Stefan Längin ist Managing Director bei der Fullservice Agentur für digitales Marketing Planetactive in Düsseldorf. Planetactives Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung komplexer digitaler Marketingkonzepte, die die gesamte Customer Journey abdecken - vom ersten Werbekontakt über aktivierende Websites bis hin zu Newslettern und CRM-Maßnahmen. Planetactive ist Teil von Neo@Ogilvy, dem Digital und Direct Media Network von Ogilvy. Planetactive beschäftigt über 100 Mitarbeiter in Düsseldorf, Zürich und Wien und betreut Kunden wie SAP, Cisco, American Express, Migros, TUI oder Swisscom. Stefan Längin wechselte 2000 von Grey zu Planetactive und ist heute für das zunehmend internationaler werdende Mediageschäft verantwortlich und zuständig für die Integration in das weltweite Neo@Ogilvy Network.
ADZINE: Herr Längin, wenn Sie die Entwicklung des Online-Marketings im Rückblick betrachten, können Sie sein Dasein in dafür charakteristische Phasen einteilen?
Längin: Bei einer groben Betrachtung sind zwei Phasen auszumachen: die "wilde Zeit" vor dem Platzen der Blase 2001 und die Zeit danach. In der Zeit vor 2001 haben Werbetreibende oft ohne klare Zielsetzung ihre Online-Marketing-Maßnahmen gestartet und viel Geld im Internet ziellos ausgegeben. Sehr häufig war einfach kein klares Konzept vorhanden, von einer Online-Marketingstrategie ganz zu schweigen.
Direkt nach der Krise investierten hauptsächlich E-Commerce-Unternehmen in Online-Marketing, aber schon ab 2003 wandelte sich die Einstellung: Online-Branding wurde salonfähig und die crossmediale Verknüpfung gewann an Bedeutung. Aktuell wird eher von Digital-Marketing als von Online-Marketing gesprochen. Außerdem stellten wir in den letzten 12 Monaten fest, dass die Internationalisierung von Maßnahmen und die Zentralisierung von Leistungen an Bedeutung gewinnen und von den Kunden eingefordert werden.
Während der letzten 6 Jahre gewann die übergreifende Optimierung von Maßnahmen zunehmend an Bedeutung. Dies spiegelt sich auch in den Anforderungen der Unternehmen wider: Im „Marketing Outlook 2007“ des US-amerikanischen CMO Councils erklärten 44 % der befragten Marketingchefs die Messbarkeit und die Quantifizierung des Wertes ihrer Marketing-Investitionen zum absoluten Top-Thema. Ich bin überzeugt, dass allein schon aus diesem Grund die digitalen Medien zukünftig eine größere Rolle spielen werden.
ADZINE: Welche wesentlichen Stärken und Schwächen digitaler Medien müssen Werbetreibende bei der Integration in die Gesamtstrategie (offline und online) berücksichtigen?
Längin: Ich komme ja ursprünglich aus der klassischen Werbung - als ich anfing waren die Kommunikationsmöglichkeiten im Internet für mich eine Offenbarung. Als träte man von einer zweidimensionalen in eine dreidimensionale Welt. Das Internet hebt in vielen Bereichen den Medienbruch zum POS auf, Interaktionen und Response könne live verfolgt und gemessen werden. Dies sind Vorteile, die kein anderes Medium in dieser Konsequenz bietet.
Zusätzlich kann man über Feedbackschleifen aktuelle Reaktionen messen und Meinungen einholen. Dadurch erhält man wichtige Hinweise für die Optimierung oder aber auch Indikatoren für eine weitergehende Marktforschung. Durch die Nutzungssituation des Internets ergibt sich meist auch ein höheres qualitatives Involvement der Zielgruppen im Gegensatz etwa zu TV oder Radio.
Eine Schwäche des Internets ist derzeit sicher noch, dass bisher nicht alle Zielgruppen mit der ausreichenden Reichweite für beispielsweise Branding-Kampagnen erreicht werden.
ADZINE: Dass die Online Kommunikation viel für reine Online-Geschäftsmodelle getan hat und auch tut, kann man nicht leugnen, aber inwiefern profitieren Offline-Unternehmen nachweislich am stärksten von den digitalen Kanälen?
Längin: Gibt es überhaupt noch "Offline"-Unternehmen? Ich denke, dass jedes Unternehmen von den digitalen Kanälen profitieren kann und wird - je nach Geschäftsmodell die einen mehr, die anderen weniger. Das hängt immer davon ab, wer und wie groß die Zielgruppe des Unternehmens ist und wie sich diese im Netz bewegt.
