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CATCH 22 - Unglaubliches im Domainrecht

Martin Schirmbacher, 29. Mai 2006

Obgleich Streitigkeiten um Internet-Domains die Gerichte seit 1996 beschäftigen, gibt es noch immer überraschende Entscheidungen. Ein kaum glaubliches Urteil hat das Oberlandesgericht Nürnberg gefällt. Danach soll die so genannte Catch-All-Funktion bei Internet-Domains eine Namensverletzung darstellen und unter Umständen ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht sein.

Worum ging es? Der Beklagte betrieb unter der Domain: suess.de ein Erotikportal. Der Kläger, ein Herr Süß, nennen wir ihn Andreas Süß, bekam nun heraus, dass die Eingabe: http://andreas.suess.de auf eben jenes Erotikportal auf www.suess.de führte. Dies wurde dadurch verursacht, dass die so genannte Catch-All-Funktion eingestellt war, wonach die Eingabe jedweder auch nicht gesondert angelegter Third-Level-Domains auf die Startseite des Internetangebotes führt. Die Umleitung wurde also nicht nur bei Eingabe des Vornamens des Klägers vorgenommen, sondern bei jeder beliebigen Eingabe einer Third-Level-Domain. Auch berlin.suess.de und sauer.suess.de oder auch sxerfgvl.suess.de führten zu dem Erotikportal.

Dies zeigt die Absurdität des Falles. Dem Inhaber der Domain "suess.de" ging es in keiner Weise um den Kläger. Er kannte diesen vermutlich nicht einmal. Vielmehr war die Catch-All-Funktion eingestellt, so dass jede Eingabe einer Third-Level-Domain auf das Erotikportal umgeleitet wurde. Das OLG Nürnberg (Urteil vom 12.04.2006, Az. 4 U 1790/05) sah darin eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, weil der Kläger auf diese Weise mit dem Erotikportal in Verbindung gebracht worden sei.

Jeder, der für seine Domain eine solche Catch-All-Funktion bewusst oder unbewusst eingerichtet hat, muss in Zukunft damit rechnen, von beliebigen Namensinhabern vor dem Landgericht Nürnberg auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. Wer Feinde hat - und wer hat die nicht - sollte seine Seiten also einmal in dieser Hinsicht testen.

Die Brisanz des Falles liegt aber auch in den weiteren Konsequenzen. Es bedarf keiner besonderen Phantasie, dass die Nürnberger Gerichte für die Verwendung von Markennamen ebenso entscheiden würden. So hätte etwa auch die FIFA auf die Idee kommen können, die Catch-All-Funktion für die Eingabe der Domain "fifa.suess.de" vor dem OLG Nürnberg verbieten zu lassen. Eine sinnvolle Funktion wird auf diese Weise ad absurdum geführt.

Auf die Spitze getrieben wäre die Rechtsprechung, aber auch auf Fälle anwendbar, in denen die Catch-All-Funktion auch für Subdomains eingestellt ist. Also auch Umleitungen von www.suess.de\andreas oder www.suess.de\fifa auf www.suess.de könnten danach angegriffen werden.

Noch beliebter ist das Catch-All bei E-Mail-Adressen: Soll Herr Süß die automatische Umleitung von andreas@suess.de auf webmaster@suess.de verhindern können?

Wohl kaum. Die Entscheidung, die in anderen Teilen gut begründet ist, kann so nicht richtig sein. Zu hoffen ist, dass sich diese seltsame Rechtsprechung nicht durchsetzen wird. Obacht ist dennoch geboten. Dies gilt vor allem für Provider, die die Catch-All-Funktion für ihre Kunden voreingestellt haben. Wird ein Kunde nämlich kostenpflichtig auf Unterlassung in Anspruch genommen, mag dieser auf die Idee kommen, sich die Kosten bei dem Provider zurückzuholen.

Über den Autor/die Autorin:

Dr. Martin Schirmbacher ist Fachanwalt für IT-Recht bei Härting Rechtsanwälte in Berlin. 2010 erschien sein Praktikerhandbuch "Online Marketing und Recht".

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