Web 2.0 ist ein nachhaltiges Massenphänomen: User generieren Inhalte und diese werden von anderen Usern als "gleichberechtigt" rezipiert. Für Marketingverantwortliche, die in allen Dimensionen des Kundenlebenszyklus aktiv sein wollen, kann es sinnvoll sein, die eigenen Webaktivitäten mit User Generated Content zu erweitern; kurz: aus der bisherigen Website einen Spartensender mit Community-Anschluss zu machen. Es gilt dann, die Zielgruppe ans eigene Medium zu führen, dort zu binden und so die Basis für einen kontinuierlichen Dialog zu schaffen.
Das Neue im Web 2.0
Neu ist, dass sich dieser Meinungsaustausch unter dem Label Web 2.0 zur Massenbewegung entwickelt. Beflügelt von immer einfacher zu bedienenden Systemen und zunehmender Vertrautheit mit dem Medium Internet, gehört es mittlerweile zum Alltag vieler Webuser, eigene Inhalte ins Netz zu stellen. Ein Trend, der in Zukunft weiter zunehmen wird. Außerdem kann festgestellt werden, dass nicht nur die Werbewirksamkeit in den letzten Jahren nachgelassen, sondern dass vor allem die Mündigkeit der Konsumenten zugenommen hat.
Der Kundenlebenszyklus und das Web 2.0
Die Marketing-Kommunikation hat in den letzten Jahrzehnten verschiedene Modelle entwickelt, um Funktion und Wirkung von Werbung zu erklären. Die meisten beschreiben mehr oder minder komplex das Verhältnis von Stimuli (werbliche Ansprache) zu einer gewünschten Aktion des Stimulierten (Kauf). Das Web 2.0 fügt diesen Modellen eine weitere, nur schwer zu berechnende Dimension hinzu: Der Dialog zwischen den Stimulierten.
Hubert Burda hat im Januar 2007 auf der von ihm veranstalteten DLD-Konferenz (Digital, Life, Design; früher Digital Lifestyle Days) festgestellt, dass Medien und Werbetreibende vor fundamentalen Herausforderungen stehen. Tradierte Werbemodelle stehen aufgrund der Innovationen aus der digitalen Welt seiner Ansicht nach zur Disposition. Und er vermutet, dass dies kein schleichender Übergang ist, sondern eine plötzliche und sehr schnelle Entwicklung, die spätestens in fünf Jahren abgeschlossen ist.
Ausgehend von dieser These stellt sich nun die Frage, was das für den Werbetreibenden bedeutet? Sicher mehr, als in diesem Artikel behandelt werden kann. Betrachtet man ausgewählte Aktivitäten entlang des Kundenlebenszyklus, können erste Indikationen und Perspektiven abgeleitet werden.
Bedürfnisse schaffen
Hier bietet das Web erstaunlich wenig - man könnte auch sagen nichts. Dass ein Banner in diesem Kontext nicht so wirkt wie eine Anzeige oder ein Kinospot, ist offensichtlich. Man sucht seitens der Medien darum händeringend nach neuen Formaten, die nicht nur auf artikulierte Interessen reagieren (Suchmaschinen), sondern Bedürfnisse auch schaffen können. In diesem Kontext steht beispielsweise die Übernahme von Youtube durch Google.
Man kann an dieser Stelle feststellen, dass das Web für die aktive, aufklärende Kommunikation über Neuheiten oder Innovationen kaum adäquate Formate anbietet. Vor allem wenn es sich um Produkte mit ideellem Nutzwert handelt, bleiben die bisherigen Webmedien eine angemessene Vermarktungsform schuldig. Die innovativeren Ansätze kommen hier nicht von den Medien, sondern von den Markenherstellern selbst.
Als gängigstes Instrument webbasierter Schaffung von Bedürfnissen gelten virale Kampagnen, die meist davon leben, dass mehr oder minder witzige interaktive Werbemittel von Empfängern weiterverschickt werden. Systemimmanent sind die Streuverluste hoch (es lässt sich nur schlecht kontrollieren, an wen weitergeleitet wird), die Kosten im Verhältnis zu anderen Medien dagegen verschwindend gering (was die Streuverluste leicht verschmerzen lässt).
Nun haben die wenigsten Produkte und Innovationen ausreichend Humorpotenzial, um die Community so laut zum Lachen zu bringen, dass der "Virus" sich von alleine verbreitet. Auch spielt der Zeitgeist eine große Rolle. Ein Erfolg bleibt in großem Maße dem Zufall geschuldet. Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges lässt sich durch die Anzahl der Versuche erhöhen. Planbar ist der Erfolg nur bedingt und deshalb für den in der Absatzverantwortung stehenden Marketeer auch nur bedingt nutzbar.
In Anlehnung an ein Sprichwort gilt also: Tue Gutes und lasse andere darüber sprechen. Dass in der Community kreative Kraft steckt, zeigen erste Erfahrungen von Nike, Mini oder Firefox. Sie alle forderten ihre Zielgruppen auf, Videos zu vorgegebenen Themen zu produzieren und via Website der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. GoDaddy (ein Domainregistrierungsservice in den USA) ging noch einen Schritt weiter: Dort ließ man die Community über die eingereichten Clips abstimmen und schaltete die beliebtesten Spots dann ohne weiteres Bearbeiten landesweit. Nach eigenen Angaben die erfolgreichste Marketingaktion der Unternehmensgeschichte.
