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DISPLAY ADVERTISING

Weniger telefonieren

Karsten Zunke, 7. März 2008

Wäre das nicht schön: Statt ständig per Telefon über TKPs und Platzierungen zu verhandeln, überlässt man die Sisyphos-Arbeit einfach einer Software. Google hat mit seinem Adwords-Auktionsmodell gezeigt, wie man automatisiert passende Werbung einblenden kann. Agenturen wünschen sich seit Langem, dass Dinge, die nicht die Mediaplanung und -beratung betreffen, möglichst automatisch ablaufen. Marktplätze für Displaywerbung könnten eine Lösung sein, um steigende Mediavolumina ohne viel Aufwand an passende Publisher zu bringen und zu optimieren. Wird es vielleicht in ein paar Jahren einen relevanten deutschen Media Exchange nach US-amerikanischem Vorbild geben?

Werbungtreibende und Publisher, die sich die Reklame für den Right Media Exchange ansehen, dürften entzückt sein. Hier bietet der Publisher sein Inventar gegen das höchste Gebot an und der Werbungtreibende erhält für sein Budget die maximalen Ad-Impressions. Während bei einem Blind-Network der Publisher nicht weiß, wie das Netzwerk sein Inventar belegt, und der Advertiser wiederum nicht weiß, wo seine Kampagne gezeigt wird, und am Ende der Netzwerkbetreiber angeblich am meisten profitiert, ist das bei Marktplätzen anders. Hier sollen Publisher, Advertiser und Marktplatzbetreiber gleichermaßen profitieren. Weniger entzückt von solchen teilautomatisierten Plattformen dürften die Vermarkter mit ihren ausgefeilten, hochwertigen Targeting-Angeboten und die Agenturen mit ihren Beratungsleistungen sein.

Aber hierzulande stecken die Marktplätze und ihre Auktionsmechanismen noch in den Kinderschuhen. Etablierte amerikanische Player wie Right Media haben für ihre Börsen bisher nicht verlauten lassen, ob man auch auf dem deutschen Markt aktiv wird. Das schon bald zu Google gehörende Unternehmen Doubleclick hatte ursprünglich angekündigt, seinen Marktplatz "Ad Exchange" im vergangenen Jahr weltweit einzuführen. Bisher ist nichts passiert. Auch bei Microsofts Neuerwerbung, der Media-Börse AdECN, sind keine Bestrebungen erkennbar, nach Deutschland zu expandieren.

Kein Restplatz-Boom in Sicht

Ob tatsächlich irgendwann das große Geschäft mit automatisierten Auktionsmodellen im Display-Bereich kommt, darüber sind sich Marktteilnehmer uneins. Und dass dann auch die besonders reichweitenstarken Portale und Seitenbetreiber große Buchungs-Engines mit Inventar füttern, halten viele für unwahrscheinlich. "Da die Reichweite der Kampagnen eine immer bedeutendere Rolle spielt, wird sich das Geschäft aber zunehmend auf die Top-Vermarkter und Top-Sites konzentrieren. Vor diesem Hintergrund wird auch in Zukunft primär individuell vermarktet werden - das Restplatzmanagement wird eine untergeordnete Rolle spielen. Ad-Exchange-Plattformen werden ihr Inventar somit primär von Sites erhalten, die sich nicht im Portfolio der großen Vermarkter befinden", meint beispielsweise Matthias Falkenberg, Geschäftsführer SevenOne Interactive.

Erste deutsche Börsen gibt es bereits, allerdings bleiben dort die großen Vermarkter fern. "Wir setzen nicht auf Media-Marktplätze. Werbetreibenden und Media-Agenturen ist unserer Meinung nach nicht damit geholfen, wenn Reichweite von der Reste-Rampe kommt", sagt Oliver Busch, Geschäftsführer ad pepper media Gruppe Deutschland. "Was der Markt braucht, ist mehr Qualität und Relevanz der Werbung". Ad pepper hat mit mediasquares eine eigene Branding Unit, welche die Werbeplätze zu Festplatzkonditionen hochpreisig vertreibt. Das restliche Inventar setzt die Geschäftseinheit "ad pepper performance" für responseorientierte Werbekunden - unter Berücksichtigung sämtlicher Targeting-Möglichkeiten - und optimiert die Belegungen nach Wirtschaftlichkeit für Kunden und Websites. "So haben wir kein Problem mit Restplätzen", sagt Busch. Eine Entkopplung der Beratung sei der falsche Weg. Was aber, wenn die Maschine der bessere Berater ist?

