Ist der Gläserne User in Sicht? - Google, Social Networks und der Datenschutz
Jörg Klekamp, 25. April 2008Datenschutz ist seit jeher ein großes Thema für die Online-Branche. Aktuelle Marktentwicklungen schüren in der Öffentlichkeit erneut die Furcht vor dem viel zitierten Gläsernen User. Zu Recht?
Der Online-Werbemarkt ist in Bewegung. Wieder einmal, muss man wohl sagen - neue Hypes entstehen schließlich nahezu täglich und mit der Verlässlichkeit eines Schweizer Uhrwerks. Seit November letzten Jahres ist es einmal mehr an Google, die Online-Gemeinde aufzumischen: OpenSocial heißt das jüngste Google-Großprojekt und gleichzeitig das neue Zauberwort für Social Networks.
Vorreiter des OpenSocial-Ansatzes war Facebook in den USA, das jüngste Google-Baby - ursprünglich mit dem schönen Namen Maka-Maka versehen und gepampert unter anderem von den Applikationsentwicklern Flixter, iLike, Rockyou und Slide - darf und muss deshalb auch als Antwort auf die Facebook-Allianz mit Microsoft gesehen werden.
Was ist OpenSocial?
Aber worum geht's eigentlich genau bei OpenSocial? In aller Kürze: Um eine gleichnamige Software, die dazu dienen soll, einen offenen, plattformübergreifenden Standard zu etablieren. Oder einfacher: die ermöglichen soll, dass User bestimmte Daten ihrer Profile in unterschiedlichen Social Networks, darunter Xing und MySpace, zentral und mit deutlich weniger Aufwand pflegen können. Vorausgesetzt, die Anbieter des Social Networks verwenden die entsprechende Google-Technologie und hinterlegen und verarbeiten die jeweiligen Daten in einheitlicher Form. So lässt sich dann mit relativ wenig Aufwand das eigene Profil auf Plattform A mit Daten von Plattform B abrunden, etwa mit neuen Fotos. Seit Kurzem ist auch Google-Wettbewerber Yahoo der mächtigen Allianz beigetreten.
Über Schnittstellen, sogenannte "Application Programming Interfaces", können sowohl die Anbieter der Social Networks als auch die Nutzer künftig die Daten austauschen. Bislang sind drei dieser Schnittstellen vorgesehen:
- Das People and Friends data API ermöglicht die Bearbeitung des eigenen User-Profils inklusive der eigenen Kontakte;
- Das Persistance data API (zum Speichern, Bearbeiten und Löschen der Daten) dient der plattformübergreifenden Verbreitung von Informationen über Freunde und andere Nutzer;
- Das Activities data API (für Interaktionen der Personen mit der Plattform) erfasst und informiert über Aktivitäten der User (z. B. "XY hat ein Foto/ein Video hochgeladen").
Zaubertrank oder bitteres Gebräu?
Angesichts dieser Entwicklung feiern OpenSocial-Enthusiasten bereits das Ende der gegeneinander abgeschotteten "Walled Gardens", und auf den ersten Blick bringt Google da tatsächlich eine schöne, komfortable Anwendung für User, die so deutlich weniger Zeit und Nerven investieren müssen, um ihre Profile in den diversen Social Networks zu verwalten und auf dem aktuellsten Stand zu halten. Die Fotos von der letzten Party müssen dann nur noch einmal hochgeladen werden und erscheinen anschließend auf allen angeschlossenen Networks.
Auf den zweiten Blick jedoch, so die Kritiker, entpuppt sich der neue Google-Zaubertrank als ein bitteres Gebräu, das den Online-Werbern deutlich besser bekommen dürfte als den Nutzern. Datenschützer beklagen, mit OpenSocial entstünden zahllose ausdifferenzierte User-Profile, die von den Anbietern genutzt würden, um gezielt Werbung zu schalten, die exakt zu den in den Nutzer-Profilen genannten jeweiligen Vorlieben passt ("Micro-Targeting"). Das Prinzip ist einfach: Wenn ein männlicher Nutzer als Hobby "Fußball" angibt, erhält er beispielsweise Online-Werbung von Fanartikel-Anbietern oder auch von einer Herren-Pflegeserie, die aktuell mit der Verlosung von EM-Eintrittskarten wirbt.
Zweiter Stein des Anstoßes: Diese Daten werden vervielfacht durch die Vernetzung der Nutzer-Profile untereinander. Und drittens erhalten auch Dritte Zugriff auf diese Daten.
Warum eigentlich OpenSocial?
Vom Konter gegen die Facebook/Microsoft-Achse mal abgesehen: Warum macht Google sowas eigentlich? Jüngst wurde bekannt, dass Google, Microsoft, Yahoo & Co. zusammen monatlich satte 336 Milliarden "Datenübertragungsereignisse" sammeln. Vor diesem Hintergrund müsste das Unternehmen aus dem kalifornischen Mountain View über ausreichend Daten für seine Werbung verfügen, oder?
Die Antwort ist ein eindeutiges Jein. Denn bisher platzierte Google Werbung kontextsensitiv, heißt: abhängig vom Inhalt der jeweiligen Website, auf der die Werbung geschaltet werden soll. Jetzt, mit den per OpenSocial generierten Daten, kann "der 1000-Pfund-Gorilla" (so das Magazin DE:BUG) die Werbemittelauslieferung direkt an die im Nutzerprofil genannten Vorlieben der User anpassen - und aller Voraussicht nach Klickraten und Umsätze merklich erhöhen.
