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ECOMMERCE

Verkaufen mit sozialer Komponente

Arne Schulze-Geißler, 14. März 2008

Konsumenten standen wohl noch nie vor einem so großen Produktangebot und einem undurchsichtigen Preisgefüge wie heute. Jeder Kauf entwickelt sich zu einer Spezialdisziplin, egal ob Altersvorsorge, Handy, Computer, DSL-Anschluss, Klamotten. Dabei haben Konsumenten nicht nur hohe Ansprüche an Produkteigenschaften, sie wollen auch noch alles zum niedrigsten Preis einkaufen. Es ist fast ausgeschlossen, dass sich ein Mensch allein mit den gängigen Konsumthemen gut auskennt. Früher gab es einmal solche Menschen, die sich mit allem auskannten, jeder hatte einen im Bekanntenkreis. Heute habe ich entweder zehn unterschiedliche Experten, die ich kontaktieren muss, oder ich nutze die Möglichkeiten des World Wide Web.

Diesem und verwandten Themen, allerdings aus Verkäufersicht, widmen sich Frank Mühlenbeck und Klemens Sibicki in ihrem neuen Buch "Verkaufsweg Social Commerce". Die beiden Community-Experten (nähere Informationen zu den Personen unter ) geben in ihrem Werk einen Überblick über die Ausprägungen und die Bedeutung des Web 2.0 und, natürlich nicht zu vergessen, die Einsatzmöglichkeiten im E-Commerce-Umfeld. Zum Thema Social Commerce und zum Buch hatten wir einige Fragen, die uns Frank Mühlenbeck beantwortete.

Adzine: Wie Sie in Ihrem Buch feststellen, ist Social Commerce ein alter Hut. Die Menschheit hat sich vor dem Konsum schon immer gegenseitig beraten. Wenn jetzt nach und nach Online-Shops Kommunikationsmöglichkeiten unter den Konsumenten einrichten, dann ist das doch nur ein Zusatzfeature, aber doch kein neuer Verkaufsweg, was der Titel Ihres Buches andeutet, oder?

Mühlenbeck: Die Sozialisierung von Käufen bzw. Verkäufen wurde bisher niemals strategisch so eingesetzt, da es überhaupt keine technischen Möglichkeiten gab, die sozialen Beziehungen zwischen Kunden derart abzubilden. Das Höchste der Gefühle war die von Amazon dargestellte Möglichkeit anzuzeigen, welche Artikel über den angezeigten hinaus von Kunden gekauft wurden, die diesen Artikel gekauft haben. Eine aktuelle Diskussion in der Blogosphäre handelt davon, ob Amazon in Zukunft die Nase vorn hat oder eher Facebook. Amazon hat natürlich die Informationen über die bereits gekauften Produkte. Dafür kennt Facebook die bestehenden Beziehungen und die Qualität der Beziehung innerhalb der Mitglieder. Die effizienteste Verbindung dieser Daten ermöglicht das, was wir als Social Commerce bezeichnen. Um somit einen Online-Shop Richtung Social Commerce zu erweitern, reicht es nicht, ein paar Zusatzfeatures zu installieren. Die Art der Produktpräsentation und die Einbindung der Kunden muss strategisch neu ausgerichtet werden.

Adzine: Nach der Lektüre Ihres Buches konnte ich grob drei Anwendungsgebiete des "Web 2.0" im E-Commerce-Umfeld ausmachen. 1. Bestehende Shopangebote, die über eine soziale Komponente Nutzer, Käufer und Interessierte stärker an sich binden möchten. 2.Ganz neue Modelle, bei denen die Konsumenten bzw. die Community von Anfang an Teil des Geschäftsmodelles sind, wie z.B. bei threadless oder iStockphoto. 3. Bestehende Portale oder Communities auch, die zwar über Traffic verfügen, aber noch kein E-Commerce-Modell haben, könnten eine zusätzliche Erlösquelle durch eine clevere Einbindung erschließen. Habe ich das soweit korrekt verstanden?

Mühlenbeck: Genau richtig, diese drei Anwendungsgebiete werden in Zukunft die Möglichkeit haben, die Früchte des Social Commerce zu ernten. Ein viertes Anwendungsgebiet besteht im Markt der Unternehmen, die noch nicht ausreichend im Web vertreten sind. Wir führen in letzter Zeit viele Gespräche mit mittelständischen Unternehmen, die langsam verstehen, in welche Richtung sich das Internet mit dem "Web 2.0" entwickelt und welches Potenzial insbesondere für die Mittelständler besteht, sich neue Märkte zu erschließen. Insbesondere Mittelständler deshalb, weil sie im Gegensatz zu den Großen wesentlich schnellere Entscheidungswege haben und die Kosten im Web 2.0 sehr überschaubar sind.

Adzine: Ist eine Gebrauchtwagenplattform eigentlich auch Social Commerce, da der Content doch auch selbst von den Nutzern kommt?

