Wenn man in einem Geschäft keinen Verkäufer findet, liegt es nahe, sich mit anderen Kunden über den mangelhaften Service zu unterhalten. Dabei findet man heraus, dass ein anderer Kunde den Kauf des Plasma TVs vom letzten Jahr bereits bereut, jetzt aber eigentlich einen Föhn sucht. Man selbst möchte einen Tischgrill kaufen und zufälligerweise entpuppt sich der andere als ambitionierter Hobbykoch mit Sachverstand in Grillen aller Art. Und eigentlich versteht man selbst auch einiges vom Föhnen. Und eh man sich versieht hat man eines von diesen zwischenmenschlichen Erlebnissen, die das Einkaufen doch erst so richtig schön machen.
Ob das Internet ähnlich intensive Erlebnisse zulässt, ist fraglich. Ähnlich guten Rat, sowie Bewertungen und Preisempfehlungen findet man aber in jedem Fall. Der Austausch von strukturierter und selektierter Information ist ja nun mal die Stärke des Webs. So lassen sich zu Shoppingzwecken natürlich auch die entsprechende Informationen und Meinungen zu allen erdenklichen Produkten finden. Dafür sorgen Hersteller, Shops und Konsumenten.
Der Begriff "Social Commerce" macht zunehmend die Runde. Es geht also in Zukunft nicht mehr allein um Produktdatenbanken, sondern auch um den zwischenmenschlichen Aspekt beim Online-Shopping. Wir sprachen mit Tim Hahn (33), Mitgründer und Geschäftsführer der Internet-Agentur netz98 new media GmbH, um mehr zum Thema zu erfahen. Hahn entwickelte zusammen mit seiner Social Commerce Unit die Social Shopping Plattform SoSmart.de.
ADZINE: Was steckt hinter dem Begriff Social Commerce? Welche Geschäftsphilosophie verbirgt sich dahinter?
Hahn: Social Commerce ist der Internet-Handel der nächsten Generation: E-Commerce-Plattformen der Zukunft sind nicht länger nur händlergetrieben, shopzentriert und angebotsorientiert. Der Web 2.0-Einkäufer gibt sich mit einseitigem Konsum nicht mehr zufrieden - er will mitgestalten, beraten und interaktiv kommunizieren. So mancher Kunde wird dabei sogar selbst zum Verkäufer.
Anstatt nur auf die eigenen Produkte fokussiert zu sein, ermöglicht ein Social Commerce- Angebot den Menschen, sich auszutauschen. Und erst dabei wird dann auch ge- und verkauft.
ADZINE: Ist das denn überhaupt glaubwürdig, wenn der soziale Aspekt aus einem rein kommerziellen Gedanken von der Händlerseite angestoßen wird?
Hahn: Obwohl der Händler das Thema Social Commerce natürlich in erster Linie aus kommerzieller Sicht anstößt, gibt es einen sozialen Aspekt. Er besteht darin, dass sich Nutzer untereinander austauschen können. Eine Gruppe von Menschen, eine Community hat die Möglichkeit, sich zu vernetzen, miteinander zu sprechen und sich Produkte zu empfehlen. Jeder einzelne hat dadurch den Vorteil, dass er in diesem sozialen Netzwerk das für ihn relevante Produkt findet.
ADZINE: Wer kann vom Social Commerce profitieren und wer verliert möglicherweise?
Hahn: Von der Idee des Social Commerce profitieren alle Beteiligten - egal ob Plattform-Betreiber, Händler oder Käufer. Auf der einen Seite stehen mehr Umsätze und aktive Kunden mit einer höheren Bindung zum Portal, auf der anderen Seite profitieren Nutzer von den erweiterten Möglichkeiten, das optimale Produkt zu finden.
Social Commerce und E-Commerce konkurrieren nicht untereinander: Social Commerce stellt eine Erweiterung/Weiterentwicklung des E-Commerce dar. Mit Social Commerce vollzieht der klassische E-Commerce einen Wandel hin zu neuen Gesprächen und mehr Offenheit.
ADZINE: Welche Merkmale kennzeichnen einen effektiv gestalteten Social-Shop (Design, Benutzerführung, Usability)? Wie kann man den User glaubwürdig einbinden?