Betrachten wir Kunden, die sich ausschließlich im B2B-Umfeld bewegen. Wenn Sie 90 % ihres Umsatzes mit 30 Key-Kunden tätigen, die sie offline durch Key-Accounter betreuen, ist es sinnlos, eine breit angelegte Online-Kampagne aufzusetzen, um den Umsatz zu steigern. Sehr wohl kann das Internet in diesem Fall aber zur Serviceunterstützung und Prozessoptimierung genutzt werden.
Bei Consumer Products, die nicht über das Internet vertrieben werden, wie es bei FMCGs meist der Fall ist, können es digitale Kampagnen neben der Steigerung von Brandawareness oder der Markenprofilierung auch schaffen, mehr Interessenten an den POS zu lotsen. Dies haben wir seit unserer ON-Studie von 2002 mit kampagnenbegleitender Mafo für viele unserer Kunden bewiesen. Natürlich wird dabei der beste Impact im Verbund mit anderen Medien erzielt.
Ich nenne Ihnen ein Beispiel von unseren Neo@Ogilvy-Kollegen aus den USA: Während des letzten Superbowls haben wir für IBM TV-Spots geschaltet, um das Produkt "Server" zu bewerben. Der Begriff "IBM Servers" wurde kurz nach Spot-Aussendung sehr viel häufiger in den Suchmaschinen recherchiert als im Durchschnitt, einmal sogar um mehr als 200 %. Wir waren vorbereitet und hatten genau zu dieser Zeit das Budget für diese Keywords nach oben gesetzt, um den erhöhten Traffic für IBM zu nutzen. Wenn Sie diesen Zusammenhang nicht erkennen, laufen Sie Gefahr, dass nicht Sie, sondern Ihre Wettbewerber von Ihren teueren TV-Spots profitieren, da die von Ihnen initiierten Sucher dann auf die Adwords Ihrer Konkurrenten klicken.
ADZINE: Wird es für Marketingverantwortliche nicht immer schwieriger, den Überblick zu behalten, welche Instrumente und Kanäle für das eigene Unternehmen sinnvoll sind?
Längin: Durch die Vielzahl der neuen Marketingmöglichkeiten, die uns die digitale Welt bietet, und durch die kurzen Abstände, in denen neue Formen auftreten, wie z.B. Branded Entertainment oder Mobile Marketing, ist dies sicher eine Herausforderung. Diese trifft aber nicht die Marketingverantwortlichen, sondern im Wesentlichen die Agenturen. Diese haben die Aufgabe, die wichtigen Trends zu erkennen und ihre Kunden entsprechend zu beraten. Dabei sollten alle Parteien einen kühlen Kopf bewahren - es ist nicht immer sinnvoll, jedem Trend zu folgen.
So ist es absurd, über Aktivitäten in Second Life nachzudenken, wenn auf der anderen Seite grundlegenden Maßnahmen wie Keyword-Advertsing oder SEO nur zaghaft oder noch gar nicht initiiert worden sind.
Ich erlebe auch immer wieder, dass Kunden Online-Kampagnen einbriefen, die dazugehörige Website aber im Vorfeld nicht auf Usability und Conversion optimiert worden ist. Hierauf muss die Agentur hinweisen, sonst schleust man wertvollen Traffic auf eine nicht funktionierende Website - verschenkt also Geld. An diesem Beispiel wird deutlich, dass man Online-Media und Webservice nicht unabhängig voneinander betrachten kann - der Kundenberater muss die gesamte Klaviatur des Online-Marketings beherrschen, sonst kann er diese Beratungsleistung nicht bringen. Nur Agenturen, deren Strukturen dies abbilden, werden langfristig erfolgreich sein.
Mittelfristig wird die Herausforderung sein, die Kombinationsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Kanälen noch stärker auszuloten und zu begreifen, wie Online-Maßnahmen untereinander wirken und sich beeinflussen.
ADZINE: Warum ist Performance-Marketing bei uns so gefragt?
Längin: Der Begriff Performance-Marketing bedeutet, dass Marketinggelder performance-orientiert gemanagt werden. Meiner Meinung nach sollte dies bei allen Marketingmaßnahmen selbstverständlich sein - offline wie online.
Wenn wir über performance-basierten Einkauf von Werbedruck oder Agenturleistungen sprechen, ist dies bei Werbetreibenden deshalb so attraktiv, weil dabei ein Teil des Risikos von Agenturen und/oder Vermarktern getragen wird. Ich denke aber, dass dies nicht ein rein deutsches Phänomen ist - ich stelle diese Anforderung auch bei allen international tätigen Unternehmen fest, für die wir arbeiten.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Märkten haben wir durch unsere sehr fragmentierte Vermarkterstruktur in Deutschland einfach mehr Möglichkeiten performance-basiert einzukaufen - wie z.B. via Klick-Deals. Dadurch nimmt der performance-basierte Einkauf wahrscheinlich prozentual mehr Budget in Anspruch als in vergleichbaren europäischen Ländern, wie z.B. Frankreich oder UK.
