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Alles so schön bunt hier

Karsten Zunke, 5. Oktober 2007

Vor der Messe ist nach der Messe, das Jahr hat 365 Tage und die OMD meldet Besucherrekord. Es gibt Dinge im Online-Marketing, die sind einfach so - alle Jahre wieder. Fast genauso ist es mit den Trends. Meist sind es die gleichen. Jedes Jahr werden sie aufs Neue ausgerufen, jedes Jahr dem gleichen Thema rosige Prognosen in Aussicht gestellt. Komme, was da wolle. Doch jetzt wird alles anders.

Eigentlich galt dieser Trend schon als Rohrkrepierer: Werbung auf dem Handy. Selbst Mobile Marketing kommt nur schleppend in Fahrt, an Mobile Advertising war hierzulande bisher kaum zu denken. Im Vorfeld der OMD wurde Mobile zum wiederholten Mal als Trend ausgerufen. Doch dieses Jahr lassen Unternehmen Taten folgen und quetschen zunehmend bunte Banner auf winzige Handy-Displays. So verkündete AOL, dass Werbekunden nun auf dem mobilen Portal Flächen buchen können, und lockt mit Einstiegsrabatten. Sevenone Interactive beauftragte mit der Berliner Yoc AG gar einen Dienstleister, der sich jetzt um die Vermarktung der mobilen Inhalte der ProSiebenSat.1-Gruppe kümmern soll. Ab dem 1. Oktober werden die Berliner versuchen, Werbeflächen von sechs Handy-Portalen an den Werber zu bringen. Die bisherige Vermarktung läuft laut Sevenone Interactive bereits erfolgreich: In den vergangenen zwei Monaten waren die buchbaren Flächen demnach nahezu ausverkauft. Man bereite sich zudem strategisch auf die wachsende Relevanz des Themas Mobile Advertising vor, heißt es aus München.

Mobile Advertising pubertiert

Auch Google lässt sich nicht lumpen: So gab Adoptivtochter Doubleclick zur OMD den Launch einer mobilen Adserving-Lösung bekannt. Das Ganze wird in die Ad Management-Plattform DART for Publishers eingebunden, was das Handling einer mobilen Kampagne genauso einfach wie bei einer herkömmlichen Kampagne machen soll. Trafficker arbeiten so, als würden sie eine klassische Display-Kampagne planen, verspricht der Dienstleister. Das Ad Management-System identifiziert automatisch den Mobiltelefontyp und die Display-Größe des Benutzers und liefert passende Anzeigen in einer von fünf Standardgrößen, die die Mobile Marketing Association (MMA) international empfiehlt. Doubleclick-Präsident Ben Regensburger verkündete sogleich erfreut, dass die Experimentierphase bei mobiler Werbung nun vorbei sei.

Dieser Ansicht ist man auch bei United Internet Media (UIM). Auf der OMD gab das Unternehmen den Start seiner mobilen Displayvermarktung bekannt und präsentierte bereits sieben echte Kunden. Unternehmen, die nicht als Zugabe oder Verlängerung zu einer Online-Kampagne Banner auf Handys schalten, sondern first mover, die mobile Werbung losgelöst betreiben. Laut UIM-Vorstand Matthias Ehrlich habe man bewusst mit einem Einstieg ins Mobile Advertising abgewartet. Aber jetzt sei der richtige Zeitpunkt, jetzt habe der Markt die nötige Substanz.

AGOF will mobile Reichweiten erheben

Auch die Rahmenbedingungen scheinen nun zu stimmen: Die Mobile Marketing Association (MMA) hat dieser Tage Mobile Advertising-Richtlinien veröffentlicht, die speziell an den Bedarf der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika angepasst sind. Die MMA repräsentiert rund 450 Firmen aus dem Mobile Marketing Business. Die Richtlinien sollen einerseits Werbetreibenden bei der Entwicklung von Mobile Advertising-Kampagnen helfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Kampagnen auf der Mehrzahl der Handys homogen ausgeliefert und somit einheitlich wahrgenommen werden.
Last but not least greift auch die Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (AGOF) das Thema auf. Die AGOF und eine Fachgruppe Mobile des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft wollen eine Methode entwickeln, um Reichweiten im mobilen Internet zu ermitteln. Dafür ist - wie im Online-Bereich - ein Multi-Methodenmodell vorgesehen, bei dem methodische Synergien mit den internet facts genutzt werden sollen. Außerdem wollen die Fachleute prüfen, ob die Gateway-Daten der Mobilfunkbetreiber in diesem Modell verwendet werden können. Doch gut Ding will Weile haben. In einem ersten Schritt sollen bis Ende dieses Jahres die Kommissionen, Arbeitsgruppen und Verantwortlichkeiten in der AGOF sowie das Methodenmodell festgelegt werden. Die Publikation erster mobiler Reichweitendaten ist dann für die zweite Jahreshälfte 2008 geplant. Dass ein Display auf den meisten Handymodellen so klein ist, dass man Werbebanner mit der Lupe suchen muss, entkräfteten Befürworter des Mobile Advertising auf der OMD mit dem Argument, dass der Werbungtreibende dafür die ungeteilte Aufmerksamkeit des Betrachters hat. Denn nahezu formatfüllend "prangt" ein Banner zwangsläufig im Mini-Sichtfeld.

