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PUBLISHING

Faszinierende Veränderungen in der Verlagswelt

Sandra Goetz, 24. November 2006

Andreas Nölting ist seit Januar 2001 Chefredakteur vom manager magazin Online. Sein Buch "Die neue Supermacht Börse" machte den Top-Journalisten des manager magazins auch über die Grenzen des Journalismus hinaus bekannt. Eigentlich sollte der diplomierte Volkswirt als Korrespondent nach San Francisco gehen. Aber dann wurde Nölting der Posten als Online-Chef angeboten - und er griff zu. Nach einigen turbulenten Jahren kann sich Andreas Nölting über den wachsenden Erfolg des Wirtschaftsportals freuen. Vorbei sind endlich die Zeiten, in denen die Online- von den Print-Kollegen leicht belächelt wurden. Neben unique content stimmen auch die Zahlen.

ADZINE: Herr Nölting,wie lässt sich die traditionelle Rolle des Inhalteanbieters in Zukunft noch stärker mit den interaktiven Möglichkeiten des Netzes kombinieren?

Nölting: Zunächst einmal muss man die Unterschiede von manager-magazin.de und manager magazin verdeutlichen: manager-magazin.de ist eine unabhängige journalistische Einheit, die eine eigenständige Redaktion mit 20 Kollegen hat. Wir erscheinen täglich rund um die Uhr, unser Mutterprodukt einmal im Monat. Das ergänzt sich prima und stützt die Marke manager magazin. Beispielsweise haben wir exklusiv ein Interview mit dem Präsidenten vom HWWI (Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut), Professor Dr. Thomas Straubhaar, über die Auswanderungswelle von Top-Fachkräften aus Deutschland geführt. Das lief als Unterstützung zur entsprechenden Titelgeschichte des Heftes. Kombiniert haben wir das mit einem "Auswanderer-Blog", in dem sich bislang 1.000 Auswanderer über ihre Motivation geäußert haben, Deutschland zu verlassen. Auf diesen Blog wiederum haben die Print-Kollegen in ihrer Recherche aufgesetzt und drehen die Geschichte nun weiter.

Andersherum funktioniert das auch: Wenn die Print-Redaktion eine heiße Nachricht hat, die für das Monatsmagazin nicht zu halten ist, geben sie sie an uns weiter. Dessen ungeachtet gilt aber, dass jede Redaktion unabhängig von der anderen arbeitet und recherchiert.
Generell gilt, dass wir als Online-Angebot unseren Usern vermehrt die Möglichkeit bieten, sich in Foren oder Blogs zu äußern, diese Tools zu nutzen. In erster Linie ist das aber eine technische Herausforderung, weniger eine des Inhaltes.

ADZINE: Wie gehen die etablierten Verlage damit um, dass sich der Leser im Internet auch immer mehr zum Macher entwickelt?

Nölting: Wir sehen das in keiner Weise als eine Bedrohung, sondern eher als eine willkommene Ergänzung. Unsere Inhalte - also exklusive Unternehmensgeschichten oder Hintergründe zu großen Tagesereignissen - können die User schließlich nicht selber schreiben. Sowohl die Print- als auch die Online-Redaktion verfügt über ein großes Netzwerk an Gesprächspartnern. Was wir machen können - und auch forcieren -, ist, den Usern eine Plattform zu bieten, unsere Inhalte zu kommentieren - eine spannende Ergänzung zu unserer Berichterstattung.

ADZINE: Stellt User Generated Content eine Gefahr für die traditionellen Verlage dar? Oder handelt es sich bei Blogs, Videoportalen etc. vielleicht nur um eine temporäre Erscheinung, die man als Verlag ausblenden kann?

Nölting: Nein, wie ich bereits sagte, stellt es keine Gefahr dar. Ebenso handelt es sich weder bei Blogs, Foren oder Video-News um Eintagsfliegen. Diese Form der hierarchielosen Interaktion ist das Wesen des Web 2.0. Es ist toll, ein direktes Feedback auf unsere Artikel zu bekommen.

ADZINE: Gibt es Wege und Möglichkeiten, das Verlangen der Leser, selbst Inhalte zu produzieren, auch für Qualitätsmedien zu nutzen?

Nölting: Ja, natürlich gibt es diese Möglichkeit. Das Verlangen der Leser, ihre Inhalte zu produzieren, läuft über Blogs und Foren. Qualitätsmedien nutzen das, indem die Meinung sowohl von den Lesern als auch den Usern erfragt wird. Die User sind deshalb sehr zufrieden und fühlen sich von uns ernst genommen. Nächstes Jahr wollen wir mehr Web 2.0-Funktionen live stellen, zum Beispiel Wiki-Funktionen, die Möglichkeit, Videos einzustellen, journalistisch betreute Themenforen etc.