Glaubt man Matthias Ehrlich, Vorstand des Online-Vermarkters United Internet Media, wird es auch in ein paar Jahren keinen relevanten deutschen Media-Exchange geben. "Wenn, dann im Low-Involvement- oder Low-Price-Segment, als Restplatzvermarktungsthema. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass entsprechende Angebote vom Markt der gebrandeten, großen und relevanten Player nicht angenommen werden. Bloße Masse ist eben kein Thema, mit dem ein Medienhaus gute Erlöse erzielen kann, und spezifische, verlässliche Erfolge brauchen 'Branded Media' ", so Ehrlich. UIM steht solchen Marktplatz- und Börsenkonstrukten bekanntermaßen kritisch gegenüber. "Allerdings sprechen wir mit großen Medienhäusern bereits über Lösungen, in denen wir Technologie teilen, damit aber die volle Differenzierung von Media gewährleisten. Das ist nach unserem Feedback auch eine conditio sine qua non von Qualitätsvermarktern - wer es sich leisten kann, hat ein Geschäft, nicht nur einen Marktstand", meint Ehrlich.

Auch bei InteractiveMedia sieht man solche Marktplätze skeptisch. "Grundsätzlich sind solche Plattformen sicherlich eher für kleinere Vermarkter mit qualitativ weniger interessanten Sites eine mögliche Lösung - zum Beispiel in der Vermarktung von Communities, die keine redaktionellen Inhalte bieten und daher als Werbeplattformen weniger attraktiv sind", sagt Guido Sachs, Geschäftsführer InteractiveMedia CCSP GmbH. Für Anbieter wie InteractiveMedia, die über Markensites mit redaktionell hochwertigen Umfeldern und hoher Reichweite - wie beispielsweise T-Online.de - in ihrem Vermarktungsportfolio verfügen, stelle sich die Frage nach einer Restplatzvermarktung nicht. "Die Nachfrage nach Werbeflächen auf den von uns vermarkteten Seiten entspricht mindestens dem Angebot und geht oft sogar darüber hinaus", so Sachs.

Hoffen auf ein Wunder

Viel erhofft hatte sich wunderloop mit seiner Börse connect. Noch befindet sich die Plattform im Beta-Stadium, 275 Websites sind nach Angaben des Anbieters bereits angemeldet. Doch die ganz großen Vermarkter sind bis auf AOL nicht vertreten. Das Besondere an dieser Börse: Sie soll Behavioral-Targeting-Kampagnen vermarkterübergreifend ermöglichen. Die Technologie von wunderloop verfolgt das Nutzerverhalten und erfasst es in einem standardisierten Datenformat. Das System lernt dabei aus den Gemeinsamkeiten im Nutzerverhalten und implementiert entsprechende Standards für den Aufbau von Zielgruppenprofilen. Auf diese Weise soll die kritische Masse von Daten und Nutzerprofilen erzeugt werden, die für Werbung im großen Stil benötigt wird. Jeder Website-Betreiber, der wunderloop connect beitritt, setzt diese Technologie auf seinen Seiten ein.

"Ein zentraler Nutzen von connect ist die Reichweitenverlängerung. Das ist beispielsweise dann interessant, wenn ich auf meinem eigenen Portal einen Engpass bei bestimmten Zielgruppen habe - und diese lassen sich durch in connect zu findende und buchende Zielgruppen erweitern", erläutert Michael Kleindl, Chairman wunderloop media services GmbH, Hamburg. Der zweite zentrale Nutzen der Börse sei es, nicht vermarktetes Inventar dynamisch auf CPM-Basis einzustellen. "Connect ist ein Marktplatz, auf dem sowohl kleinere und mittlere als auch große Vermarkter und Websites ein Zuhause und einen klaren Nutzen haben. Aus unserer Sicht ergeben sich für sie keinerlei Nachteile. Unser klares Ziel ist und bleibt es, einen möglichst großen Marktplatz zu etablieren, bei dem im Idealfall alle mitmachen. Dann ist der Nutzen für alle Beteiligten am größten. Und ein bisschen Idealist darf man ja sein", sagt Kleindl.

