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Aufmerksamkeit verdienen

Henning Poppe, 5. Juni 2008

IPTV - das ist, kurz gesagt, Fernsehen im Internet. Genau genommen versteht man darunter die Distribution von hochauflösenden Bewegtbildern über das digitale Breitband-Datennetz. Branchenkenner sind diesem Thema schon seit einiger Zeit auf den Fersen und allerorten spürt man das große Interesse an den Möglichkeiten, die eine Verschmelzung des Leitmediums TV mit dem potenten "kleinen" Bruder Internet mit sich bringen. Wer möchte, kann sich als IPTV-Zuschauer rund um die Uhr live im chinesischen Fernsehen via Internet darüber informieren, welche Informationen nicht im TV gesendet werden.

Oder die thematisch ausrichten und sich bei NASA-TV über den letzten Schrei in Sachen Bigbang informieren. Theoretisch sind der Interessensuche durch IPTV keine Grenzen gesetzt. Wenn man glotzen möchten, kann man Internet sei Dank, überall hinschauen. Erwacht hier durch das gestreamte Bewegtbild der nächste gigantische mediale Metabolismus zum Leben, der den User zum Programmdirektor des praktisch unbegrenzten Inhaltsangebots macht? Oder betreiben die Branchenriesen in der Telekommunikation lediglich fleißig Zukunftssicherung und schaffen mehr oder minder geschickte Differenzierungsmöglichkeiten für den Zuschauer? Beides, sollte man meinen, und es spricht ja auch wirklich nichts dagegen.

IPTV bietet zweifelsohne Vorzüge, die auch Werbern und Vermarktern unmittelbar einleuchten: Es ist möglich, Special-Interest-Kanäle zu schaffen, diese vergleichsweise kostengünstig zu produzieren und zu distribuieren - wahlweise als Echtzeitstream oder als On-Demand-Angebot. Prima: Man hat den geneigten Zuschauer nicht nur interessenseitig voll im Boot (Special-Interest), sondern er kann den Zeitpunkt des Konsumierens beliebig wählen (On-Demand). Das hat nicht unerhebliche Konsequenzen für die Ausrichtung der Kommunikation, da man sich aktiv wegbewegt von der klassischen Art, im Internet zu werben. Der offenkundige Vorzug des IPTV ist der inhaltliche Spielraum, den der Content selbst bietet, und es wird nicht länger das Werbemedium parallel möglichst passend zum Content ausgeliefert, sondern die Werbebotschaft ist untrennbar mit dem Content verflochten und wird vielmehr implizit gesendet, idealtypisch subtil. Diese inhaltlich praktisch völlig variablen Möglichkeiten bergen natürlich auch Gefahren, die im Bereich der Gestaltung des Contents zu suchen sind. Es drängt sich die Frage auf, ob es dauerhaft möglich sein wird, genügend attraktive Inhalte zu produzieren, die das positiv-naive Interesse des Kunden befriedigen, wenn die Absender der Botschaften den Zuschauer vor allem über Produktneuerungen informieren möchten.

Die Herausforderung besteht darin, relevante redaktionelle Inhalte zu produzieren, die vom Zuschauer als echter informativer Mehrwert aufgenommen werden und diese Themen mit werblichen Inhalten zu verkoppeln, ohne dass es aufdringlich, plump oder für den Zuschauer nervend wird. Denn zumindest das sollte von Anbeginn beim Thema IPTV klar sein - wegen der unbedingten Freiwilligkeit des Konsumenten in der Auswahl des Programms hat die Werbung jeglichen Zwangscharakter per se eingebüßt. Das ist grundsätzlich positiv zu beurteilen, denn jede aktuelle Studie bestätigt die zunehmende Relevanz der freiwilligen Involviertheit des Zuschauers - auch und gerade in den klassischen Medien.

Das begehrlichste Anwendungsfeld in diesem Kontext ist die Auslieferung von Werbung an Kunden, die für sie subjektiv interessant ist. Streuverluste lassen sich deutlich reduzieren und Marketing über das IPTV kann damit auch für diejenigen Unternehmen eine relevante Rolle spielen, die Fernsehwerbung bislang nicht für sich nutzen konnten. Durch IPTV werden sich bei zunehmender Akzeptanz in der Bevölkerung die massiven Auswirkungen auf die Medienlandschaft beschleunigen, schätzt Michael Wurzer von verytv die aktuelle Entwicklung ein. Wurzer ist Geschäftsführer des jungen Medienunternehmens verytv in Köln, das seit 2002 Inhalte für Internet-Sparten-TV produziert und ebendort auch auf einer eigenen Plattform sendet. "Das Web-TV ist ein ganz fantastisches Tool, das viele Markenartikler schon direkt aufgegriffen haben wie etwa Audi-TV oder BMW-TV, die machen Programm im Internet rund um das eigene Unternehmen und die eigene Marke, und dass sie deswegen ihre klassische Werbung nicht einstellen, das ist auch klar. Diese Kommunikationsmodelle intelligent zu verzahnen - das ist wichtig." Wurzer weist in Anlehnung an ein Zitat von Marco Zingler, Geschäftsführer Beratung der Internetagentur denkwerk, darauf hin, dass man Aufmerksamkeit nicht kaufen könne, sondern dass man sie sich verdienen müsse.

