Web Controlling ist wie Ad Serving derzeit in aller Munde. So hat allesklar.com gerade bekannt gegeben, dass sie nun mithilfe des Webanalyse-Tool SiteCatalyst von Omniture die Besucherströme ihrer 12.500 Stadtportale messen und lenken wollen. Softwareanbieter Websidestory hat sich vor kurzem unter den Namen Visual Sciences neu am Markt aufgestellt und Google brachte Ende April eine neue Version seines kostenlosen Webanalyse-Tool Google Analytics auf den Markt. Doch was hilft die beste Software zur Webseitenanalyse, wenn der User dauernd seine Cookies löscht. Stimmen die Besucherzahlen überhaupt? ADZINE wollte mehr über das Thema Web Controlling erfahren und informierte sich aus diesem Grund auf der Emetrics in Düsseldorf.
Während das Ordnungsamt auf der Düsseldorfer Flaniermeile im Minutentakt imposante Karossen abschleppte, trafen sich gleich gegenüber gut 100 Konferenzteilnehmer im besten Hotel am Platz, Ambiente, zur Emetrics 2007. Auch bei ihnen ging es um Ordnung und Kontrolle. Die Web Controlling Fachkonferenz Emetrics ist eine der wenigen Gelegenheiten, um sich hierzulande über die neuesten Trends zu Website-Analyse und Site-Optimierung zu informieren. Das wissen auch die Softwareanbieter der Analysetools und die im Schlepptau befindlichen Consulting-Unternehmen. Dementsprechend buhlten diese auf der Konferenz um neue Kundschaft, mussten sich aber dafür am Ende der Veranstaltung eine ziemlich gemeine Frage vom Diskussionsleiter Jim Sterne gefallen lassen.
Guru der Web Analytics: "The Internet sucks"
Jim Sterne, Präsident des Mitveranstalters Targeting Marketing Santa Barbara, mehrfacher Buchautor und Präsident der WAA (Web Analytics Association), ist nicht nur eine schillernde Persönlichkeit des Onlinemarketings und ein brillanter Redner, er hat auch seine ganz eigene Meinung über das Internet. "The Internet sucks", erklärt er auf der Emetrics. ADZINE traute seinen Ohren nicht und fragte nach: "Sie haben richtig gehört. Dem Verbraucher wird es im Internet noch immer nicht leicht genug gemacht, die Dinge zu finden, die er wirklich braucht. Es ist noch immer alles viel zu technologisch aufgebaut, weil die Macher der Webseiten glauben, der Verbraucher nutzt das Netz so wie sie es tun. Das ist ein Fehler." Genau um dieses Thema ging es zum Beispiel bei dem Vortrag von Andreas Kopf, Leitung E-Commerce Bertelsmann Club. Kopf zeigte, wie die Bertelsmänner beim Relaunch von Club.de den User in den Relaunchprozess einbezogen haben, um ein möglichst optimales Ergebnis für User und Seitenanbieter zu erzielen.
Web Controlling bzw. Web Analytics wie es die US-Amerikaner nennen, beinhaltet aber weit mehr: Es soll die Schwachstellen eines Internetauftritts aufdecken und den Umsatz steigern. Das Wissen um die Identifizierung der richtigen KPIs (Key Performance Indicators) ist dabei wohl die wahre Kunst der Webpiloten. Ob eigene Firmenhomepage mit angeschlossenem CRM-System, Portale, Verlage oder Shopsysteme; jedes Unternehmen besitzt ganz eigene Anforderungen, um den Online Traffic auf der eigenen Website auszuwerten, die Webseite zu optimieren und an den Stellschrauben so zu drehen, dass die Geschäftsziele erreicht werden können. Messen, Auswerten und Optimieren, so könnte man Web Controlling kurz und knapp beschreiben. Fachleute legen aber Wert darauf, dass die Bereitstellung der Informationsstruktur die eine, die Auswertung der Besucherströme und die Site-Optimierung eine ganz andere Sache ist. Ein gutes Webanalyse-Tool ist also nur die halbe Miete. Die Veranstalter der Emetrics, Target Marketing und Rising Media, versuchten jedenfalls mit der Auswahl der Vorträge ihr Möglichstes, um den Teilnehmern einen guten Gesamtüberblick über den derzeitigen Status quo der Web Analytics zu verschaffen. "Alle Vorträge hatten eine ausgezeichnete Qualität", bestätigt Sterne, der als einer der Begründer der Web Analytics gilt.
