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AOL öffnet die Besuchertore

Jens von Rauchhaupt, 15. Dezember 2005

Totgesagte leben länger: Mit dem Preiskampf um DSL-Anschlüsse begann beim einstigen Schmalbandexperten AOL vor einigen Jahren die Krise. Noch im Mai meinte die Financial Times Deutschland gar zu wissen, dass Time Warner einen Verkauf von AOL plane. Nur kurze Zeit später erkannte die Führungsriege in New York, dass AOL keinesfalls ein Fall für die Geschichtsbücher sei. Mit der Forcierung des Unterhaltungssegments und der Bereitstellung digitaler Dienste auch für Fremdkunden bläst AOL zum Angriff.

Herzlichen Glückwunsch AOL Deutschland! Passend zum 10-jährigen Jubiläum erscheint das Internetportal von AOL hierzulande mit neuem Logo und Seitendesign. Im Gegensatz zum Facelifting von T-Online (ADZINE berichtete) handelt es sich aber dabei eher um die grafische Umsetzung des beginnenden Strategiewechsels, der eigentlich in New York seinen Anfang hat. Nach der Vorstellung des Mutterkonzerns soll AOL wieder eine Geldmaschine werden. Auch in Deutschland.

Werbevermarktung auf dem Prüfstand

Dick Parsons, CEO von Time Warner, meint, bereits einen Schalthebel bei AOL lokalisiert zu haben: "AOL braucht eine verbesserte Vermarktungstechnologie für die Werbeschaltung" sagte er dem Dow Jones Newswires. Anders ausgedrückt: AOL soll mehr Geld mit Werbung verdienen. Dabei schaut Parsons wohl etwas neidvoll zu seinem derzeitigen Kooperationspartner Google, der scheinbar spielend allein mit Text-Werbung hohe Umsätze einfährt und dazu noch im letzten Jahr 300 Millionen Dollar von AOL kassiert hat.

So scheut sich CEO Parsons nicht davor, öffentlich die Zusammenarbeit mit Google in Frage zu stellen: "Ohne Kooperationen wird es für AOL zu langwierig, den Traffic zu erhöhen, eine Partnerschaft mit Microsoft ist daher durchaus vorstellbar." Daraus las das Wall Street Journal gar eine endgültige Absage an Google. Doch die Entscheidung dazu steht in New York noch aus.

Eine Kooperation mit AOL wäre zum jetzigen Zeitpunkt für Microsoft äußerst wichtig. Schließlich plant MSN mit seiner neuen Suchmaschine und dem Adcenter einen Großangriff auf Google. Dazu benötigen die Redmonder einen großen Namen in der Branche. AOL käme da gerade recht.

Dreigleisige Wachstumsstrategie

In Europa macht sich AOL derweil auf, die Ansage des Mutterkonzerns in die Tat umzusetzen. Um mehr Besucher auf die europäischen AOL-Seiten zu lotsen, wird nun eine dreigleisige Strategie gefahren. Dabei soll der Internetauftritt europaweit ein nahezu einheitliches Erscheinungsbild erhalten. Bei den AOL-Seiten in Deutschland und Großbritannien ist dies schon sichtbar.

Mit 2,8 Millionen Kunden (davon 1,1 Millionen DSL-Kunden) und 8,34 Millionen Besuchern im Monat spielt AOL Deutschland zusammen mit seinen weiteren Internetdiensten zweifelsfrei noch immer in der ersten Liga des Portalgeschäfts. In Hamburg, Paris, London und den anderen AOL-Niederlassungen will man nun das reine Providerimage à la Boris Beckers "Ich bin drin" verlassen und mehr Seitenbesucher für sich gewinnen.

"Das Access-Geschäftsfeld ist nur eine der drei Säulen mit dem wir nun deutlich wachsen wollen. Mit unseren neuen digitalen Diensten und einer verbesserten Vermarktung unserer Werbeflächen wird AOL eine europaweite Wachstumsstrategie fahren", bestätigte Vice President Matthias Quadflieg zuständig für Marketing und Sales gegenüber ADZINE.

Zwar spielt man nun das eigene Providerimage etwas herunter, dennoch baut AOL Deutschland hinter den Kulissen das DSL-Angebot kräftig aus. So ist AOL der erste überregionale Anbieter, der in zehn deutschen Städten einen DSL-Anschluss mit 16 MBit/s zur Verfügung stellt.