Targeting-Standard gesucht

Mit einer gewissen Hartnäckigkeit hält sich auch der Trend "Targeting", der mittlerweile zum Trend "Behavioral Targeting" mutiert ist. Mit Nugg.Ad aus Berlin und Wunderloop aus Hamburg gibt es hierzulande dafür zwei große Technologieanbieter. Die Vielfalt der Behavioral Targeting-Lösungen im Markt ist jedoch schier unüberschaubar, das hat die OMD wieder verdeutlicht. Jeder möchte es anbieten, packt zusätzliche Features oben drauf und nennt es anders. Dadurch werden die Lösungen unvergleichbar. Und wenn Agenturen Kampagnen vermarkterübergreifend mit Behavioral Targeting ausliefern wollen, müssen sie sich mit Stückwerk zufrieden geben.
Ob man einen Standard brauche oder nicht, darüber streitet die Branche noch. So äußerte sich Newtention-Chef und Arbeitskreis-Leiter Targeting im BVDW Marco Klimkeit im Vorfeld der Düsseldorfer Online-Marketing-Messe, dass die Einführung von Targeting-Standards derzeit keine sinnvolle Option darstelle. In diesem jungen und dynamischen Markt schon heute auf Standardisierung zu setzen, würde die Innovationskraft aller Marktteilnehmer lähmen und damit wachstumshemmend wirken. Bei United Internet Media sieht man dies ein wenig anders. Auf der OMD kündigte der Vermarkter an, seine Targetinglösung Target Group Planning (TGP) für alle Marktteilnehmer zu öffnen. Ziel sei es, TGP als Standard im Markt zu etablieren. Nicht die Restplatzvermarktung hinter den Kulissen, sondern das klassische Online-Marketing auf der großen Bühne soll die Zukunft für Targeting-Lösungen sein. Man darf über die weitere Entwicklung gespannt sein.

Online wird emotionaler

Einig sind sich wohl alle Player, dass der Videowerbung weitere Bedeutung zukommen wird. Dieses Thema war in Düsseldorf omnipräsent. Die bunten Werbespots wurden schon als Online-Trend ausgerufen, als man noch Ruckeln und Krisseln unter "Bewegtbild" verstand. Die Bandbreiten sind längst vorhanden, die Werbemittel auch. Langsam werden auch die Flächen größer und der Übergang zur klassischen Werbung immer fließender. Immerhin schauen laut einer Comscore-Untersuchung vom Sommer dieses Jahres rund 70 Prozent der deutschen Onliner Filmchen im Internet an. Erste Werbespots im Internet werden bereits bildschirmfüllend ausgeliefert. Selbst auf B2B-Websites flimmern immer häufiger Werbevideos.

Und immer an den User denken

Allerdings scheint es, als wird bei all den Trends das Wichtigste aus den Augen verloren: der User. Auch wenn Marketer sich über größere Werbewirkung und Vermarkter auf mehr Einnahmen freuen - die Rechnung sollte nicht ohne ihn gemacht werden. Videowerbung wirkt beispielsweise schnell aufdringlich, schlechte Spots bleiben negativ im Konsumentengedächtnis haften. Und ob Nutzer des mobilen Internets sich darauf freuen, in den ohnehin kleinen Seitenausschnitten noch weniger Informationen zu finden sind, weil die Inhalte von den Werbebannern nach unten geschoben werden, darf bezweifelt werden.

Auch ein Targeting, das den Nutzer und seine Gewohnheiten in den Mittelpunkt stellt, kann nach hinten losgehen. Solange der Virenscanner mit dunkel-orangem Schriftzug meldet "Eingreifen erforderlich" und der ahnungslose Otto-Normalverbraucher daraufhin Angst einflößende "Tracking-Cookies" auf seinem Rechner findet, die "dazu benutzt werden können, ihre Surfgewohnheiten auszuspähen", wird er sie wie einen Virus löschen. Bleibt zu hoffen, dass Betriebsblindheit nicht zum nächsten OMD-Trend avanciert.

Über den Autor/die Autorin:

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