"Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert." Dieses geflügelte Wort mag auf Privatpersonen zutreffen, für Unternehmen gilt etwas anderes. Ob Markenartikler, Banken oder Energieversorger, allesamt sind sie von ihrem mühevoll aufgebauten Image abhängig. Negativmeldungen können dieses Ansehen nachhaltig schädigen. Doch was tun gegen gut organisierte Onlineaktivisten, ungefilterte Blogeinträge oder sich viral ausbreitende Behauptungen in einschlägigen Foren? Einige Unternehmen haben nun Keywords als geeignetes Gegenmittel entdeckt, andere suchen einfach den offenen Dialog.
Nur ein Wort: Killercoke
Schlechte Nachrichten aus Südamerika sorgten dieses Frühjahr bei Coca-Cola für einen PR-Gau. Der Vorwurf aus Kolumbien: Zwei ortsansässige Coca-Cola-Abfüllunternehmen hätten gegen allerlei arbeitsrechtliche Vorschriften verstoßen und seien deswegen in Mordfälle verstrickt. Nach dem unnatürlichen Tod mehrerer Funktionäre der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal hat der US-Aktivist Ray Rogers zusammen mit kolumbianischen Gewerkschaftlern die Kampagne "Killercoke, murder it's the real thing" initiiert und in den USA gegen Coca-Cola Klage eingereicht. Insbesondere Rogers Webseite "killercoke.org" bewies, warum das Internet all den Goliaths dieser Welt das Fürchten lehren kann. Killercoke wurde plötzlich der Oberbegriff für eine Vielzahl von Vorwürfen gegen den Brausehersteller. Am Ende hatten selbst die Amerikaner "zero" Verständnis, so kündigten einige Universitäten ihre Verträge mit dem Limo-Hauptquartier in Atlanta.
Bitte, gib mir nur das Wort
Weder führerlos noch zögerlich erwies sich aber die dortige PR-Abteilung: Zunächst sicherte sich der Softdrink-Hersteller die Domain 'killercoke.com' und versuchte so, neugierig gewordene User auf die Coca-Cola-freundliche Cokefacts-Webseite umzuleiten. Ein Standardmanöver, wie uns Frank Roselieb vom Institut für Krisenforschung in Kiel bestätigt.
"Ich würde das als Issue-Management bezeichnen, indem das kritische Thema vom betroffenen Unternehmen selbst aufgegriffen und im eigenen Licht dargestellt wird. Es ist immer taktisch klug, bei solch schleichenden Krisen eine Nebenseite mit der eigenen Darstellung aufzubauen. Diese sollte nicht mit der Unternehmensseite verlinkt sein. So werden unvoreingenommene Besucher auf der eigentlichen Unternehmensseite erst gar nicht auf das kritische Thema aufmerksam gemacht. Ein Gegenbeispiel ist Shell oder auch Nestle. Hier nehmen die Unternehmen zuweilen bereits auf ihren Unternehmensseiten zu problematischen Themen Stellung. Das halte ich nicht für empfehlenswert, da Besucher vielleicht erst dann auf solche Informationen aufmerksam gemacht werden."
Gloria Victoria dank Justitia und Adwords
Zurück zu Killercoke: Nach einer offiziellen - aber nicht minder umstrittenen Untersuchung der Vorfälle durch die ILO (International Labour Organisation) - kam es Anfang Oktober zur endgültigen Abweisung der Aktivistenklage durch das Bundesbezirksgericht in Miami. Diese günstige Gelegenheit nutzte Coca-Cola dazu, die Siegesmeldung mittels Suchmarketing in die amerikanischen Haushalte zu übermitteln. Der Softdrink-Hersteller buchte den Begriff "Killercoke" bei allen gängigen Suchmaschinen als Keyword. Der User konnte so nach Eingabe des Suchbegriffs "Killercoke" eine Anzeige mit folgendem Inhalt lesen: "Gericht weist Klage gegen Coca-Cola ab, lesen sie mehr auf cokefacts.com." Eine Woche lief diese Anzeige über der auf Platz eins gelisteten killercoke.org-Seite. Es macht sich einfach gut, wenn die blinde Justitia die Vorwürfe nicht nur entkräftet, sondern diesen Triumph auf diesem Weg rankinggerecht veranschaulicht.
Bei Krise also Keyword?