Der Realität zur Ehre nimmt Wurzer nicht für verytv in Anspruch, eine alleinige Alternative zum Werbeumfeld TV anzubieten, doch betont er nicht ohne Stolz, dass sich beim IPTV die besten Eigenschaften beider Medien verbinden lassen. Sehr deutlich wird aber auch, dass viele Möglichkeiten bislang noch ungenutzt bleiben. Gerade im Bereich der Interaktion sieht Wurzer noch Potenziale: IPTV ist ein Zwei-Wege-Kanal, daher lassen sich im IPTV Formate umsetzen, die den Zuschauer zum Akteur machen. Hier grenzt sich das Medium klar gegen TV ab und denkbar wird die direkte Partizipation des Zuschauers am Programm in Echtzeit.

"Alles, was man im Fernsehen liebt, kann durch die Zusammenführung mit dem Internet noch viel stärker werden. Der Nutzer kann machen, was er will - wenn er aktiv sein will, ist er aktiv, und wenn er sich zurücklehnen will, macht er eben das. Diese Stärken zu fusionieren, das ist einfach eine tolle Mischung.“

Der Produktionsaufwand des Contents ist relativ überschaubar und mit den Budgets für die Herstellung eines klassischen TV-Spots nicht zu vergleichen. Die Produktionskosten für eine Basis-Web-TV-Plattform betragen bei verytv 25.000 Euro, die Produktion einzelner Beiträge für die Plattform kosten je nach Aufwand zwischen Drei- und Fünftausend Euro. Für knapp Zehntausend Euro bietet verytv ein "Web-TV Starter-Kit" an, bei dem in einem Testzeitraum von drei Monaten eine Web-TV-Plattform ausprobiert werden kann. "Ein großer Vorteil ist die Aktualität der Produktion ... Es wird gedreht, geschnitten, vertont, kodiert, auf den Server geladen - und dann ist man mit dem Programm auf Sendung", verweist Wurzer auf die Vorzüge der Produktionsweise. Von Vorteil erscheint ebenfalls die punktgenaue Abstimmung der Produktionsweise auf die tatsächlichen Anforderungen, die das Medium stellt. Etwa muss man bei Produktionen, die für das Handydisplay gedacht sind, beachten, dass zum Beispiel keine Totalen verwendet werden, weil man dann kaum noch Bildinformation sinnvoll wahrnehmen kann. Dennoch werden durch die ständig verbesserten technischen Möglichkeiten der Medien die ursprünglichen Visionen zunehmend greifbarer, da nämlich dank der möglichen Interaktivität aus der Einwegkommunikation auch im Bewegtbild ein Dialog entstehen kann. "Man wirft einen Ballast nach dem nächsten ab", freut sich Wurzer, "in fünf Jahren werden wir Leitungen haben und Inhalte schießen, von denen wir heute noch gar nicht zu träumen wagen!" In Köln beispielsweise ist die Bandbreite lange schon kein Hemmnis mehr, hier sind Glasfaserleitungen verlegt, die schnell und zuverlässig auch große Datenmengen streamen. "Das ist auch ein Grund, warum heute die Visionen Realität werden", erklärt Wurzer. Aber auch er weiß um die Chancen und Risiken der gestalterischen Freiheiten der Werbenden und versteht verytv natürlich als Partner in der Betreuung der redaktionellen Inhalte neben der Funktion als Produzent. Um dem allzu zielführenden Vorgehen der Absender der Beiträge in positiver Weise Einhalt zu bieten, trennt verytv zwischen strikt redaktionellen Inhalten und letzten Endes Advertisings zum Beispiel in Form von Messepräsentationen oder Veranstaltungshinweisen.

Hier ist es Wurzer wichtig zu bedeuten, dass das Aufladen des Contents mit werblichen Botschaften ein sensibles Gefüge ist, dass nicht zuletzt die Gefahr birgt, dass sich der Nutzer mehr der Werbebotschaft als dem subjektiv interessierenden Inhalt ausgesetzt sieht. Diesen Eindruck gilt es beim Zuschauer unbedingt zu vermeiden, da dieser sein Vertrauen in den Content durch die Auswahl desselben zeigt - und hier eben keine inszenierten Werbebotschaften erwartet, insofern muss der Content mit Werbeinformationen auf Augenhöhe sein. "Ich mache ja eine inhaltliche Strategie nicht, um dann das Ganze wieder durch meine eigenen Spots zu verseuchen, sondern es ist ja eine ganz subtile Art der Ansprache. Wenn das nicht erreicht wird, dann habe ich mein Ziel verfehlt."

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