Viren mag kein Mensch. Auf virales Marketing stehen trotzdem alle. Immer mehr Unternehmen verbreiten ihre Werbebotschaften statt im Fernsehen lieber übers Internet -hübsch verpackt in lustige oder provozierende Filmchen und Spiele. Neben vielen Vorteilen wie einer riesigen Nutzerschar birgt Viral-Marketing aber auch Risiken.
"Prinzipiell sind Kampagnen, die viral funktionieren, für jedes Produkt machbar", sagt David Eicher, Geschäftsführer der Münchener Agentur webguerillias. Eine Gefahr bestehe darin, dass man allzu leicht dem Wunsch verfalle, möglichst kostengünstig Reichweite zu erzielen - und dabei nicht so sehr darauf achte, markenkonform zu agieren. Im schlimmsten Fall torpediert eine virale Kampagne dann die anderen Werbeaktivitäten des Unternehmens. Ein Schuss, der sehr schnell nach hinten losgehen kann.
Wenn eine virale Kampagne erst einmal unterwegs ist, ist es nicht mehr möglich, sie zu stoppen. "Werbekunden, die virales Marketing betreiben, geben die Kontrolle über die Markenführung ein Stück weit ab", sagt Uli Kramer, Geschäftsführer der Hamburger Agentur pilot. Dazu gehören sowohl die zeitliche als auch die regionale Kontrolle. Eine erfolgreiche Viral-Kampagne geistert vielleicht noch in zehn Jahren durchs Netz. Genauso ist es nicht zu verhindern, dass ein lustiger Werbespot aus Deutschland die Grenzen der Bundesrepublik verlässt und Nutzer in Frankreich, Großbritannien oder den USA erfreut. Ein Problem wird dies, wenn eine Marke oder ein Produkt in einem anderen Land völlig anders positioniert ist. "Ebenso kann es passieren, dass man mit einer zu provozierenden Idee den Unmut einiger weniger Menschen hervorruft", sagt Eicher.
Bei den vielen viralen Kampagnen, die gleichzeitig um die Gunst der Nutzer buhlen, sieht pilot-Chef Kramer durchaus die Gefahr, dass Werbekunden mit ihrer Botschaft untergehen. Meist erinnere man sich lediglich an die wenigen Extremfälle, die gut funktioniert hätten. Der Rest verschwinde in einem riesigen Mittelfeld. Deswegen sei es wichtig, erfahrene, realistische Partner einzubeziehen. In dasselbe Horn bläst Eicher: "Es ist doch am Ende immer die Frage, ob man mit Leuten zusammenarbeitet, die ihr Handwerk verstehen oder eben nicht". Das stimmt natürlich, aber bei der Vielzahl von Agenturen, die sich um Viral-Marketing kümmern, ist es verwunderlich, dass sich die meisten Menschen nur an sehr wenige Kampagnen erinnern können.
Im besten Fall nehmen die Nutzer die viralen Werbebotschaften gar nicht als Werbung wahr. Im schlimmsten Fall ist dies aber auch ein großes Problem von viralen Kampagnen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Moorhuhn. An das millionenfach heruntergeladene Werbespiel Moorhuhnjagd erinnern sich zwar noch sehr viele Menschen. Kaum einer bringt das putzige Flattervieh aber noch mit der Whiskymarke Johnny Walker in Verbindung. Das gut gemachte Spiel hat sich von der Werbebotschaft gelöst und ist selbst zur Marke geworden.
Das "Moorhuhn" zeigt aber, dass Viral-Marketing mit einem simplen kleinen Spiel oder Filmchen möglich ist. "Besser ist es jedoch, wenn man kampagnenorientiert denkt und die Viral-Kampagne mit anderen Aktivitäten verzahnt", sagt Eicher. Nur so sei es in der Regel möglich, Meinungen und Verhaltensweisen von Kunden zu verändern. Ein witziges Video oder lustiges Spiel könne nur das Zentrum einer viralen Kampagne sein, sagt Kramer. Noch wichtiger sei bei viralen Werbebotschaften jedoch die Loslösung von traditionellen Modellen: "Die klassische Werbedenke funktioniert nicht". Es reicht nämlich nun einmal nicht aus, einen fertigen Werbespot, der mehr oder weniger lustig ist, durchs Netz zu jagen. Fast immer infizieren solche halbherzigen Viral-Konzepte niemanden. Sie werden als plumpe Werbebotschaften verstanden und solche Sachen verbreitet kaum ein Nutzer freiwillig.
Die meisten Onliner leiten lustige Netzentdeckungen weiter, weil sie sich dadurch als "coole Sau", die immer die tollsten Dinge aufspürt, brüsken wollen. Und mit der Verbreitung von plumpen Werbespots erntet man nun mal keinen Ruhm, sondern wird wahrscheinlich eher bemitleidet.
Ein weiteres Missverständnis in der viralen Welt sieht Kramer in der angeblich kostenlosen Verbreitung durch die Nutzer selbst. "Um die nötige Reichweite zu erreichen, muss dieser Prozess aktiv angestoßen werden, sonst dauert es viel zu lange, bis die Botschaft ausreichend Personen erreicht". Und dies koste natürlich Geld. Ein beliebtes Beispiel für das scheinbar kostengünstige Viral-Marketing ist der Low-Budget-Kinofilm "The Blair Witch Project". Der 35.000 Dollar teure Streifen war durch massive PR-Maßnahmen schon lange vor dem Start weltweit in aller Munde und spielte letztendlich stolze 250 Millionen Dollar ein. Der Propagandafeldzug, in dem der Film als authentische Gruselgeschichte präsentiert wurde, kostete aber immerhin 25 Millionen Dollar. Der Gruselschocker zeigt allerdings, dass virales Marketing funktionieren kann, nur kostenlos sind solche Kampagnen nicht zu haben. Und jeder sollte wissen, worauf er sich mit dieser Werbeform einlässt, sonst ist das Gezeter am Ende groß.
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