Wenn wir uns über Microsoft aufregen, weil gerade etwas am PC nicht funktioniert oder wir uns durch die Marktmacht und mangelnde Alternativen bedroht fühlen, projizieren wir das auf ein diffuses Machtgebilde mit Microsoft-Schriftzug und weniger auf die führenden Köpfe, die in Deutschland oder Europa insgesamt wenig präsent sind. Wir denken vielleicht noch am ehesten an Bill Gates, dem man aber nicht so richtig böse sein kann. Wenn ich mich dagegen beispielsweise über die Bahn ärgere, dann habe ich schon das Bild von Hartmut Mehdorn vor Augen, dem ich dann absurde Internationalisierungspläne übelnehme, ohne dass die Bahn in Deutschland vernünftig funktioniert.
Ich behaupte einmal, das haben auch Steve Ballmer oder wenigstens seine Berater erkannt, dass Microsoft ein Gesicht braucht, um den Giganten etwas zu vermenschlichen. So hat sich der oberste Microsoft-Boss nach jahrelanger Abwesenheit nach Hannover aufgemacht, um die Cebit als Medienplattform zu nutzen und menschliche Projektionsfläche zu schaffen.
Inhaltlich hatte Ballmer auf der Cebit hingegen nicht viel zu berichten, weder zur Yahoo-Übernahme, noch zu den EU-Strafen wegen Wettbewerbsbehinderungen, angeblich ja eh alles Schnee von gestern. Vielmehr gibt sich Ballmer als Visionär und schwärmt von der Verschmelzung digitaler Endgeräte und der Verfügbarkeit von Inhalten auf riesigen Touchscreens überall und zu jeder Zeit. Ich nehme an, dass Ballmer intelligent genug ist, um zu wissen, dass vieles davon Spielerei ist und sich in der Praxis nur schwer durchsetzen wird. Das Zukunftsgeplänkel kann aber nicht über bestehende Defizite hinwegtäuschen.
Ich finde, die zentrale Frage für Microsoft ist, ob sich das klassische Softwaregeschäft überhaupt auf Dauer mit dem Medien- und Werbegeschäft verknüpfen lässt. Microsoft wäre vermutlich viel besser damit gefahren, das Lizenzgeschäft strikt von Portal und Search auch namentlich deutlich zu trennen. Microsoft ist zwar eine starke Marke, aber eben für Software. Außerdem hat man das Gefühl, dass sich die reinen Webunternehmen wesentlich leichtfüßiger und dynamischer bewegen als Microsoft. Bei jedem Schritt scheint man das Gesamtunternehmen neu zu durchdenken, um danach alles in alles zu integrieren. Dieser Anspruch auf perfekte Verknüpfung aller Produkte ist zwar löblich, macht den Softwareriesen aber zu behäbig gegenüber der auch nicht mehr ganz schlanken Internet-Konkurrenz.
Aber nun genug der Spekulation und Besserwisserei, heute geht es bei uns um die Entwicklungen im Bereich der Marktplätze für Online Media, den sogenannten Media Exchanges. Die Meinungen über deren zukünftige Bedeutung liegen sehr weit auseinander in Deutschland. Karsten Zunke gibt einen Überblick über die aktuellen Ansichten. Im Anschluss liefern wir Ihnen ein Interview mit Christoph Schuh, Vorstand Marketing und Vertrieb Tomorrow Focus AG, zur Beteiligung an dem Media Exchange Adjug. Wie schon gesagt, manche Marktteilnehmer schauen zu und andere wollen aktiv an der Entwicklung teilhaben.
Viel Spaß mit ADZINE!