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Viral Marketing fuels Communities

Sandra Goetz, 18. Mai 2007

Dank Web 2.0 schießen neue Fachmessen wie Pilze aus dem Boden. Einer der "Newies" ist der "Community Summit", welcher erstmalig im April im beschaulichen Wiesbaden stattfand. Wie man eine Community aufbaut, sie fördert und mit ihrer Hilfe eine Wertschöpfung erzielt, war das Hauptthema. Dass Online- Communities das Marketing verändern, wird schon fast inflationär diskutiert, aber relevante Informationen über Sinn und Zweck wie auch geeignete Instrumente zum Aufbau einer Community sind immer noch Mangelware. Im Gespräch mit ADZINE stand Markus Roder, Leiter Strategie der Dialog Solutions GmbH, Rede und Antwort. Schließlich wollten wir wissen, was virales Marketing mit Communities zu tun hat.

ADZINE: Sie waren gerade auf dem "Community Summit" in Wiesbaden und Sie sind Experte für virales Marketing. Wie passt das zueinander?

Markus Roder: Virales Marketing hat viel mit Communities zu tun - meistens wachsen Communities durch virale Effekte, beispielsweise durch Weiterempfehlung der Mitglieder an Freunde und Bekannte. VM kann dazu beitragen, dieses Wachstum weiter zu stimulieren und die kritische Masse, welche eine Community zum Überleben braucht, schneller zu erreichen.

Überdies war der Dienstag als "Pre-Conference-Day" ohnehin bereits als Word-of-Mouth- und Viral-Marketing-Tag gekennzeichnet - eine ideale Gelegenheit, das in seiner Popularität, aber auch bezüglich der bestehenden Missverständnisse immer noch wachsende Thema detailliert darzustellen.

ADZINE: Was für Missverständnisse meinen Sie?

Roder: Nun, virales Marketing ist sehr populär geworden. Dabei denken viele immer noch, dass VM ganz einfach funktioniert, vor allem durch Humor und/oder Sex. Dem ist nicht so. Mit dem reinen Konventionsbruch kann ich keine Botschaft weitertransportieren. Übersteigerter sexueller Content kann gar zu einer Bremse in der Verbreitung werden. Ein weiteres Missverständnis ist, dass einige Verantwortliche im Marketing oder auch auf Kundenseite persönlich überzeugt werden wollen. Das entscheidende Kriterium ist jedoch, dass sich jeder Marketingverantwortliche oder Kunde in die Zielgruppe, in die Welt der Leute hineinversetzen kann. "Mir gefällt das nicht", ist kein gutes Entscheidungskriterium.

ADZINE: Zum Event, wie war der?

Roder: Hervorragend! Gut organisiert, mit vielen interessanten Gästen und zum Teil überraschenden Vorträgen. Besonders gut gefallen haben mir die zeitliche Staffelung mit idealen Vortragslängen, der Mix von wissenschaftlichen, hybriden und rein praxisbezogenen Vorträgen, die Pausen, welche wir hervorragend zum Networken nutzen konnten und natürlich auch die anwesenden Blogger. Der Termin für den zweiten Community Summit steht auch schon fest.

ADZINE: Erfolg somit auf ganzer Linie. Congrats. Heißt das, dass virale Kampagnen Mittel zum Ziel "Community" sein können?

Roder: Ja. Zumindest ist virale Werbung ein gutes Instrument im Werkzeugkasten zum Community-Aufbau - wenn nicht gar das beste. Klassische Werbung ist sicher aufgrund der Medienbrüche oftmals weniger geeignet, es sei denn, man setzt klassische Medien "viral" ein - also zum Beispiel, um kontroverse Diskussionen zum Community-Inhalt in der Zielgruppe loszutreten. Eine virale Kampagne ist quasi nur ein größerer, künstlicher Hebel für die ohnehin stattfindenden Weiterempfehlungseffekte einer guten Community.