Doch es sind nicht immer nur User, die von der Datenschutzproblematik betroffen sind. Aktuelles Beispiel: Die soeben von der Europäischen Union abgenickte Übernahme des Online-Werbedienstleisters DoubleClick durch Google hat auch massive Auswirkungen auf die Online-Werbebranche. Angesichts der Vermählung dieser beiden Biggies werden auch werbetreibende Unternehmen und Online-Marketer nachdenklich. Die Skepsis richtet sich einerseits gegen das Entstehen eines de facto-Monopolisten: Schon heute arbeiten die sieben größten deutschen Top-Vermarkter laut AGOF bereits mit DoubleClick. Das heißt nicht mehr und nicht weniger als: DoubleClick erreicht rund zwei Drittel aller deutschen User. Hinzu kommt nun noch das enorme Google-Potenzial. In der Summe dürfte die gemeinsame Reichweite schätzungsweise gut 90 Prozent aller deutschen Nutzer erfassen.
Drohende Datengefahr
Aus dem Kreis der Online-Vermarkter haben einige noch vor der Zustimmung der EU zum Kauf durch Google angedeutet, dass sie sich von DoubleClick trennen wollen, wenn der Google/DoubleClick-Deal zustande kommt. Die aktuellen Meldungen zu Googles kostenloser Low Budget Adserving-Lösung "Ad Manager" lassen diese Kreise nicht wirklich auf Besserung hoffen. Im Gegenteil: Hier wird - zweiter Punkt der Kritiker - weiteres technologisches Know-how zusammengeführt, auch wenn Ad Manger nicht als Konkurrenzprodukt zu DoubleClick auftreten kann und wird. Kunden, die sich halbwegs der auf ihren Websites gesammelten Daten bewusst sind, werden sich stark überlegen, ob sie ihre Daten dem neuen Riesen anvertrauen werden.
Es muss nicht immer Google sein
Doch auch ohne Googles Zutun wird im Netz eifrig der Gläserne User poliert. Genannt sei hier nur StudiVZ: Bereits Ende 2006 war die Plattform wegen diverser Sicherheitslücken ins Gerede gekommen, was sogar dazu führte, dass StudiVZ tagelang abgeschaltet wurde, um die Löcher zu stopfen. Es folgte jüngst die öffentliche Diskussion um geänderte Nutzungsbedingungen und die "Zwangsverpflichtung" der User, der Nutzung ihrer Daten zu Werbezwecken zuzustimmen. Auch hier ging es um personalisierte Online-Werbung, die nach den Angaben der Nutzer ihren Profilen zugewiesen wird.
In eine weitere offene StudiVZ-Flanke stößt mittlerweile die BILD-Zeitung, wie die taz kürzlich meldete: Das Boulevardblatt recherchiert regelmäßig für seine Geschichten in StudiVZ und zieht nicht nur private User-Informationen aus dem Netzwerk, sondern auch Bilder. StudiVZ unternimmt nichts gegen diese Praxis, die Betreiber geben betroffenen Mitgliedern lediglich den Rat, selbst gegen die BILD vorzugehen. Die taz spricht deshalb von einem "wenig zimperlichen Umgang mit Nutzerdaten" auf StudiVZ.
Doch auch außerhalb der Social Networks tobt die Datenschutzschlacht. Cookies etwa sind regelmäßig Ziel der Angriffe von Kritikern. Sie spionierten die Rechner aus, auf denen sie abgelegt werden, lautet der Standardvorwurf. In dieser Frage jedoch mischt sich seriöse Kritik mit Halbwissen. Wer unter den Usern, außer semi- oder vollprofessionellen IT-lern, weiß beispielsweise, dass die in zig Internet-Foren verteufelten Cookies in vielen Fällen ausschließlich anonymisierte Daten enthalten, die keinerlei Rückschluss auf die Identität des Users erlauben? Selbst das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein urteilt auf seiner Website: "Von ihrer ursprünglichen Intention her sind Cookies recht harmloser Natur".
Aufklärung tut dringend Not
Vor dem Hintergrund der vielen verwirrenden Informationen und Fehlinterpretationen, die derzeit kursieren, scheint es Zeit für eine verbesserte Informationspolitik zugunsten der Internetnutzer: Sachliche Aufklärung bringt alle Beteiligten in der Datenschutz-Debatte weiter als emotionales Halbwissen. Eine ebenso objektive wie offensive Diskussion der Datenschutz-Frage durch die Branche ist überfällig und sollte unter anderem auch die Anwendung von Cookies sowie die technische Verarbeitung unter Berücksichtigung der Datenschutzaspekte thematisieren. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft e. V. (BVDW) hat sich dieses Anliegen für 2008 auf die Fahnen geschrieben, wird explizit das Thema Cookies aufgreifen und eine Art Robinson-Liste der Online-Werbung erstellen.
Diese Initiative kommt zum richtigen Zeitpunkt: Sie informiert User über die Cookies auf ihren Rechnern und fördert so die Transparenz in der Online-Werbung. Das Vertrauen der Nutzer ist das wichtigste Kapital der gesamten Branche. Daher muss es im Interesse aller Online-Werber sein, diesen Schritt zu gehen.
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