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Virale(s) Freud und Leid bei VW

Helge Denker, 4. Mai 2007

Mundpropaganda oder virales Marketing wird zum wichtigen Botschaften-Weiterträger der Web-Werbung. Wie ein Virus breiten sich witzige Spots und Videos im Netz aus. Markenartikler wie VW versuchen seit längerem, diesen Trend zu nutzen. Nicht immer mit Erfolg. Und viele der ansteckenden Werbespots stammen gar nicht von den Agenturen, sondern von Amateuren.

Werbespots im Netz sind vor Nachahmungen nicht sicher, die nicht selten besser, ansteckender und witziger sind als die Originale. Zuviel kreatives Potenzial lauert im Web und setzt seine Ideen konsequenter um. Die Agenturen versuchen im Gegenzug, ihre Spots immer viraler und YouTube-kompatibel zu machen. Der Zuschauer ist sich so oft nicht sicher, ob die Botschaft von einer edlen Agentur oder von einem begabten Bastler am PC stammt. So zeigte Microsoft am Montag in Hamburg die neuesten Werbespots für Windows Mobile 6.0 auf einer Pressekonferenz. Darin werden junge, sympathische Businesskunden mit dem Smartphone in der Hand an Laternenmasten gefesselt oder in einen Fahrstuhl voller Schlangen gesperrt. Monty Python lässt grüßen. Ein Humor, der zu den jüngeren Nutzern von YouTube und Co. passt.

Aber auch US-Spots der Volkswagen AG in den USA genießen seit längerem Kultstatus auf den Videoportalen. Die kreative und unkonventionelle Werbung VW America mit einem schrägen, deutschen Ingenieur ("Unpimp my Auto") der lustvoll und lustig billig aufgemotzte Konkurrenz-Autos zerstört und für den Golf GTI Mark V ("Pretuned by german engineers") wirbt, erreichen auf YouTube fünfstellige Zugriffszahlen. Und sie werden, anders als im TV, freiwillig gesucht und geklickt und an Freunde versendet, was ihre Beachtung und Glaubwürdigkeit um ein Vielfaches steigert. "Infektion nach Plan: Ob Deutsche Telekom, VW, Motorola oder Procter & Gamble: Vor allem bei Großkonzernen suchen die Strategen immer öfter nach Wegen, ihre Kunden dazu zu bekommen, Werbebotschaften freiwillig selbst zu verbreiten - und damit aufzuwerten", schrieb Thomas Schulz diese Woche im SPIEGEL.

Volkswagen hat mit Webvideos von Hape Kerkeling als Horst Schlämmer erfolgreich auf virale Werbung gesetzt. In Wolfsburg ist man auf den Erfolg des von VW finanzierten Schlämmerblogs (www.schlaemmerblog.tv und www.horsthatgolf.tv) sehr stolz. So posiert auch auf der Startseite von VW (www.volkswagen.de) der "knallhart nachfragende" Lokalreporter Horst Schlämmer mit frisch gemachtem Führerschein und einem silbernen Golf V Tour Edition. Und mit direktem Link zum Schlämmerblog, wo sich das Drama um die Fahrlizenz in vielen Videoclips verfolgen lässt, die immer wieder VW-Modelle in bester Schleichwerbemanier ins Bild rücken. Ein Sondermodell "Horst", so heißt es VW, sei derzeit aber nicht in Planung. Und man möchte sich gegenüber ADZINE nicht weiter zum Werbeerfolg im Web äußern.

Das tut zum Glück die Agentur, die hinter dem Werbe-Blog mit dem schmierig-anzüglichen Chefreporter ("Schätzelein") steht. "Die Videos wurden über fünf Millionen Mal aufgerufen", so Hartmut Kozok, Managing Director bei Tribal DDB, gegenüber ADZINE. "In den Blog-Charts waren wir mit dem Schlämmerblog die Nummer zwei, bei den Video-Charts bei iTunes sind wir sogar die Nummer eins", freut sich Kozok. Auch die Umstellung auf die eindeutige Werbeseite www.schlaemmerhatgolf.tv lief gut, die meisten User hätten den Umzug aus dem Videoblog akzeptiert.