ADZINE: Welche Communities würden Sie mal so grob unterscheiden, denn eine Markencommunity wie z.B. bei Jägermeister unterscheidet sich ja gänzlich von etwa dem Communityansatz einer Tauschbörse wie Hitflip.

Roder: Absolut. Nun gibt es natürlich unglaublich viele Faktoren, anhand derer man Communities in verschiedene Kategorien sortieren kann. Da die Welt und deren wissenschaftliche Erfassung mehr als genug Komplexität bieten, bin ich immer ein Freund davon, es möglichst einfach zu halten. Ich unterscheide grundsätzlich zwischen "natürlichen" Communities und "künstlichen" Marken-Communities. Erstgenannte sind solche, die aufgrund bereits vorhandenen User-Interesses ohnehin wachsen, weil sie sich mit Themen wie Tierhaltung, Gesundheit, Sport etc. befassen. Die "künstlichen" Marken-Communities sind diejenigen, bei denen eine Marke versucht, für ein Produkt, "über das man gemeinhin nicht spricht", eine Community aufzubauen - also zum Beispiel eine für Damenbinden oder für männliche Intimrasur.

Die Herausforderungen, die sich für Bau und Unterhalt "künstlicher" Marken-Communities stellen, sind natürlich grundsätzlich verschieden von denen, denen ein Community-Manager einer "natürlichen Community" gegenübersteht. Es geht in viel stärkerem Maße um neuropsychologisches und psychologisches Reframing des Themengebiets, das Finden eines memetischen Ansatzes, mit dem auch die "unnatürliche Botschaft" selbsttätig verbreiten wird. Letzten Endes geht es aber auch darum, wie man die Botschaft der zunächst abgeschlossenen Community in den gesellschaftlichen Mainstream integriert, um das Thema zu enttabuisieren und ihm damit höhere kommerzielle Chancen einzuräumen.

ADZINE: Wie kommen Sie auf neuropsychologisches Reframing und den memetischen Ansatz?

Roder: Basis unserer Arbeit sind wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem aus der Evolutionspsychologie. Nach meinem Studium der Werbewirtschaft und der Gründung meiner Internet-Firma con[vinc]e in San Francisco, die später mit Phenomedia fusionierte, habe ich in den USA ein zweites Studium absolviert, mein Diplom in Psychologie gemacht. Hier hat mich vor allem die Bewusstseinsforschung interessiert, das fließt natürlich in die Arbeit für VM ein. Virales Marketing ist für Dialog Solutions mehr als eine Teildisziplin der Onlinewerbung. Für uns ist virales Marketing eine Philosophie.

ADZINE: Fehlt den meisten Communities nicht etwas die Glaubwürdigkeit, denn sie werden doch im Grunde von Leuten geplant und gesteuert, die ein kommerzielles Ziel haben?

Roder: Nein, ein "kommerzielles Ziel" muss nicht unbedingt zu Glaubwürdigkeitsverlust fühlen - wenn das Community-Mitglied weiterhin das Gefühl hat, als Freund gesehen und nicht übers Ohr gehauen zu werden. So genießt zum Beispiel die "Fressnapf-Community" in Deutschland trotz ihres klar kommerziellen Sponsors ein enorm hohes Ansehen und eine hohe Glaubwürdigkeit bei ihren Mitgliedern - eben weil die Moderatoren innerhalb der Themen nicht penetrant die Fressnapfmarkenbotschaft kommunizieren, sondern vielmehr auf die subtilen Transfer-Effekte von Community-Umgebung-Marke setzen. So gewinnen alle: Der User wird neutral von anderen User beraten und kann sich mit ihnen sozial vernetzen - und die Marke wird neuropsychologisch mit den richtigen Motiven aufgeladen.

ADZINE: Wozu dieser Community-Ansatz, wird der Nutzer nicht überfordert, überall ist Engagement gefragt?

