Nur ein Scherz! Aber vielleicht ist das bereits in den nächsten Jahren die virtuelle Realität. Aufgrund des ausbleibenden Flugverkehrs wäre eine virtuelle Messe gar ökologisch sinnvoll. Die Aussteller würden ebenfalls Unsummen einsparen. So abwegig ist die Idee auch nicht. Apple zum Beispiel ist längst Eigentümer einer Vertriebsinsel in der Lebens- und Wirtschaftssimulation Second Life. Auf der realen Cebit erscheinen die iPhone-Erfinder hingegen nicht. Dabei hätten Sie dort mit Sicherheit mehr Gelegenheit, mit Kunden in Kontakt zu treten als auf Apple Island, dort herrscht nämlich gähnende Besucherleere.
Kambrische Explosion im Metaversum
"Wer jetzt schläft, ist selber schuld. Bloß nicht den Zug verpassen. Megatrend!" Solche oder ähnliche Aussagen findet man in einigen, der inzwischen inflationär auftretenden Berichterstattungen über Second Life (SL). Sicher ist, dass dieser Medienhype der letzten 3 Monate für reichlich Traffic auf dem SL-Serversystem - dem sogenannten Grid - gesorgt hat. Diese Entwicklung beinhaltet für den kalifornischen Betreiber Linden Labs einen positiven Nebeneffekt: Der steigenden Aufmerksamkeit der Realwelt folgen neue Ideen, wie man die dreidimensionale virtuelle Welt (das Metaversum) mehr oder weniger sinnvoll nutzen kann.
Fakten über Second Life
In den letzten 3 Monaten ist die SL-Einwohnerzahl von 2,3 Millionen (5.Januar) auf nun 4,37 (7.März) Millionen angestiegen. Die deutsche Gemeinde beträgt 10,78 Prozent der virtuellen Gesamtbevölkerung (Stand: Februar). Damit liegt man hinter den USA und Frankreich auf Platz 3 im Nationenranking. Second Life gibt es bereits seit dem Jahre 2003. Anfang 2006 betrug die Zahl der angemeldeten Nutzer gerade einmal 500.000. Wie viele Unique User sich tatsächlich in SL tummeln, ist kaum zu ermitteln; Betreiber Linden Labs lässt auch Mehrfachanmeldungen zu. Zur zentraleuropäischen Zeit sind durchschnittlich etwa 20.000 Menschen gleichzeitig angemeldet. Das Handelsblatt spricht von einer ernüchternden Öde in der virtuellen Parallelwelt. "Linden Labs macht kein Geheimnis daraus, dass zwischen 10 und 15 Prozent aller angemeldeten Avatare die virtuelle Welt von SL regelmäßig aufsuchen", bestätigt der Pressesprecher Alex Yenni auf Nachfrage von ADZINE.
Unterschiede zu Gaming-Umfeldern
Die Kreation von Parallelwelten war bisher der Computerspielindustrie vorbehalten. Das Leben im Multiversum ist - wie bei vielen Computerspielen auch - sehr zeitaufwendig. Doch für Gamer ist SL kaum ein Thema: "Aus Spielersicht ist Second Life uninteressant. Es ist kein Online-Rollenspiel im Sinne eines World of WarCraft. Der User bekommt überhaupt keine Zielsetzung, keine Aufgabe. Der Echtweltansatz einer alternativen Realität mit der Möglichkeit, sich zu vermarkten und Geld zu verdienen, wirkt für viele passionierte Spieler eher abstoßend", erklärt Jörg Luibl, Chefredakteur des Online-Magazins 4Players.de, ein Tochterunternehmen der freenet AG mit 800.000 Unique User im Monat.
Der Linden Dollar (L$), das offizielle Zahlungsmittel dieser Parallelwelt, macht tatsächlich den Unterschied zum Computerspiel und verleiht dem Metaversum die nötige Ernsthaftigkeit. Ob Großunternehmen oder Privatiers, einfach jeder kann sein Glück in Second Life versuchen und das vermehrte Kapital wieder in harte Dollar umtauschen. Ob Vergnügungsinseln, simple Verkaufsräume, Shopping Malls, Wettbüros, Events oder selbst programmierte Gadgets. Die Möglichkeiten wahres Geld zu verdienen und wieder zu verlieren sind - wie in der Wirklichkeit - beinahe grenzenlos.
Myrko Thum, CEO der ingame GmbH, ist ebenfalls vom Fach. Ingame.de ist ein Netzwerk von Websites, das sich vorrangig auf die Betreuung von Online-Spielgemeinschaften spezialisiert hat. Thum sieht die Entwicklung in Richtung virtuelle Abbildung der Realität als "zwangsläufig", glaubt aber nicht daran, dass unbedingt SL das Zeug dazu hat, sich am Ende durchzusetzen: "Das Online Fantasyspiel World of WarCraft der Firma Blizzard wird von weltweit 9 Millionen Usern gespielt. Allein auf unserer Forumseite zu diesem einzelnen Spieltitel verzeichnen wir 13 Millionen PI's im Monat. Doppelt so viele Spieler besuchen unsere WarCraft-Community. Im Vergleich dazu erscheint mir die Reichweite von SL eher uninteressant." Ingame.de erreicht 850.000 Unique User im Monat.
