Kaum ein Tag, an dem nicht eine Übernahme in der Online-Branche für Schlagzeilen sorgt. Doch es wird nicht blind um Marktanteile gestritten. Es ist die Technik, die begeistert - und die offensichtlich nötig ist, um im weiteren Wettbewerb zu bestehen. Besonders begehrte Übernahmekandidaten sind Adserving-Anbieter, die ein Werbenetzwerk oder eine Werbebörse im Schlepptau haben - oder ein bereits vorhandenes Performance-Network stärken können. Aus einer Hand sollen enorme Reichweiten, die Auslieferung der Werbemittel sowie ein weitgehend automatisches Matching angeboten und dadurch neue Einnahmequellen erschlossen werden. Damit kommt neues Leben in die bisher von Marken dominierte Display-Werbung.
Der Kaufpreis war mehr als zehn Mal höher als der Umsatz der übernommenen Firma: Mit der DoubleClick-Übernahme für gut 3,1 Milliarden US-Dollar wollte es Internet-Primus Google seinen Widersachern Microsoft und Yahoo schwerer machen, sich ein größeres Stück vom Online-Werbekuchen abzuschneiden. Bis vor kurzem wurde noch gemunkelt, dass Google plane, eine eigene Adserver-Lösung in Konkurrenz zu DoubleClick auf den Markt zu bringen. Aber auf gar keinen Fall wollten die Kalifornier dem Bill-Gates-Imperium das global aufgestellte Unternehmen überlassen und schlugen selber zu. DoubleClicks Erfahrungen mit Ad-Management-Technologien treffen nun auf Googles Werbenetzwerk und die Monetarisierungs-Chancen für Website-Betreiber - so es die Kartellbehörden wollen. Laut Tim Armstrong, Googles Präsident für Werbung und Commerce, Nordamerika, werde die Transaktion durch die Ausweitung des Zugangs auf Publisher-Inventar das Google-Werbenetzwerk stärken und es dem Unternehmen ermöglichen, neue Advertiser und Werbeagenturen als Kunden zu gewinnen.
Pop-ups statt Windows
Doch statt drei Milliarden Dollar für den New Yorker Technologieanbieter zu zahlen, bediente sich Microsoft lieber für rund sechs Milliarden Dollar beim DoubleClick-Mitbewerber Aquantive. Längst haben die Windows-Erfinder erkannt, dass sich mit Online-Werbung gutes Geld verdienen lässt - vorausgesetzt, man verfügt über gute Produkte und die entsprechende Technik. Wo es hapert, wird kräftig nachgekauft. Laut Steve Ballmer, CEO von Microsoft hat sich der Softwareriese vorgenommen, ein profitables Werbegeschäft aufzubauen und eng mit allen wichtigen Kunden dieser Branche zu kooperieren, um die Möglichkeiten digitaler Werbung für alle auszureizen. So betrachtet scheinen die sechs Milliarden US-Dollar, die der Softwarehersteller für die Übernahme über den Tisch schiebt, gut angelegt. Microsoft schlägt mit der größten Akquisition seiner Firmengeschichte gleich drei Fliegen mit einer Klappe, denn die 1997 gegründete Aquantive Inc. umfasst drei Marken: Den Adserving-Anbieter Atlas, der seit kurzem auch hierzulande mit einer Niederlassung in Hamburg vertreten ist, die Online-Werbeagentur-Gruppe Avenue A | Razorfish (unter anderem Neue Digitale) sowie Drivepm, ein Unternehmen, das in großem Stil Inventar von Publishern einkauft, mit Targeting veredelt und entsprechend teurer wieder an Advertiser verkauft. Somit kann Microsoft Werbekunden ein schönes Komplettpaket in Sachen Online-Werbung bieten.
Zusätzliche Reichweiten
Laut Kevin Johnson, Präsident Plattformen und Services bei Microsoft, sei die Übernahme ein wichtiger Schritt, um die führende Werbeplattform im Internet zu werden. Doch nicht nur eigene Dienste wie MSN, Windows Live oder Xbox Live sollen von dem Deal profitieren: Auch andere Werbeträger und Anbieter dürften sich bald über verbesserte Werbemöglichkeiten freuen, wie der Kunde Facebook, ein US-Studentenportal mit mehreren Millionen registrierten Mitgliedern oder die Videotitel des Computerspiele-Produzenten Activision. Letztlich können die Redmonder mit der Aquantive-Technik im Rücken ihren Werbekunden zusätzliche Reichweiten außerhalb eigener Seiten anbieten.
