"Web 2.0" ist der Hype im Netz. Alle sprechen drüber, alle schreiben drüber und unzählige Firmen wollen mit ihren interaktiven Netzwerken, personalisierbaren Diensten und Abladestationen für Fotos und Videos das Internet erobern. Nach der wilden Aufbruchstimmung stellt sich für viele Anbieter inzwischen die Frage nach der Finanzierung ihrer Dienste. Gleichzeitig stellt sich für Werbetreibende im Netz die Frage, inwieweit klickstarke Web-2.0-Angebote bei der Kampagnenplanung zu berücksichtigen sind.
"Flickr", "YouTube" und "MySpace", bei denen die Nutzer für die Inhalte sorgen, sind derzeit die heißesten Online-Angebote. Allein bei der Kontakt- und Entertainmentbörse "MySpace" tummeln sich derzeit nach eigenen Angaben über 90 Mio. Nutzer. Die vor allem junge Nutzerschar präsentiert sich dort auf wild blinkenden, übel aussehenden Websites, die neben vielen privaten Fotos und Videos auch Selbstbeschreibungen und viele Bildchen der persönlichen Lieblingsstars enthält. Dazu ertönt meist der aktuelle Hit der Lieblingsband. Mit wenigen Klicks lassen sich zudem Verknüpfungen zu Schulfreunden, Vereinskameraden oder Menschen mit ähnlichen Interessen herstellen. Die Bildchen all dieser Freunde erscheinen dann auf der eigenen Seite.
Interaktiv wird die eigene Seite durch ein Kommentarfeld: Die jeweiligen Freunde können die Website mit Bildern, Videos und Links zupflastern. So entsteht schnell eine gigantische digitale Müllhalde, die sich nicht viel von privaten Homepages unterscheidet, die vor wenigen Jahren bei "Geocities", "Fortunecity" oder anderen Homepage-Communities das Maß der Dinge waren. Die Unterschiede liegen im Detail: Die Netzgemeinde ist seitdem deutlich gewachsen, DSL gehört zum Standard in vielen Haushalten und viele Online-Anbieter verdienen dank steigender Werbebudgets für Web-Werbung mit ihren Angeboten inzwischen Geld. Ohne die riesige Verbreitung von Digitalkameras und Handys mit Foto- und Videofunktion wären Angebote wie "Flickr", "YouTube" und "Sevenload" gar nicht möglich. Was vielen Web-2.0-Diensten fehlt, ist ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell. Immer wieder fallen die Schlagworte: Online-Werbung, Premium-Accounts und Kooperationen. Deswegen schüttelte die ganze Welt den Kopf, als Rupert Murdoch die Online-Community "MySpace" kaufte. Stolze 580 Mio. Dollar legte Murdochs Medienkonzern News Corporation für das digitale Poesiealbum auf den Tisch. Inzwischen schlägt der Medienmogul Kapital aus seinem waghalsigen Geschäft.
Das Pfund, mit dem Murdoch wuchern kann, ist die unglaubliche Größe und die jugendliche Nutzerschar von "MySpace". Die junge Generation verschmäht klassische Medien wie Zeitungen, Radio und auch Fernsehen immer mehr. Stattdessen tummelt sich die Jugend im Netz. Nach einer britischen Studie sind die 16- bis 24-Jährigen im Durchschnitt jede Woche drei Stunden im Web unterwegs. Immer mehr Zeit geht dabei für Kontaktpflege in digitalen Netzwerken drauf. Dennoch entdeckt die Werbeindustrie die neue 2.0-Welt nur zögerlich. Zwar bekommen deutsche Nutzer bei "MySpace" auch Kampagnen von Quelle, meetic oder eventim zu Gesicht. In vielen Fällen flimmert aber lediglich Werbung, die vermutlich über Performance-Deals -sprich pro abgeschlossener Registrierung, Bestellung oder Klick -abgerechnet wird.
Sehr aktiv bei "MySpace" unterwegs sind bereits diverse Musikfirmen. Für Warner Music ist die Online-Community laut Markus Beele, Head of Online-Promotion, ein "alleine durch seine Inhalte [...] sehr, sehr musikaffines Medium". Der Web-2.0-Charakter spiele bei diesen Werbeaktivitäten keine Rolle. Aber nicht nur als Werbeplattform, sondern auch als Multiplikator ist "MySpace" für Warner Music interessant. Unzählige der Vertragskünstler wie Seeed, Beatsteaks und Timo Maas haben in der Online-Community einen eigenen Platz gefunden. Wichtig bei solchen Engagements ist wiederum die Größe der "MySpace"-Welt. Aus dieser Zahl will auch Murdoch Kapital schlagen. News Corp. bietet deswegen über "MySpace" künftig Kinofilme und TV-Serien zum Download an. Neue Streifen aus dem Hause Twentieth Century Fox sollen 19,99 Dollar kosten, einzelne TV-Episoden sind für 1,99 Dollar zu haben. Das konzerneigene Studio will mit dem Service illegale Downloads eindämmen und natürlich Geld verdienen. Selbst "Google" kommt an "MySpace" nicht mehr vorbei. Künftig ist der Suchgigant exklusiver Suchpartner der Online-Plattform. Auf jeder Seite finden Nutzer ab Herbst ein Google-Suchfenster und die bekannten Ad-Sense-Kästen. Im Gegenzug garantiert der Suchdienst Rupert Murdoch Mindesteinnahmen von 900 Mio. Dollar für die nächsten vier Jahre. Der Deal ist ein großer Schritt für "MySpace" und Google aber nur ein kleiner für die Web-2.0-Branche. Wieder einmal ist Google AdSense das Maß aller Dinge.