ADZINE: Wie sieht es mit dem Planungs- und Steuerungsaufwand digitaler Media-Budgets aus, im Vergleich zu Offline-Medien?
Längin: Teilen wir den Aufwand der Einfachheit halber in einen Abschnitt vor und nach Kampagnenstart auf, gehe ich in den klassischen Medien von einem Verhältnis von 70:30 aus. Bei Online sieht es genau umgekehrt aus, also 30:70. Verantwortlich dafür ist der relativ hohe Aufwand bei der Kampagnenoptimierung "on the flight". So gibt es beispielsweise bei uns Kampagnen, die täglich optimiert werden müssen. Wenn Sie z.B. 40k Euro Budget pro Tag online geplant haben, ist es bei einer Transaktionskampagne unbedingt notwendig, dass diese 40k Euro am nächsten Tag effizienter ausgegeben werden als am Tag zuvor. Nur so kommt man schnell zu einer Best-of-Strategie - also dem richtigem Mix zwischen Creative und Placement - immer mit dem Ziel, den günstigsten CPO zu erreichen.
Der absolute Betreuungsaufwand dürfte durch die Komplexität bei der Planung und Optimierung von Online-Kampagnen in der Regel größer sein als bei rein klassischen Maßnahmen. Durch die Möglichkeiten der Standardisierung gibt es für jeden Offline-Kanal Planungstools, die den Planungsaufwand reduzieren helfen. Beim Online-Marketing stehen wir hier erst am Anfang.
Das Mehr an Zeitaufwand und Agenturhonorar ist aber trotzdem gerechtfertigt, da man durch ständige Optimierung diesen Nachteil während der Kampagne durch schnellere Zielerreichung wieder aufholt: Man bekommt also für "mehr Honorar auch mehr Erfolg".
ADZINE: Werden durch konvergente Kampagnen, also die intelligente Verknüpfung von Online- und Offline-Medien, Radio, TV und Print, nicht auch zunehmend messbarer, weil
das Internet für immer mehr Kampagnen als messbarer Rückkanal dient?
Längin: Das genau muss das Ziel sein. Dabei ist dies kein Zukunftsszenario. Je nachdem, wie stark wir Einfluss auch auf den klassischen Mediateil nehmen können, sprechen wir eine Empfehlung in dieser Richtung aus. Wir haben beispielsweise im Gaming-Umfeld die relevanten Printtitel für einen Kunden ermitteln wollen und schalteten Anzeigen mit einem Internetgewinnspiel in einer Vielzahl von Titeln. Am Ende erhielten wir 80 % der Response auf das Gewinnspiel von zwei Magazinen und optimierten die weiteren Printaktivitäten auf Basis dieser Erkenntnis. Dies ist nur eine Möglichkeit von vielen - der Erfolg von klassischen Medien kann z.B. auch via Handy, Callcenter oder eindeutige URLs gemessen werden.
Nutzt man das Zusammenspiel der Medien, lassen sich Marketingbudgets optimieren, ohne eine Einbuße an Wirksamkeit in Kauf nehmen zu müssen. Auch die Werbungtreibenden haben dies erkannt. In den letzten Jahren machen sich große und namhafte Unternehmen zunehmend Gedanken darüber, welche Kanäle in welchem Maße zur Zielerreichung beitragen und bauen entsprechend Druck gegenüber den Agenturen auf. Bei großen Playern entstehen zu diesem Zweck ganze Marketing-Controlling-Abteilungen, die anfangen, Spendings von mehreren 100 Millionen zu hinterfragen. Vertriebs- und Branding-Ausgaben werden dabei tendenziell zusammenwachsen, weil die Trennung keinen Sinn macht und meist zu überflüssigen Ausgaben führt.
Leider sind es meist die klassischen Media-Leadagenturen, die sich aus bekannten Gründen gegen diese "neue" Transparenz wehren.
ADZINE: Wie wird man als Werbetreibender heute mit den vielen Informationen aus
den Reportings fertig?
Längin: Hier sehe ich die Agenturen in der Pflicht: Wir müssen das Reporting so übersichtlich aufbereiten, dass Unternehmen daraufhin Entscheidungen treffen können. Bei Media-Kampagnen haben wir oft mehrere hundert Platzierungen - da müssen für das Reporting Ergebnisse komprimiert und eindeutige Vorschläge für Optimierungen gemacht werden. Auch Reportings über Website-Performance oder Erfolg von E-Mail-Aussendungen müssen diesen Anspruch erfüllen.
Ich bin überzeugt, dass zukünftige Entscheidungen für oder gegen eine Agentur maßgeblich auch davon beeinflusst werden, in welcher Qualität und Umfang Daten generiert, analysiert und reportet werden können.
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