Veraltete Grafik, aber gute Soziografie bei SL
Beide Game-Experten hadern zudem mit der Qualität der 3D-Welt von SL, die nach ihrer Ansicht nicht mit den Grafik-Engines neuerer Spieletitel mithalten kann. Philip Rosedale, der Erfinder und Architekt von SL hat aber bereits in einem Interview klargemacht:
"Wir können keine vorgefertigte Grafikengine wie aus der Computerspielwelt benutzen, weil sich die Welt in SL ständig verändern und anpassen muss." Diese Grafikschwäche ist daher noch ein großes Manko von SL, um überzeugend Produkte anzupreisen und Emotionen zu wecken. Hier hat die Computerspielbranche mit ihren Ingame Advertising-Lösungen klar die Nase vorn.
Der durchschnittliche Second Life-Bewohner ist zwischen 25 und 34 Jahre alt (38,78 Prozent), der Anteil der über 45-Jährigen beträgt 11,52 Prozent. Besonders bei der Geschlechterverteilung ist ein deutlicher Unterschied zwischen Computerspiel- und Second Life-Anwendern auszumachen: In der virtuellen Welt von SL sind 41 Prozent Frauen und 59 Prozent Männer angemeldet. Ingame.de hat unlängst bei einer Nutzerumfrage feststellen müssen, dass die Community-Nutzer zu 95 Prozent männlich sind. Selbst die überaus positive Studie "Spielplatz Deutschland" geht davon aus, dass nur 24 Prozent der Freizeitcomputerspieler weiblich sind.
Vermarktung des SL-Areals
In einem Interview von Excite-Japan erklärte David Fleck, ehemaliger Vicepresident Marketing von Linden Labs, lapidar: "Wir haben kein Konzept, was die Werbung in SL betrifft. Es existieren bisher überhaupt keine Planungen, besondere Werbeflächen aufzustellen. Der Eigentümer kann aber mit seinem Land verfahren, wie es ihm beliebt. Wenn jemand einem SL-Landbesitzer Geld anbietet, um dort eine Werbefläche aufzustellen, was wird der Landbesitzer dann wohl dazu sagen? Das soll jeder Eigentümer für sich selbst entscheiden." Diese Aussage stammt noch aus dem Jahr 2006. Nun zeichnet sich bei den Kaliforniern ein Richtungswechsel ab. Auf unsere Nachfrage, ob dies noch immer die Einstellung bei Linden Labs sei, sagt Alex Yenni: "Inzwischen hat Linden Labs Partner für die Vermarktung der SL-Umgebung gewonnen. Diese arbeiten gerade daran, wie man dort Werbeformate integrieren kann."
Das Gros seines Geldes verdient Linden Labs vornehmlich mit den Premiumnutzern im Abonnement und dem virtuellen Land- und Inselverkauf an diese Usergruppe. Eigentum verpflichtet auch bei SL. Daher muss der Erwerber von Grundstücksflächen zusätzlich zum Kaufpreis eine monatliche Grundgebühr, die Tier Fees, an Linden Labs oder die Immobilenhaie wie etwa Azure Land oder Anshe Chung entrichten. Eile zum Kauf eines Eilandes ist nicht geboten. ADZINE rät beim Inselkauf gar zur Contenance. Schließlich weist der fehlende Bebauungsplan von Second Life noch erhebliche Lücken auf und laut Linden Labs sind zumindest beim Verkauf der virtuellen Inseln keinerlei künstliche Verknappungen geplant.
Produkte erlebbar machen
Die Inseln vor dem sogenannten Mainland von SL sind der eigentliche Clou an Second Life. Viele namhafte Marken haben schon zugeschlagen und sich virtuelles Land zugelegt. Die Teststrecke von Mercedes Benz ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich gerade Markenunternehmen passend zu ihren Produkten in SL positionieren könnten. Kritiker vermuten dahinter blinden Aktionismus. Wozu diese virtuelle Realität? Was kann SL eigentlich, was das klassische Internet nicht längst beherrscht? Es ist die menschliche Wahrnehmung, die hier den Unterschied macht. Die Erlebbarkeit von Produkten ist nun mal eine andere, wenn der Anwender sich selbst als Individuum in einem digitalen Umfeld neu erschaffen hat und Produkte von allen Seiten betrachten und gar virtuell testen kann. Kommunikationschef Olaf Göttgens von Mercedes Benz hat recht, wenn er sagt: "Wir nutzen eine neue Plattform, um damit auf unsere Kunden zuzugehen." Diese Kundenansprache empfindet der Verbraucher weit unaufdringlicher. Erst in einer virtuellen Welt, wie die von SL, erkennt der User die wahre Größe des Internets, ohne auf irgendeinen Vorteil dieses Mediums verzichten zu müssen. Es ist für die persönliche Kundenansprache wohl eher förderlich, wenn der User als einer unter vielen eine "Vertriebsinsel" besucht. Das digitale Alter Ego ist dann nicht gleich ein Konsument, sondern eher jemand, der einfach "nur mal schaut".
Mit der virtuellen Welt SL hat Linden Labs nicht das Rad neu erfunden. Es ist aber auch kein künstlicher Hype, wie vielfach angenommen wird. Spätestens wenn die Grafik in SL eine Verbesserung erfahren hat und die Einwohnerzahl deutlich gestiegen ist, wird Second Life eine neue digitale Schnittstelle für Vermarktung und Vertrieb darstellen.