ADZINE: Oder können redaktionell hochwertige Titel offline wie online nur funktionieren, wenn Redaktion und Leser weiterhin ihre traditionellen Rollen beibehalten?

Nölting: Nein, das würde nicht funktionieren. Dann wären wir als Internetportal auch nicht mehr relevant. Wichtig ist, dass wir gegenseitig auf unsere Arbeit aufbauen können, wir uns geschickt die Bälle hin- und herspielen.

ADZINE: Wird Werbefinanzierung auf Dauer ausreichen, um qualitativ hochwertigen Content im Internet anzubieten, denn bei schwindenden Printauflagen und der stärkeren Online-Nutzung ändert sich ja auch das gesamte Erlösmodell der Verlage? Und: Was ist mit paid content im Internet?

Nölting: Erstens: Unsere Printauflage steigt weiter. Das widerspricht dem, was als "Kannibalisierung" von Print und Online bezeichnet wird. Zweitens: Unsere manager-magazin.de-Nutzer sind in der Regel etwas jünger als unsere Print-Leser. Nur 17 Prozent der Print-Leser nutzen das Angebot unseres Onlineportals. Ebenso lesen nur 20 Prozent unserer User die Printausgabe. Für uns ist das die Chance, Onlineleser zu Print zu bringen und umgekehrt. Stichwort Werbefinanzierung: Gute journalistische Portale mit starken Marken können durch Werbeerlöse finanziert werden; spiegel.de hat ja vorgemacht, wie erfolgreich das geht. Paid Content spielt hierbei noch keine große Rolle. Alle Artikel, die älter als vier Wochen sind, werden bei uns automatisch bepreist. Dabei sind die Einnahmen überschaubar.

ADZINE: Wachsen Online- und Offline-Redaktionen zunehmend zusammen und wie wird sonst noch Content generiert, um Redaktionskosten für Online im Rahmen zu halten. Zum Beispiel Contenttausch zwischen manager-magazin.de und spiegel.de?

Nölting: Online und Print wachsen zusammen, jedoch müssen wir auch hier unterscheiden. Bei Tageszeitungen ist es häufig bereits Usus, hier nutzen Print- und Onlineredaktion den gleichen Newsroom. Im Falle von manager magazin und manager-magazin.de sieht es ein wenig anders aus. Eine Zusammenlegung der Redaktionen empfiehlt sich bei einem Monatsmagazin und einem quasi minutenaktuellen Online-Angebot sicherlich nicht. Obwohl wir natürlich eng zusammenarbeiten, die Print-Kollegen ebenso für Online schreiben. Selbstverständlich tauschen auch Spiegel Online und manager magazin Online Content. Das hat aber nichts mit Kostenersparnis zu tun, sondern mit journalistischen Inhalten.

ADZINE: Wie hat sich das Internet auf die Printauflage z.B. des manager magazins ausgewirkt? Und können die Werbeerlöse des www die fehlenden Abo-Umsätze kompensieren und zusätzlich noch die Online-Aktivitäten decken?

Nölting: Die Abo-Auflage des manager magazins ist stabil und - wie bereits gesagt - auch die Gesamtauflage steigt. Da muss also nichts kompensiert werden. Und selbst wenn den Printkollegen das Geschäft wegbräche, hätten wir als Onliner zurzeit noch nicht die Möglichkeiten, das auszugleichen. Wichtig ist aber: Die Marke manager magazin muss einfach im Internet präsent sein, Qualität abliefern und zu den führenden Anbietern gehören - genauso wie das Heft.

ADZINE: Auch das manager magazin hat das Online-Marketing als Thema für die Leser erkannt, so auch in der vorletzten Printausgabe. Ist es nur gerade eine hippe Erscheinung oder spiegelt es einfach dessen Bedeutung in der Zukunft wider?

Nölting: Ob ein Thema hip ist oder nicht, sollte für einen Verlag nicht unbedingt das entscheidende Kriterium sein. Wichtig ist doch, ob der beobachtete Trend eine neue Qualität besitzt. Und das beobachten wir im Fall der Online-Werbung. Auf diese Anzeigen kann man klicken und so entsteht sofort ein direkter Kontakt zwischen dem Leser und dem jeweiligen Unternehmen. Auch bietet das Internet die Möglichkeit, personalisierte Werbung auszuliefern, also die Vorlieben des einzelnen Lesers zu berücksichtigen. Die Möglichkeiten des Online-Marketings und die daraus resultierenden Veränderungen der Verlagswelt sind faszinierend. Unabdingbar dabei ist, dass es eine klare Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung gibt.

ADZINE: Herr Nölting, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg.

Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.