Entscheidend ist, dass die Community unter dem Dach des Absenders aktiv wird. Nur so kann der Marketeer das Umfeld beeinflussen und mit den eigenen Kommunikationszielen "verheiraten". Er verliert zwar die Kontrolle über den Inhalt, kann aber eine Umgebung schaffen, die nach wie vor den eigenen Zwecken dient. Der erfolgreiche Kommunikationsexperte der Zukunft denkt weniger über die zu transportierenden Inhalte nach, sondern darüber, wie er eine Umgebung schaffen kann, die einerseits zum Mitmachen motiviert und andererseits den eigenen Kommunikationszielen dient. Dass hier eine sensible Balance gefunden werden muss, ist selbstverständlich. Und dass die Mechaniken, die in anderen Medien funktionierten, hier nicht mehr gelten, eine starke Vermutung.
Kunden überzeugen
Wenn ein Kunde bereits weiß, was er braucht, spielt das Web seine ganze Stärke aus. Ob Suchmaschine, Preisvergleich, Kundenrezensionen: Im Web gibt es für den Informationssuchenden eine fast unüberschaubare Fülle von Angeboten, die ihm helfen, seine Entscheidung aufgrund mehr Grundlagen als reiner Herstellerinformation zu treffen.
Betrachtet man das Informationsverhalten von Konsumenten, wird schnell deutlich, dass die Angewohnheit der Konsumenten eine Informationsrecherche über eine Suchmaschine zu starten, drastische Auswirkungen auf das tradierte Marketingverständnis hat. Die Bemühungen, durch kontinuierliche Kommunikation im Relevant Set der Verbraucher zu bleiben, werden durch die breite Nutzung von Suchmaschinen grundsätzlich in Frage gestellt.
Relevant Set heißt im Web 2.0 nichts anderes, als in den Trefferlisten der Suchmaschinen möglichst ganz oben präsent zu sein. Oder anders formuliert: Wenn ein Kunde sein Interesse an eine Suchmaschine adressiert - sich also freiwillig als Interessent zu erkennen gibt - ist es grob fahrlässig, ihn nicht darüber zu informieren, dass man ein passendes Angebot hat.
Kunden binden
Da Angebote wie Google sich ihre Weiterleitungsdienste in aller Regel vergüten lassen, stellt jeder User, der aus "freien Stücken" wiederkehrt, einen geldwerten Vorteil dar. Der wiederkehrende User kann kostenneutral über neue Angebote informiert und in die eigene Community eingebunden werden.
Es gilt also Anreize zu schaffen, User zur regelmäßigen Wiederkehr zu motivieren. Eine Wiederkehr wird - dies ist eine banale Erkenntnis - vor allem durch Relevanz und Mehrwert motiviert. In Zeiten von Web 2.0 bedeutet dies, die User selbst für Relevanz sorgen zu lassen, sei es nun durch Dialogoptionen oder durch benutzergenerierte Inhalte.
Man muss davon ausgehen, dass sich zunächst die User hier engagieren, die ein besonders inniges Verhältnis zur Marke oder zum Produkt haben. Mithin genau die Protagonisten, die man im Web 2.0 Agents nennt und die bisher als Multiplikatoren bezeichnet wurden. Gelingt es, einige der Agents an sich zu binden und zur Kontribution zu animieren, ist die größte Hürde bereits genommen.
Vorbildlich in vielerlei Hinsicht sind hier Software-Unternehmen. So stellt Sun im Web eine Plattform für Java-Entwickler zur Verfügung. Die User finden dort nicht nur aktuelle Informationen zum Produkt, sondern auch Downloads, Datenbanken und Foren zu Spezialistenthemen. Diese werden von Sun zum Teil moderiert. Die eigentliche Service-Arbeit macht aber die Community. Sie diskutiert Fragestellungen und entwickelt im Dialog Lösungsszenarien für entdeckte Probleme.
Aus Perspektive des Anbieters die perfekte Ausgangslage. Kunden helfen Kunden. Sie schaffen Relevanz für zukünftige und bestehende Kunden regelmäßig das Angebot zu besuchen. Der dort stattfindende Dialog kann genutzt werden, Probleme mit eigenen Produkten frühzeitig zu entdecken. Die entstehende Userbasis kann über Produkt-Neuheiten regelmäßig informiert werden.
Lösungsansatz für die Marketing-Kommunikation
Viele Community-Konzepte sind mit der New Economy zu Beginn des neuen Jahrtausends gescheitert. Der Markt war noch nicht soweit, das Medium zu neu. Die neue Einfachheit des Web 2.0 bedeutet nun, dass die User gerne und viel kontribuieren und die Marktreife für communitybasierte Kommunikationslösungen heute gegeben ist. Es besteht also eine realistische Möglichkeit, dass Kunden sich - auf einer vom Hersteller betriebenen Site - engagieren. Und dies sollte ein Marketeer nutzen.
Wenn man von den Web-Medien keine aufregenden Formate erwarten kann, muss man sich eben mit einer eigenen Site diese Formate schaffen. Es scheint heute möglich, als Marke eigene Web-Medien zu entwickeln und seine Zielgruppen an diese zu binden. Diese Websites sind Community, Spartensender, Fachpublikation und Online-Shop in einem.
Ein Marketeer sollte sich also folgende Fragen stellen
- Wie mache ich mein Web-Angebot relevant für meine Zielgruppen?
- Was kostet mich das Erstellen dieser relevanten Web-Plattform?
- Und was ist mir ein kontinuierlicher Dialog mit meiner Zielgruppe wert?
Auch im Zeitalter des User Generated Content darf man seine Position als Hersteller in dieser Beziehung aber nicht unterschätzen. Natürlich reden Kunden gerne über Marken und Produkte. Und warum sollten sie es nicht beim Hersteller tun? Web 2.0 schafft mit Hilfe eigener Medien die Möglichkeit, Kunden an sich zu binden, neue Kunden zu finden und seine Marke gemeinsam mit seinen Kunden im Web zu pflegen.
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