Werben im Long Tail

Einen anderen Ansatz verfolgt hierzulande Adscale. Große Vermarkter haben die Marktplatzbetreiber hier nicht auf der Wunschliste. "Wir fokussieren uns mehr auf den Long-Tail-Bereich. Agenturen können aber beispielsweise unsere Plattform sehr gut nutzen. Denn Agenturen, deren klassisches Geschäft die Premium-Vermarktung ist, bekommen über AdScale den optimalen Zugriff auf dieses Performance- und Conversion-orientierte Geschäft", erläutert Matthias Pantke, geschäftsführender Gesellschafter von AdScale. Der Long Tail sei keineswegs ein Nischenmarkt. "Entscheidend ist für uns letztendlich die Reichweite, die wir den Advertisern zu marktkonformen Preisen anbieten können. Gerade bei diesem Performance-Ansatz im Long Tail liegt ein riesiges Potenzial", so Pantke. Im Gegensatz zu den Börsen versteht sich AdScale als ein Echtzeit-Marktplatz für Onlinewerbung. Das System funktioniert als Auktion in Echtzeit, was bedeutet, dass die Werbeflächen für jede Page Impression neu versteigert werden. Dem Advertiser stehen zur Buchung alle verfügbaren Websites einzeln und direkt zur Verfügung. Der Publisher bietet sein Inventar also nicht einem Netzwerk an, sondern direkt dem Werbekunden.

Bis dato gibt es soziodemografisches Targeting wie Alter oder Geschlecht sowie Keyword Targeting über Datenbanken. "Geo-Targeting und Behavioral Targeting wird es im Laufe dieses Jahres geben", kündigt Pantke an.

Die Wirtschaftlichkeit entscheidet

Bei Agenturen kommt der Gedanke für plattformübergreifendes Behavioral Targeting prinzipiell gut an. "Insbesondere in Fach-Nischen wie Finanzinformationswebsites mit kleiner und mittlerer Reichweite wünschen wir uns dies", sagt Stefan Swertz, Gründer und Vorstand der adisfaction AG. Die Vermarkter dieser Spezialumfelder müssen auf Nachfragen nach Behavioral Targeting bisher ablehnen - ihnen fehlt die Reichweite. "Behavioral Targeting macht ja nur bei genügend großen Grundgesamtheiten Sinn. Eine übergreifende Plattform könnte Abhilfe schaffen", so Swertz.

Für Cornelia Lamberty, Vorstandsvorsitzende von moccamedia, sind Börsen für kurzfristige Buchungen prinzipiell sinnvoll. Bei der regulären Belegung von Onlinemedien gelte ansonsten die klassische Mediadenke: Genaue Untersuchung der Leistungswerte und der Qualität - zum Beispiel hinsichtlich des Faktors Zielgruppen-Engagement. "Wir beobachten die Entwicklung solcher Plattformen intensiv, verhalten uns jedoch - bis auf einige Pilotprojekte - konservativ. Meist empfehlen wir unseren Kunden sehr individuelle Kampagnen und haben im Zuge dessen selbst beim Medium Radio eher selten die vorhandenen Kombimöglichkeiten voll ausschöpfen können."

Viele Vermarkter beobachten die Entwicklung interessiert. "Wir prüfen grundsätzlich alle Modelle auf ihre Wirtschaftlichkeit. Sollten sich über solche Plattformen bessere eTKP erzielen lassen als über die herkömmlichen Modelle, so würden wir ein entsprechendes Engagement erwägen", sagt Falkenberg. "Unsere bisherigen Gespräche mit den Anbietern haben aber gezeigt, dass es für Premium-Vermarkter wirtschaftlichere Modelle gibt, um die vorhandenen Inventare zu vermarkten."

Auch beim Online-Vermarkter Tomorrow Focus hat man sich intensiv mit dem Thema Werbemarktplätze auseinandergesetzt und ist jetzt zu dem Schluss gekommen, dass hier ein großes Umsatzpotenzial brach liegt. Das Unternehmen steigt daher zielstrebig in diesem Markt ein und beteiligt sich mit einem einstelligen Millionen-Euro-Betrag an der britischen Plattform Adjug. Zusammen wollen die Partner nun den deutschen Markt für Werbemarktplätze aufrollen (siehe Interview).

Über den Autor/die Autorin:

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