ADZINE wollte daher vom Krisennavigator Frank Roselieb eine Beurteilung zu dieser Keyword-PR-Strategie erhalten. Haben die Spezialisten bei Coca-Cola das PR-Rad neu erfunden? "Überhaupt nicht, da gibt es einige Beispiele, wie das aus der Schweiz: Nachdem ein Wachmann einer Schweizer Bank behauptet hatte, es läge noch Nazigold in den Schließfächern, war die Aufregung groß. Es wurde ein flächendeckendes Thema. Seinerzeit haben mehrere Schweizer Banken Adwords dazu genutzt, um mit dem Namen des Wachmannes, aber auch negativen Begriffen wie Nazigold und Nationalsozialismus die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Gegendarstellungen im Internet zu lenken. Eine durchaus sinnvolle Strategie", meint Roselieb, soweit die eigene Unternehmensseite nicht damit belastet wird. Auch viele Energie-Versorgungsunternehmen hätten diese Taktik unlängst in Deutschland angewendet. Als Präsident Putin Russlands Nachbarn den Gashahn zudrehte und die deutsche Öffentlichkeit Preiserhöhungen befürchtete, sollen Adwords unter anderem bei den Begriffen Gas und Gaspreisen zum Einsatz gekommen sein. Die Devise heißt also: Bei Krise Keyword!
Viraler Forenfluch ist schneller als sein Schatten
Was jetzt noch als kleiner Schwelbrand löschbar ist, könnte sich schon sehr bald für IGA Worldwide als eine alles verzehrende Feuersbrunst herausstellen. Völlig ungefilterte Blog- und Forenbeiträge geistern durch die US-amerikanische Onlinespielewelt. Der Vorwurf einiger emsiger Forenkünstler: IGA Worldwide würde im neuesten Computerspielknaller "Battlefield 2142" von Dice, zu Electronic Arts gehörig, die Onlinespieler ausspionieren und private Daten sammeln. So absurd und vor allem in dieser Form falsch der Vorwurf ist, es gibt ein handfestes Problem damit: Die Behauptungen sind bereits auf deutschen Foren wie etwa winfuture-forum.de angekommen. Gepostet am gleichen Tag, an dem US-Journalisten die Nachricht weit differenzierter online publiziert hatten.
"Wir beschäftigen uns mit dem Thema Blogs und Foren bereits seit vier Jahren", sagt Rafael Rahn, General Manager bei LewisPR in München. "Sie sind einer der machtvollsten Kommunikationskanäle, die leider von vielen Unternehmen noch immer ignoriert werden. Das kann fatale Folgen haben. Viele Journalisten erhalten ihre Informationen aus Foren und Blogs. Oftmals finden sie dort erst ihre Story. Blogs und Foren sind authentisch. Hier spürt man die Befindlichkeiten der Verbraucher auf." Rahn erläutert weiter: "Das betroffene Unternehmen sollte in der Tat sich direkt in die Foren einklinken und des Volkes Stimme ernst nehmen. Blogs sind ein Frühwarnsystem und liefern bei Krisen die Möglichkeit, offensiv mit einem Problem umzugehen und Missverständnisse frühzeitig auszuräumen. Sie sind auch eine gute Chance, um mit kritischen Stimmen den Dialog zu beginnen."
Wenn die Story plötzlich im Handelsblatt steht, ist es jedenfalls zu spät
Und auf unsere Frage, wie ein Unternehmen direkt auf negative Forenbeiträge reagieren sollte, erklärt Rahn: "Ist das Kind in den Brunnen gefallen, heißt die Devise Schadensbegrenzung und offener Diskurs. Ein Unternehmen sollte in der Regel offensiv den Faden aufnehmen und glaubwürdig argumentieren." Was Offline gilt, muss also auch Online gelten. Rahn ist jedenfalls dieser Auffassung und erklärt abschließend: "Es sind dieselben Mechanismen wie in der traditionellen Krisen-PR. Die Fehler aus den 70 er Jahren mit einer 'Kein-Kommentar-Haltung' sollten sich Online nicht wiederholen. Nichts ist für ein Unternehmen unvorteilhafter als auf die Vorwürfe überhaupt nicht zu reagieren und die Öffentlichkeit zu ignorieren. Wenn die Story plötzlich im Handelsblatt steht, ist es jedenfalls zu spät"