Hahn: Wichtig ist, dass der Nutzer seinen eigenen Social-Shop maximal individualisieren kann. Der Nutzer sollte die Möglichkeit haben, seinen Social-Shop in Bezug auf Inhalt, Design und Struktur selbst zu gestalten. Je mehr Gestaltungsmöglichkeiten der Nutzer hat, umso glaubwürdiger wird er durch seinen Social-Shop repräsentiert.
Bei der Planung eines Social-Shops spielen die Grundsätze des Web 2.0 eine entscheidende Rolle. Web 2.0 steht für eine neue, evolutionäre Art, wie Nutzer sich online bewegen und mit dem Internet umgehen. Das zentrale Moment: Konsumenten wollen nicht länger nur einfach konsumieren, sie wollen aktiv am Geschehen teilnehmen. Die große Herausforderung bei der Konzeption eines Social-Shops besteht darin, eine Community von Usern, die in einer sozialen Erlebnis- und Einkaufswelt Gemeinsamkeiten, Anerkennung und Interaktion suchen, mit den kaufmännischen Gesetzen der Profitabilität unter einen Hut zu bringen.
Eine exakt auf die Bedürfnisse und Besonderheiten eines Unternehmens zugeschnittene Social Commerce-Lösung soll sowohl Marktplatz als auch ein gemeinschaftlicher Spielplatz sein.
In puncto Design gibt es drei Aspekte, die eine besonders große Rolle spielen: Eine durchgehend intuitive und visuelle Benutzerführung, die ausgeprägte Möglichkeit der Individualisierung und ein glaubhaftes Design.
Um den Nutzer zum Mitmachen zu bewegen, muss Vertrauen aufgebaut werden - das passende Design und eine intuitive Benutzerführung sind sehr wichtige Bausteine dafür: Es ist elementar, den Nutzern die nötigen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit diese "ihrem" Content auch gestalterisch einen eigenen Stil verleihen können.
ADZINE: Welche Technologien werden zur Implementierung einer Social Commerce-Plattform eingesetzt? Welche ist zu empfehlen? Welche Kosten sind damit verbunden?
Hahn: Die Technologien zur Implementierung einer Social Commerce-Plattform müssen nicht neu erfunden werden, der Markt bietet eine Fülle von ausgereiften Möglichkeiten, mit denen sich die Idee der Handels-Community effizient umsetzen lässt. Zugleich ist der Einsatz von State-of-the-Art-Techniken und Web-Services unabdingbar für die erfolgreiche Implementierung eines Social-Shops und zur Erreichung eines angenehmen Einkaufserlebnisses. Aktuelle Web-Technologien tragen entscheidend zur Usability bei und unterstützen das Design und Layout bei der Entwicklung des Joy-of-Use. Dabei darf auch das Thema Sicherheit nicht aus den Augen verloren werden. Die Technologie, in der das Projekt umgesetzt werden soll, ist prinzipiell egal. In den letzten Jahren ist die Popularität von LAMP-Plattformen jedoch enorm gestiegen. LAMP steht hierbei für Linux, Apache, MySQL und PHP/Python/Perl.
ADZINE: Für welche Händler ist Social Commerce besonders gut geeignet?
Hahn: Prinzipiell ist der Social Commerce-Ansatz für alle Händler in allen Branchen denkbar. Zudem hebt Social Commerce auch ausgefallene Produkte hervor, da die "Wisdom of the Crowd" nicht den Gesetzen der Wirtschaft, sondern des persönlichen Geschmacks folgt. Dieser Aspekt des Social Commerce ist natürlich gerade für Händler von Nischenprodukten und für Longtail-Anbieter interessant.
ADZINE: Wo sehen Sie den Onlinehandel in fünf Jahren?
Hahn: Der Idee des gemeinsamen Einkaufserlebnisses gehört die Zukunft, denn sie beschreibt die Kommerzialisierung von Web 2.0 und liefert damit eine sinnvolle Erweiterung der klassischen E-Commerce-Modelle.
Wir stehen im Moment am Anfang einer neuen Revolution durch Social Commerce. Wir können momentan noch nicht annähernd abschätzen, welche Ausmaße sie annehmen wird.
Alle Beteiligten können sich jedenfalls freuen: In fünf Jahren werden die jetzigen Entwicklungen den Unternehmen mehr Umätze und Erfolg bescheren und die Nutzer freuen sich über ein personalisiertes und zugleich gemeinschaftliches Einkaufserlebnis!