Roder: Es ist praktisch unmöglich, das menschliche Gehirn zu überfordern - zumindest geht das nicht auf limbischer Ebene. Dort können bis zu 11 Millionen Bits pro Sekunde verarbeitet werden. Aber wie Sie schon ganz richtig sagen, liegt das Problem weniger in der "Reizüberflutung" als in dem Verlangen der Communities nach Beteiligung der User. Natürlich kann ein User nicht bei ALLEN Communities, die sich an ihn richten, Mitglied werden. Es kommt daher, wie fast überall im Leben, zu einem darwinistischen Verdrängungswettbewerb. Die Communities, welche neuropsychologisch und memetisch am besten an die Überlebensumwelt Gehirn angepasst sind und diese am effektivsten aktivieren, setzen sich durch.

ADZINE: Zig Geschäftsmodelle basieren heute auf einem Communityansatz. Täglich kommen vermutlich Hunderte schlaue Ideen hinzu. Wird davon nicht ein Großteil untergehen, weil sie nie die kritische Masse erreichen werden?

Roder: Absolut korrekt, siehe dazu meine Antwort auf die letzte Frage, es geht um die beste Anpassung, vielleicht könnte man auch sagen Verankerung im Gehirn. Natürlich ist das in jedem modernen Markt der Fall, nicht nur in der Onlinewerbung, in dem es mehr um umworbene Kunden als potenzielle Käufer für alle Produkte gibt.

ADZINE: Ähnlich inflationäre Tendenzen muss man doch wohl auch bei Viralkampagnen feststellen. Von den meisten werden wir gar nichts erfahren, weil sie sich nicht verbreiten. Werden sich in Zukunft nur noch ganz extreme und provokante Themen bemerkbar machen?

Roder: Nein, gerade nicht. Wie ich bereits gesagt habe, ist es wichtig, neuropsychologische und memetische Gesetzmäßigkeiten, also Trigger, zu beachten, um sich im zunehmend härteren Wettbewerb durchzusetzen. Dies kann zum Beispiel der Trigger "Mystizismus vs. Aufklärung" sein, der etwa bei "urbanen Legenden" oder der Hornbach "Ron Hammer"-Kampagne zu Einsatz kam. Oder der Trigger "Schock, Angst, Selbsterhaltung", der bei K-Fee eingesetzt wurde. Insgesamt haben wir aus Studien und Feldforschung 8 Haupt-Trigger und ihnen zugeordnet etwa 130 Sub-Trigger isolieren können. Interessant: Faktisch sind "Gewalt" und "Sex" KEINE memetischen Trigger, tragen also nicht zu einer statistisch relevant besseren Verbreitung eines Inhalts bei. Im besten Fall und NUR wenn richtig eingesetzt, wirken sie als Verstärker. Falsch eingesetzt können sie den Wirkungsgrad einer Kampagne sogar reduzieren, weil ein Angestellter einen erotisch provokativen Inhalt mit aller Wahrscheinlichkeit nicht an seinen Chef oder an Frauen weiterleiten wird.

ADZINE: Natürlich gibt es sehr viele Beispiele für erfolgreiche Communityansätze und auch für virales Marketing. Nennen Sie doch mal das Paradebeispiel, in dem es durch eine virale Kampagne gelungen ist, den Aufbau einer Internet Community zu initiieren oder zu beschleunigen.

Roder: Den Initiatoren der Philips-Norelco-Kampagne in den Vereinigten Staaten ist es gelungen, das Thema "männliche Intimrasur" von seinem Stigma zu befreien und "männliche Vollnacktheit" von einem belächelten oder sogar verspotteten Randgruppen-Image wegzubewegen, hin zu einem Kennzeichen für "versierte Frauenhelden, deren Penis um bis zu 2,5 cm größer aussieht". Hier wurde eine Community geschaffen, die nicht nur im Internet aktiv ist, sondern auch in der Offline-Gesellschaft durch virale Verbreitung wirkt. Schauen Sie sich dazu gerne meinen Vortrag an, der bei den Initiatoren des Community Summit anzufragen ist.

ADZINE: Herr Roder, wir danken für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg.

Der Community Summit 2008 findet vom 15.-16. April 2008 im Dorint Sofitel Pallas, Wiesbaden, statt.

Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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