtigen, das heißt die "aktiven Nutzer" gewinne. User, die permanent Content produzieren, andere anstoßen und einer Plattform dadurch Leben einhauchen. "Unabhängig davon sind 1.000 registrierte Nutzer eine hervorragende Basis, um mit diesen einen mehrstufigen Dialog zu führen. Und insofern allemal besser als 10.000 Views anonymer Nutzer", so David Eicher. Ähnlich ist es bei den Views: 50.000 Videos sind dann sehr gut, wenn die Rezipienten selbst Multiplikatoren sind (z.B. Blogger, die ihrerseits wieder über das Video berichten). "Über einen Upload bei Videosharing-Plattformen versucht man ja kostengünstig eine breite Masse zu erreichen", so Eicher. Generell kann man sagen, dass Leute, die sich ein Video ansehen, sich viel intensiver mit der Marke oder dem Produkt beschäftigen, als dies über klassische Kanäle geschieht. Allein, weil sie zwei bis drei Minuten auf den Bildschirm starren.
Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob man mit Social Media à la virale Kampagnen oder word-of-mouth verkaufen kann. "Wenn es um Viral-Marketing geht - ein klares nein", sagt Sören Osing, Geschäftsführer der NonFood Werbeagentur in Hamburg. "Im Gegensatz zum Word-of-mouth-Marketing, das als Empfehlungsmarketing mit gezielt ausgesuchten und qualifizierten Zielgruppen agiert, geht es bei Viralkampagnen rein um die breite Masse. Hier soll durch emotionale Awareness die Marke bekannter gemacht werden, deswegen treibt es die Verkaufszahlen aber noch lange nicht in die Höhe." Pünktlich zu Olympia startete NonFood eine virale Kampagne für den Kunden Payback: Ziel war in diesem Fall, die Marke zu emotionalisieren, Reichweite zu generieren und jüngere Zielgruppen anzusprechen.
Glaubwürdigkeit und Vertrauen
Wer erfolgreiches Social-Media-Marketing betreiben will, braucht nicht nur Geduld, sondern auch den Willen, in einen ernsthaften Dialog mit den Kunden über das Internet zu treten. Personell lässt sich das bewältigen, wenn sich das Unternehmen darauf einstellt, z. B. indem entsprechende redaktionelle Kapazitäten eingeplant werden. Die Erfahrung von trnd, Webguerillas oder auch Nonfood decken sich darin, dass der Aufwand zumeist überschaubar bleibt. "Bei einem Innovationsprojekt, bei dem beispielsweise rund 1.000 Teilnehmer, externe User, involviert sind, werden drei Moderatoren/Redakteure benötigt", sagt David Eicher. Dennoch kennen auch hier zahlreiche Unternehmen Berührungsängste.
Logisch, schließlich haben Unternehmen in den 1990er Jahren angefangen sich "immer mehr abzuschotten. Mit der Auslagerung des Kunden ins Callcenter hat man die Bindung an diesen komplett abgegeben. Man wollte Kontrolle innerhalb des Unternehmens behalten - das bezog sich auch aufs Produkt - und hat diese damit verloren", so Nico Zorn. Doch auch hier zeigt sich Abhilfe: Die Mundpropaganda-Profis trnd starten das erste WOMcenter (kurz für Word-Of-Mouth-Marketing Center) in München - Eine spezialisierte Dienstleistung für den 1:1-Dialog mit großen Konsumentengruppen. "Das WOMcenter soll ermöglichen, was im klassischen massenmedialen Marketing nicht stattfindet: direkten Online-Dialog mit tausenden Markenfans und Multiplikatoren, schließlich sind Kaufentscheidungen soziale Prozesse", erklärt Martin Oetting. Egal ob mit 3, 300, 3.000 oder mehr Menschen: Entscheidend für die Glaubwürdigkeit eines Dialogs ist, dass das Unternehmen mit den Kunden auf Augenhöhe kommuniziert. "Dabei", so David Eicher, "die Grundregel beherzigt: Kommunikation im Sinne der freien Meinungsäußerung - keine Angst vor Kritik, stattdessen der respektvolle Umgang damit."