Mühlenbeck: "User generated Content" allein macht noch keinen Social Commerce aus. Natürlich bietet eine Gebrauchtwagenplattform ein optimales Umfeld für Social Commerce dahingehend, dass Autokäufer einen Vertrauensvorschuss benötigen. Wenn über soziale Graphen (wer kennt wen über wen) eine Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer abgebildet werden kann, steigert dies die Möglichkeit des Verkaufs. Gleichzeitig kann im umgedrehten Fall des Verkaufs der Verkäufer potenzielle Käufer über bestehende Beziehungen innerhalb der Zielgruppe suchen. Wenn Michael Meier über Torsten Müller bekannt ist und Ihnen ein Auto anbietet, birgt diese Option mehr Interesse als das Angebot eines unbekannten Autohauses auf einer "normalen" Autoplattform.

Adzine: Was kann das Web 2.0 für die Neukundenakquise eines Shops tun, denn die meisten möglichen Features greifen ja erst, wenn potenzielle Kunden schon auf einer entsprechenden Seite sind? Es ersetzt doch nicht SEO-, SEM- oder PPC-Kampagnen?

Mühlenbeck: Die klassischen Online-Marketing-Maßnahmen werden nicht ersetzt, aber durchaus ergänzt. Meiner Meinung nach sind Web 2.0-Maßnahmen zum Teil wesentlich effizienter, so dass der Online-Marketing-Mix überdacht werden muss. Für Online-Shops gibt es diverse Möglichkeiten, Neukundenakquise zu betreiben. Die Offenlegung von Schnittstellen bei Facebook ermöglicht einem Online-Shop-Betreiber mit einer viralen Idee schnell die Akquisition von Massen. Weitere Communities werden in Kürze ebenfalls Schnittstellen anbieten.
Eine neue Akquisitionsidee besteht im Angebot von Widgets. Wir haben beispielsweise für die Buch-Community www.booksmilers.com ein Konzept entwickelt, bei dem Mitglieder ein virtuelles Buchregal mit ihren Büchern ins Netz stellen können und diese mit einem Widget auf eigenen Webseiten einbinden können. Der Grundsatz besteht also immer darin zu überlegen, was der Kunde davon hat und wie er damit selbst zum Verkäufer werden kann. Die Basis-Motive von Community-Mitgliedern haben wir in unserem ersten Buch "Community Marketing Management" detailliert untersucht, das am häufigsten genutzte Motiv ist die Selbstdarstellung.
Um im Internet Zielgruppen zu erreichen, sollte man sich auch mit Social Media PR befassen. Im Rahmen einer Forschungsstudie analysieren wir derzeit ca. 500 Social Networks mit ca. 75.000 Profil-Informationen. Ergebnis der Studie ist unter anderem, zielorientiert darzustellen, welche Zielgruppen über welche Networks erreicht werden können. Mit solchen Informationen werden Online-Shop-Betreiber effizienter in Communities werben können.

Adzine: Dass Sie als Dienstleister für die Realisierung von Community-Lösungen Social Shopping für wichtig halten, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Sie geben aber auch einige Beispiele für vielversprechende Social-Shopping-Plattformen in Ihrem Buch. Welcher dieser Plattformen rechnen sie besonders gute Chancen aus, groß zu werden?

Mühlenbeck: Die Frage ist schwierig, da ich keine genauen Kenntnisse über das Management der jeweiligen Plattformen habe. Eine sehr innovative Idee hat Luupo, spannend finde ich die Einkauf-Community Woot und besonders motivierend für Mitglieder erscheint mir Handeln.de, wobei Letzteres noch enormes Potenzial in der Usability und in der Bindung der Mitglieder im jeweiligen Sub-Shop hat. Die Zukunft wird zeigen, welche Plattform die beste sein wird und ob vielleicht schon morgen eine völlig neue Idee am Internet-Horizont erscheint.

Adzine: Wird es nicht problematisch, wenn für Empfehlungen durch Nutzer Provisionen nach Affiliate-Marketing-Manier ausgeschüttet werden. Leidet dann nicht die so viel beschworene Authentizität?

Mühlenbeck: Sie haben einen wunden Punkt getroffen: Authentizität! Auf Geschenk-Plattformen wie Edelight gibt es besonders tüchtige Nutzer, die so unglaublich viele Produkte weiterempfehlen, dass hier nur sehr schwer angenommen werden kann, dass sich das Mitglied tatsächlich mit den Produkten auseinandergesetzt hat. Wenn aber bei einer Plattform wie "Dealjäger" ein Kunde das günstigste Produkt herausgesucht hat, kann er auch bei einem Kauf mit einer Provision belohnt werden. In Köln kennt man den berühmten Satz: "Man muss auch jönne könne", d.h., man muss anderen Menschen auch etwas gönnen können.