Bei den Übernahmen der letzten Wochen ist auffällig, dass es immer wieder Technologieanbieter sind, die das Interesse der großen Player der Online-Werbung auf sich ziehen. AOL hatte sich zuvor bereits den Adserver-Anbieter Adtech geschnappt. Durch diese Akquisition erhält AOL Zugriff auf eine Ad Management-Plattform mit zahlreichen Anwendungen, die Website-Betreiber für das Managen, Ausliefern und Reporten von Online-Werbekampagnen nutzen können. Adtech agiert jetzt als unabhängige und mehrheitskontrollierte Tochterfirma des ebenfalls zu AOL gehörenden Werbenetzwerkes Advertising.com. "Damit können wir den Website-Betreibern eine zentrale Lösung für Ad Management und Vermarktung aus einer Hand bieten", kommentierte Lynda Clarizio, Vorsitzende von Advertising.com.
Inventar versteigern
Yahoo, das zunächst von einer Übernahme durch Microsoft verschont bleibt, hat Right Media vollständig erworben, an denen man zuvor bereits mit 20 Prozent beteiligt war. Right Media betreibt einen offenen Online-Marktplatz für Internet-Werbung: Website-Betreiber können auf der Werbebörse ihr Inventar an den meistbietenden Werbetreibenden verkaufen. Die Advertiser wiederum können für ihr Budget optimale Impressions generieren.
Microsoft hat mit MSN Direct Response ebenfalls bereits einen Perfomance orientierten Dienst etabliert, bei dem Advertiser verfügbare Ad Impressions im Microsoft Digital Advertising Solutions-Netzwerk im Bieterverfahren ersteigern können. Abgerechnet wird auf TKP- oder CPC-Basis. Diese Bieterverfahren etablieren sich zusehends. Hier lernen entsprechende Display-Vermarkter durchaus auch von Google, denn nicht nur mit Marken-Traffic lässt sich trefflich Geld verdienen: Auch möglichst automatisierte Lösungen, die auf die schmalen Budgets vieler kleinerer Werbungtreibenden zugeschnitten sind, versprechen lukrative Margen. Mit einem Targeting hinterlegt, ist es für solche Marketer weniger interessant, auf welchen Websites die Klicks eingesammelt wurden - die Zielgruppe zu erreichen steht im Vordergrund. Auch DoubleClick hat den Start einer Werbebörse bekannt gegeben - bis Ende des Jahres soll der Marktplatz weltweit verfügbar sein.
Die britische WPP Group möchte ebenfalls dabei sein, wenn im Online-Marketing die Karten neu gemischt werden und hat kürzlich den Werbedienstleister 24/7 Real Media für knapp 650 Millionen US-Dollar übernommen. Zu WPP gehören unter anderem die Werbefirmen Grey Global Group, Ogilvy & Mather Worldwide oder Young & Rubicam - und jetzt auch die digitalen Marketingtechnologien von 24/7 Real Media. Dazu zählen nicht nur Suchmaschinenmarketing- und Adserving-Technologien, sondern ebenfalls ein Werbenetzwerk.
Großer Markt für große Volumen
Egal ob es sich um freie Plätze von Markenwebsites oder Flächen von kleineren Sitebetreibern handelt, kleinteiliges Inventar lässt sich besser vermarkten, wenn es zu großen Paketen geschnürt werden kann. In Spitzenzielgruppen sind solche Reichweitenbündelungen für die kritische Masse einer Kampagne sogar notwendig. Große Volumina lassen sich auch verkaufen, ohne dass der Kunde auf bestimmte Platzierungen besteht oder Marken-Traffic einfordert. Behavioral Targeting und intelligentes Matching sorgen dafür, dass Werbekunden in einem Netzwerk ihre Zielgruppen erreichen. Dazu sind automatisierte Lösungen gefragt, die Aufwand und Kosten gering halten. Die entsprechende Technik hat man gern im eigenen Haus, denn für diese Vermarktungen besteht noch großes Wachstumspotenzial.
Die Bedeutung der Kombination von Reichweite und Adserving-Technologie geht aber über das klassische Internet hinaus. Handy, IPTV oder In-Game-Advertising heißen die neuen Spielwiesen der Marketer. Die Online-Werbefirmen rüsten mit Einkäufen entsprechend auf. Microsoft hat beispielsweise nach eigenen Aussagen dank dem Aquantive-Deal nun die Möglichkeit, "Werbelösungen der nächsten Generation" wie Cross-Media-Planung, Video on Demand und IP-TV aufzusetzen und anzubieten. Auch, dass In-Game-Advertising ein nahender Zukunftsmarkt sein wird, ist spätestens seit den Übernahmen von Massive Inc. durch Microsoft und Adscape Media durch Google klar geworden.
Doch wie sagte einst der Waliser Mathematiker, Logiker und Philosoph Bertrand Russel etwas holprig, aber treffend: "Jeder Zuwachs an Technik bedingt, wenn damit ein Zuwachs und nicht eine Schmälerung des menschlichen Glücks verbunden sein soll, einen entsprechenden Zuwachs an Weisheit." Ob Google & Co. nach ihren Zukäufen weiser und die Marketer glücklicher werden, dürfte sich schon bald herausstellen.
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