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Revolution oder Evolution

Udo Fleckenstein, 12. Januar 2007

Wer sich die Frage stellt, "Was ist Web 2.0 eigentlich?"; der sei auf den betreffenden Artikel von Tim O´Reilly (http://www.oreilly.de/artikel/web20_trans.html) verwiesen. Was hier interessiert, ist die Frage, ob Web 2.0 nicht lediglich ein Hype-Thema ist, über das in ein paar Jahren niemand mehr reden wird. Was steckt hinter dieser Bezeichnung? Welche wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen hat ein System, dass Daten, die das Ergebnis einer unzensierten Meinungsfreiheit sind, für alle Nutzer zugänglich macht? Hat dieses System auf Dauer eine Chance?

Wer die Geschichte des Webs seit seinen Anfangsjahren aufmerksam verfolgt hat, der wird den in der Überschrift genannten Begriff Revolution sicherlich schon im Voraus ausschließen. Denn der Erfinder des Internets, Tim Berners-Lee, hatte streng genommen eine rudimentäre Version des Web 2.0 von Anfang an geplant: Ein Read/Write-Web zum Informationsaustausch. Da scheint Web 2.0 nur die konsequente Umsetzung dieser Idee zu sein. Natürlich reizt den Nutzer die kreative Herausforderung sich selbst in die Gestaltung des Web mit einzubringen.

Projekte wie MySpace haben bewiesen, dass Mitmach-Websites auf gewaltiges Interesse treffen. Jeder ist sein eigener Redakteur! Nur... hat auch jeder das Zeug zum Redakteur? Von Redakteuren wird im Allgemeinen auch eine gewisse Neutralität verlangt, bei Web 2.0 ist gerade diese nicht besonders gefragt.

"Internet zum mitmachen" heißt die Zauberformel für den Content von Web 2.0 und inspiriert tägliche Tausende Nutzer zum Schreiben. Diese Tatsache und noch viele mehr, zum Beispiel die neu entstandene Rezensionsfreudigkeit der Kunden, zeigt, dass immer mehr Menschen via Internet auch ganz persönliche Informationen, Meinungen und Erfahrungen veröffentlichen wollen. Aber genau darin liegt auch eine der größten Gefahren dieses Systems. Denn wer kontrolliert die publizierten Daten? Wer zieht eine Grenze - in welche Richtung auch immer? Und vor allem: Wem gehören diese Daten?

Mancher Optimist oder Sozialromantiker sieht sich durch Web 2.0 an die Anfänge der Demokratie im antiken Griechenland erinnert. In der damaligen Volksversammlung der Polis herrschte auch Meinungs- und Redefreiheit. Die Pessimisten hingegen sehen die Gefahr, dass Web 2.0 eine perfekte Plattform für Verunglimpfungen und Hetzreden gegen politische, wirtschaftliche und auch private Gegner bietet ... Pro und Contra wird es gerade bei Projekten wie Web 2.0 immer im Überfluss geben.

Alle Macht dem Nutzer? Wird aus e-Commerce auf Dauer wirklich social-Commerce? Kann man Communities auf Dauer erfolgreich kommerzialisieren? Auch auf diese Fragen wird es in nächster Zeit wohl kaum definitive Antworten geben.

Auch ist das Zauberwort Web 2.0 nicht unbedingt ein Garant für dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg. Nach seinem kometenhaften Aufstieg verpuffte der Erfolg der Website Friendster aber auch schnell wieder. Es scheint, als ob die Nutzer just in dem Moment abspringen, in dem große Geldgeber aufspringen, die fast zwangsläufig gewisse Regeln aufstellen. Ob kommerziell oder nicht - auch Web 2.0 muss Regeln einhalten und geltende Rechte beachten. So spürt YouTube seit einigen Wochen massiven Gegenwind: Kaum ist Google ins Boot eingestiegen, mehren sich die Klagen der Unternehmen, die ihre Urheberrechte verletzt sehen.

Die Vermutung liegt nahe, dass Web 2.0 gerade aus diesem einen Grund so gut funktioniert, weil die Community keine Regeln diktiert bekommen will. Der Begriff "Markentreue", so die "Washington Post", sei den Nutzern schon lange ein Fremdwort aus dem vergangenen Jahrtausend. Auch die Erfolgsstory von Wikipedia würde wahrscheinlich genau dann enden, wenn Werbeblocks und Kommerzdenken Einzug halten und ein Großteil der abertausend Redakteure abspringt. Ein verfrühtes Fazit wäre sicherlich nicht angebracht, aber viele Nutzer tendieren zu der Meinung, die Erscheinung Web 2.0 als einen Trend zu sehen, der nach geraumer Zeit am Versuch der Kommerzialisierung scheitern wird oder irgendwann im Trash der wahrlich riesigen Armee von Schmutzfinken versinkt. Fakt ist, im ersten großen (und noch andauernden) Hype sind zu viele Web 2.0-Portale entstanden. Eine ähnliche Entwicklung gab es vor ein paar Jahren, als Auktionsportale wie Pilze aus dem Boden schossen - und heute: 3, 2, 1 ... meins!

Es bleiben nur zwei Möglichkeiten: Beobachten oder Mitmachen. Die Grundidee von Web 2.0, dass der Nutzer den Inhalt des Webs generiert und verändert, kann durchaus zu einem Teil auch in kommerzielle Geschäftsideen eingebaut werden. Aber das würde natürlich wieder eine gewisse Zensur notwendig machen; und endet Web 2.0 nicht genau dort, wo eine solche Zensur beginnt? Als Schlussüberlegung könnte man sich fragen: Wenn Web 2.0 anscheinend kommerzielle Probleme hat, wie sieht dann Web 3.0 aus?

Über den Autor/die Autorin:

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