Noch mehr Austausch unter den Teilnehmern erwünscht
Web Controlling kann man nicht in 4 Wochen lernen. Dazu braucht man viel Erfahrung, wie uns Marco Ebert, Webcontroller bei Immobilenscout24, bestätigt. "Das war meine erste Emetrics und ich habe insgesamt einen guten Eindruck von der Veranstaltung. Mich interessiert aber auch, wie andere Unternehmen die verschiedenen Webanalyse-Tools nutzen. Daher hätte ich mir gewünscht, dass hier weniger Tool-Anbieter und mehr Nutzer dieser Software teilgenommen hätten. Für mich stand hier der Erfahrungsaustausch und die Erörterung konkreter Problemstellungen im Vordergrund." Einen ganz ähnlichen Eindruck hatte Martina Jacob, Projektleiterin bei Stiftung Warentest: "Die Konferenz war gut gemacht. Besonders die Gruppendiskussionen haben mir gut gefallen. Ich fühle mich darin bestätigt, dass Webanalyse weit mehr ist, als sich auf die Auswahl des richtigen Tools zu beschränken. Für uns wäre es aber interessanter gewesen, wenn noch mehr Verlage hier gewesen wären, mit denen wir uns hätten austauschen können."
Gruppendiskussionen
Wie man sich eine solche Gruppendiskussion vorzustellen hat, zeigt das nun folgende Beispiel. Man setze Vertreter eines großen Online-Portals, einer Versicherung, den eines Verlages und eines sehr großen Energieunternehmens mit einem Analyse-Tool-Anbieter zusammen und lässt sie über Web Controlling diskutieren. Wie kann man erkennen, welche Webseiten für einen User problematisch sind? Was sind die Indikatoren dafür, um aktiv zu werden? Wie viele KPIs sind pro Geschäftsfeld eigentlich sinnvoll? Was macht man mit unerklärlichen Ergebnissen und wie bestimmt man eigentlich seine Erfolgsfaktoren? Wen solche Fragen plagen, der scheint also bei der Emetrics gut aufgehoben.
Cookie Deletion doch ein Thema
Natürlich waren auch die neuesten Entwicklungen bei den Softwareanbietern ein Thema. Branchenkenner Frank Reese, Geschäftsführer vom Consulting Unternehmen Ideal Observer, resümiert: "Omniture hat seit dem Kauf von Touch Clarity und dem neuen Produkt Genesis deutlich Gas gegeben. Das Gleiche gilt für Visual Sciences. Browser Overlays, die Gestaltung der Dashboards, Schnittstellen und Datenintegration waren für mich die Themen auf der diesjährigen Emetrics. Insgesamt hatte ich aber ein bisschen mehr erwartet." Einen ausgezeichneten Überblick über die unterschiedlichen Web-Analyse-Tools gibt es übrigens auf idealobserver.de. Stephan Weiland, Director Central Europe Visual Sciences: "Die Emetrics ist die Gelegenheit, um sich auf Userseite auszutauschen. Leider sind noch zu wenig Teilnehmer hier auf der Konferenz." "Dabei ist der Aufklärungsbedarf über Website-Analyse und das Wissen um ihre korrekte Anwendung gerade in Deutschland riesig", ergänzt Bianca Wiebenga, EMEA Marketing Manager, Visual Sciences. Aufklärungsbedarf gab es auch zum Thema Cookies. Seit ADZINE im Jahre 2005 seine Arbeit aufgenommen hat, wiederholen Vermarkter und Ad-Server-Anbieter uns gegenüber fast gebetsmühlenartig, dass Cookie Deletion auf Userseite überhaupt kein Thema sei. Umso mehr überraschte, nein schockierte, Reese mit seinem Vortrag "Die Cookie-Debatte": "Die Blockierung von Cookies kann man messen, nicht aber die Cookie Deletions. ComScore hat daher Paneldaten von freiwilligen Nutzern ausgewertet und festgestellt, dass weit mehr der untersuchten Anwender ihre Cookies löschen als bisher angenommen. Die monatlichen Besucherzahlen werden daher laut ComScore bis um das Zweieinhalbfache überschätzt."
So eine gemeine Frage
Am Ende der Veranstaltung kamen die Anbieter für Webanalyse-Tools auf den sogenannten Grill, wie es Ossi Urchs, der deutsche Moderator der Emetrics, nannte. Dabei müssen sich die Softwareanbieter vor allen Teilnehmern Fragen zu ihrem Angebot gefallen lassen. Nachdem schon Matthias Blüm, Director Marketing Portal & Product, Lycos, danach fragte, warum man überhaupt eine kostenintensive Anwendung in Anspruch nehmen müsse, wenn der Mitbewerber Google Analytics seine Software völlig kostenfrei zur Verfügung stelle, setzte Jim Sterne noch einen drauf. "Welches Softwaretool würden Sie selbst nutzen, wenn das eigene nicht zur Verfügung steht?" Bis auf einen Vertreter wollte es natürlich niemand der Softwareanbieter zugeben. Aber allein am zufriedenen Lächeln von Timo Aden, Google Analytics, erkannte man, was alle dachten. Frank Tomaschewski, Account Manager, SAS, relativierte aber das Ganze, indem er darauf aufmerksam machte, dass etwa Inhouse-Lösungen immer die bessere Wahl darstellten, weil nur so eine 100-prozentige Datensicherheit gewährleistet sei. "Daten sind ein Vermögensgegenstand", fügte er hinzu. Auch wieder wahr.