In Kunden-Communities, die man dazu nutzt, andere Mitglieder als Käufer und Weiterempfehler zu gewinnen, muss authentisch kommuniziert werden. Dies bedarf eines ausgeklügelten Konzepts im Einzelfall.

Adzine: Sie lassen nicht unerwähnt, dass nach einer Faustformel etwa 90 % der Nutzer von Communities inaktiv sind, 9 % sich hin und wieder mal beteiligen und in der Regel nur 1% zu den Heavy Usern gehören. Ist das nicht ziemlich fatal für den Social-Commerce-Ansatz?

Mühlenbeck: Diese Faustformel ist zunächst ein Durchschnitt. In der bereits erwähnten Studie, die wir derzeit durchführen, analysieren wir u.a., ob die Aktivität innerhalb eines Social Networks stark mit dem Thema des Networks korreliert. Schätzungsweise wird Social Commerce damit nur in bestimmten Branchen und Themen die erwünschten Revenues bringen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die 90% der Nutzer in ihrem Kommunikationsverhalten wenig bis gar nicht aktiv sind. Das heißt aber noch nicht, dass sie nicht Produkte kaufen. Wenn man aus dem eigenen Kundenkreis 9% als virtuelle Verkäufer oder Weiterempfehler einsetzen kann, reicht das völlig aus.

Adzine: Wie sieht es mit dem Missbrauch und der Glaubwürdigkeit aus? Gerade vor ein paar Wochen kam heraus, dass auf Amazon wahrscheinlich einige Tausend Buchrezensionen gefälscht seien. Solche Meldungen schaden der Glaubwürdigkeit. Wie kann man sich vor solchen Eingriffen schützen als Plattformbetreiber?

Mühlenbeck: "User manipulated content" ist in der Tat ein Problem, dem man als Community-Betreiber nur sehr eingeschränkt begegnen kann. Unsere Erfahrung aus dem Aufbau eigener Communities ist, dass sich nur "erfasste", d.h. authentifizierte Mitglieder normal benehmen. Für mehrere Event-Gastronomen und für einen Urlaubs-Club auf Fuerteventura haben wir ein Foto-Erkennungs-System entwickelt, bei dem Mitglieder in der Location mit einem Data-Matrix Code fotografiert werden und sich danach mit personalisierten Zugangsdaten anmelden können. Seit dem Einsatz dieses Systems gab es keinerlei Negativ-Einträge mehr in Foren oder Gästebüchern. Amazon könnte das Problem der Rezensionen aushebeln, indem nur noch Rezensionen von tatsächlichen Käufern des jeweiligen Buchs zugelassen werden. Aber dann hätte Amazon vermutlich kaum noch Rezensionen. Wir erhalten häufig E-Mails von Lesern über die Business-Community XING, die sich für das Buch bedanken und uns zu einem gelungenen Werk beglückwünschen. Nur selten schreiben sie aber eine Rezension bei Amazon, stattdessen gibt es mal Leser, die nicht zufrieden waren und anschließend eine schlechte Rezension schreiben, da sie ein Ventil suchen. Auch dies ist ein Grund, warum Bewertungsplattformen wie Holiday-Check wesentlich mehr schlechte als gute Bewertungen enthalten.

Adzine: Ich gehöre zu den Menschen, die sich zwar im Netz informieren und auch verschiedene Bewertungsplattformen nutzen, aber dann doch meist im stationären Handel kaufen. Wie bekommt man solche Leute dazu, online zu kaufen? Oder ließen sich die Möglichkeiten des Internets auch gezielt mit dem stationären Handel verknüpfen? Beispielsweise Saturn oder Mediamarkt verfügen über keinen Online-Shop. Eine Online-Plattform zum Konsumentenaustausch wäre aber doch ebenfalls denkbar, oder?

Mühlenbeck: Es wird immer Menschen geben, die sich im Internet informieren und anschließend "offline" kaufen. Ich finde auch den persönlichen Bezug sehr wichtig für das Miteinander. Ein Weg zur Erhöhung der Abschlussquote ist die klare Bevorteilung eines Kaufs durch Preisführerschaft, aber da erzähle ich Ihnen nichts Neues.
Ein großes Versandunternehmen hat die Konversionsrate des Verkaufs über den Online-Shop nahezu verdoppelt, in dem es innerhalb des Informationsprozesses ab einem festgelegten Punkt einen Online-Verkäufer in Form eines echten Mitarbeiters zugeschaltet hat, der den weiteren Verkaufsprozess begleitet hat.
Mediamarkt und Saturn mögen aufgrund ihrer Größe noch zu ängstlich sein, sich so offen der Meinung des Verbrauchers zu stellen, da diese mitunter schnell negativ ausfallen kann. Was die Großen noch nicht verstanden haben ist, dass solche Plattformen sowieso entstehen. Nur wenn sie selbst eine Plattform erstellen, können sie Einfluss nehmen und schneller reagieren.

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Arne Schulze-Geißler, Herausgeber ADZINE