Auch auf den Seiten der Video-Community "YouTube" hat Google-AdSense seinen festen Platz auf jeder Seite. Das Zukunftsgeschäft der vielen Video-Abspieldienste liegt vermutlich ebenfalls wie bei "MySpace" in Kooperationen mit anderen großen Anbietern - wie Musikfirmen, TV-Sendern und Filmunternehmen. Nur so lässt sich aus der großen Nutzerschar irgendwann Kapital schlagen. Als Abspielstation für Musikvideos, Film und TV-Trailer und sogar für kurze Filme sind "YouTube" und Co. bestens geeignet. "YouTube"-Mitgründer Steve Chen hat dabei Gigantisches im Sinn: Innerhalb der kommenden sechs bis 18 Monate will er auf seiner Plattform jedes Musikvideo online stellen, das jemals produziert wurde. Finanzieren soll sich der Service über Werbeeinahmen - diese wiederum will er mit der Musikindustrie teilen.
Der US-Sender NBC hat bereits einen Promotion-Deal mit "YouTube" abgeschlossen. Trailer einzelner TV-Serien sollen künftig exklusiv bei der Video-Community laufen. Ein Geschäft, das auch Christian Vollman, Gründer der deutschen Videobörse "MyVideo", im Auge hat. Irgendwann sollen auch Fernsehserien und Filme unter www.myvideo.de als Video-on-Demand zu finden sein. Die weiteren Standbeine seiner Video-Community sind klassische Online-Werbung und Video-Werbung. Derzeit schalten bei "MyVideo" viele Unternehmen Anzeigen, die überall im Netz -meist auf Performance-Basis werben -, unter anderem Arcor, Napster, Quelle, Base und Jamba. Das Problem bei den Videoanbietern ist die Vielfalt - und die Konkurrenz wird immer größer. Mit RTL mischt inzwischen auch ein richtig großer Fisch im Video-Community-Markt mit. Ohne viel Tamtam jagte RTL Interactive im Juli die Plattform "Clipfish" ins Netz. Das Geschäftsmodell für "Clipfish" ist derzeit noch in Arbeit. Eventuell sollen die Nutzer der Video-Community ähnlich wie bei "Lulu.tv" oder "eefoof" anteilig für ihre Videowerke bezahlt werden. Dazu müssen aber erst einmal Werbegelder fließen.
Bei der Vorzeige-Foto-Community "Flickr" spielt das Anzeigengeschäft eine äußerst geringe Rolle. Im Gegensatz zu vielen Foto-Gemeinschaften verfügt der inzwischen zum Yahoo-Imperium zählende Dienst über eine stattliche Anzahl an zahlenden Premium-Kunden. Doch inzwischen laufen andere Anbieter wie der deutsche Dienst "sevenload" dem Foto-Pionier den Rang ab: Gekonnt adaptierten die Kölner das "Flickr"-Modell und schufen eine Anwendung für Foto und Videos, die "Flickr" in vielen Aspekten überlegen ist. Neben Premium-Accounts setzt "Flickr" bei der Refinanzierung vor allem auf digitale Foto-Dienste, mit denen die Nutzer ihre Schnappschüsse auf Papier oder DVDs bannen können, und Kooperationen mit Handy-Anbietern wie Nokia.
Auch beim deutschen Web-2.0-Vorzeigedienst "OpenBC" läuft ohne Premium-Account fast gar nichts. Um zu sehen, wer sich auf seiner Kontaktseite herumgetrieben hat, greifen viele der rund 1,5 Mio. registrierten Nutzer ins Portmonee. So viele Nutzer hat die Studenten-Community "studiVZ" noch lange nicht. Aber der digitale Campus wächst rasant. Anfang August waren bereits 300.000 Studenten bei "studiVZ" auf Kontaktejagd. Bei der Finanzierung setzten die Gründer Ehssan Dariani, Dennis Bemmann und Michael Brehm vorerst auf den "Verkauf von Medialeistung" - sprich Online-Werbung. Die attraktive studentische Zielgruppe ist dabei sicherlich gutes Kapital. Erst müssen aber noch mehr Nutzer her. Wie man in kurzer Zeit eine gigantische Nutzerschar aufbauen kann, zeigt "dugg.de". Mit fast zwei Millionen Mitgliedern (eigene Angaben) gehört die Freundschafts-Community zu einer Trafficgröße im deutschen Netz. Bei der Refinanzierung setzt Gründer Daniel Minini erst einmal ausschließlich auf Google AdSense.
Vorerst werden Google AdSense, Performace-Deals und Kooperationen vermutlich die wichtigste Einnahmequelle für unzählige Web-2.0-Anbieter bleiben. Durch die Größe einzelner Web-2.0-Dienste kann auch auf diesem Weg eine stattliche Summe zusammenkommen. Zumal die Werbeanzeigen meist sehr gut zum Inhalt der jeweiligen Seite passen.
Aus Werber- und Planersicht sind 2.0-Webangebote auch nur Internetseiten und werden genauso sachlich für den Werbeeinsatz geprüft und getestet wie die Branche es mit anderen Online-Werbeträgern praktiziert hat. Der Hype kann Werbetreibende zunächst mal kalt lassen. Eine Entwicklung ist jedoch nicht zu ignorieren, denn je mehr Zeit die Bevölkerung in ihrer Freizeit bei Netzwerken im Web verbringt, desto weniger Zeit bleibt für andere Medien. Das wird sich mittel- bis langfristig drastisch auf die Verteilung der Budgets in den jeweiligen Medien auswirken.
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