Auch auf die schleichende Bekanntgabe des Sponsors haben die Nutzer "zum größten Teil positiv" reagiert. Das Outing war von Anfang an eingeplant und wurde aufgrund der vielen Zugriffe und Einträge eine Woche vor dem geplanten Zeitpunkt offengelegt. Doch es gab auch kritische Blogeinträge, auf die aber innerhalb des Blogs zum Beispiel mit "Okay, aber Spaß macht es trotzdem" reagiert wurde. Als die User merkten, dass die Qualität weiterhin gegeben war und Volkswagen sich dezent im Hintergrund hielt, konnten auch kritische Blogger besänftigt werden. "Der Video-Podcast ist ein weiterer wichtiger Bestandteil innerhalb der Gesamtkampagne. Die Platzierung auf dem ersten Platz der iTunes-Charts zeigt, das es sich lohnt, eine gute Story in die Welt zu tragen", so Kozok von Tribal DDB. Schon denkt man einen Schritt weiter: "Die Maßnahme war als reine Online-Kampagne gedacht, nun wird in verschiedene Richtungen überlegt. Zunächst beobachten wir die Entwicklung der neuen Website."

"Es ist sehr schwierig, als Marktführer hintenrum zu kommen", meint Martin Oetting. VW sei dies mit Schlämmer gut gelungen. Oetting arbeitet für die Mundpropaganda Marketing Agentur trnd (www.trnd.com). "Obwohl es doch sonst immer hieß, dass Kunstfiguren auf (Corporate) Blogs nicht funktionieren. Für den Marktführer auf dem deutschen Automobilmarkt ist es eine respektable Leistung, verstanden zu haben, dass Unterhaltung im Vordergrund stehen muss." Oetting sieht die Schlämmer-Blogs als gutes Beispiel für funktionierende virale Werbung; die sich von selbst verbreitet und Gesprächsstoff bietet. "Ob sie Autos verkauft, weiß man nicht so genau. Wie immer bei der Image-Werbung. Aber man kann vermuten, dass sie positiv für die Marke wirken wird", so Oetting.

Werbe-Erfolge im Mitmach-Web 2.0 sind immer noch die Ausnahme. So scheiterten bisher Versuche, mit verdeckter Werbung und fiktiven Personen, die als echt verkauft werden, im Web 2.0 Sympathie und Interesse zu erzeugen. Jüngstes Beispiel: Durch positive Einträge in Web 2.0-Angeboten sollte Calvin Kleins Parfum "ck-IN2U" beworben werden. Die Umsetzung erfolgte mit Hilfe der Agentur d.k.d Internet Service GmbH und des Regisseurs Oliver Hardt. Die Kampagne wurde überwiegend als Angriff auf die "reale" Webwelt und als "Betrug" gewertet. "Während viele andere Unternehmen sich - als es rauskam - eine blutige Nase geholt haben, kommt VW eigentlich recht gut weg", stellt der Marketing-Experte Professor Mario Fischer fest. "Die Offenbarung passte zur Rolle und wurde ihr nicht übel genommen", so Fischer, der Autor des Fachbuches "Website-Boosting". "Das Video-Webblog wird wegen der schrägen Komik geguckt, Schleichwerbung nimmt hier offensichtlich niemand übel." Eine Tatsache, die Volkswagen preisverdächtig genutzt hat. Es ist fraglich wie weit man das "Horst Schlämmer"-Thema weiter bearbeiten sollte. Die Ausstrahlung der Schlämmer-Videos am 1. Mai auf RTL hat zumindest einen seltsamen Beigeschmack, sind sie doch eigentlich VW-Werbung. Es ist anzunehmen, dass RTL die Werbesekunden in der Unterbrechung nicht zum Listenpreis an VW verkauft hat.

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