Wie AOL den Traffic erhöhen will

Kommunikation und Unterhaltung sind seit zehn Jahren die Steckenpferde von AOL Deutschland. Hier will AOL seine alten Stärken neu ausspielen. Im Detail bietet AOL Deutschland nun auch dem Internetnutzer, der keinen AOL Zugang besitzt, verschiedenste digitale Dienste an. Musikdownloads, Handy-Klingeltöne und AOL-Phone sollen jedem zahlungswilligen Nutzer offen stehen und zusammen mit dem kostenfreien AIM-Messenger und dem neu geschaffenen Fotocenter für mehr Verkehr auf aol.de sorgen.

Die Nutzung von Internetradio, SMS und E-Mail Dienst bleibt vorerst nur dem AOL-Kunden vorbehalten. So soll auch ein DSL-Einstieg mit AOL schmackhaft bleiben.

Das Neudesign macht deutlich, dass AOL insbesondere auf Unterhaltung setzt. Hier versuchen die Hamburger nun mit eigenen Musik- und Videoproduktionen, den so genannten AOL Sessions, beim jungen Zielpublikum für Furore zu sorgen: "Für diesen neuen Onlinedienst haben wir eigens ein Studio in Hamburg eingerichtet, um Musikstücke und Videos mit bekannten Stars wie zum Beispiel Robbie Williams oder Yvonne Catterfeld einzuspielen. Teile dieser Aufnahmen stellen wir dann als Musikdownload jedem Internetnutzer als Bezahldienst zur Verfügung" erläutert Matthias Quadflieg.

Auch der Videobereich ist überarbeitet. Filmtrailer und Musikvideos haben die Hamburger deutlich aufgewertet. Ein großes Computerspielangebot und ein Ticketservice vom Bremer Kooperationspartner Eventim rundet das breite Unterhaltungsangebot ab.

Besonders zufrieden gibt sich AOL Deutschland mit der Internettelefonie. Dort habe man das Jahresziel deutlich erreicht. Genaue Zahlen wollte man jedoch nicht nennen. Auch dieser Dienst ist nunmehr nicht zwangsläufig von einer Vertragsanbindung mit AOL als Internetprovider abhängig. Vielmehr können auch Fremdkunden AOL-Phone als Bezahldienst in Anspruch nehmen.

Ambitionierte Ziele in der Werbevermarktung

Von der Akzeptanz dieser digitalen Dienste wird bei AOL Deutschland einiges abhängen. Denn von mehr Besuchern und damit einer höheren Reichweite als Verkaufsargument erwartet man sich ein kräftiges Umsatzwachstum. Aol.de hat laut AGOF-Studie derzeit etwa eine Reichweite von 3,66 Millionen Besuchern.

Mit dem bisherigen Weihnachtsgeschäft sind die Hamburger äußerst zufrieden, gestehen aber ein, nicht zu 100 Prozent ausgebucht zu sein. "Im Moment haben wir eine Vorlaufzeit von 3 Tagen, um neue Kampagnen zu schalten. Für das nächste Jahr peilen wir aber mit Hilfe unserer digitalen Dienste ein doppeltes Wachstum als der Markt an", erläutert Torsten Ahlers Vice President, Interactive Marketing auf Nachfrage von ADZINE.

Seitenkritik

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Effizienz der Werbeausgaben in den Händen der Entscheider(innen). Schwere Füllfarben haben bei AOL Deutschland ausgedient. Die Hamburger setzen auf Übersichtlichkeit und Transparenz. Manchmal ist es eben besser, das Rad nicht neu erfinden zu wollen.

Besonders effektiv erscheint das halbrechte Werbebanner, dass auf der Startseite das Auge des Nutzers einfängt, wenn dieser dorthin zurücknavigiert. Lobenswert ist auch, dass AOL offenbar auf Pop Up Werbung und ähnliche Werbeeffekte verzichtet. Die wichtigsten Internetdienste sind mit Hilfe kleiner Symbole im oberen Seitenbereich gut platziert. Innerhalb des gesamten Internetauftritts gelingt dem Anwender eine einfache Navigation. Das fördert den Willen, mehrere Seiten bei AOL aufzurufen, wo allein stehende Werbebanner - sofern vorhanden - Aufmerksamkeit erregen.

Grundsätzlich ist hinter dem Design der gut gemeinte Versuch zu erkennen, den Nutzer vor einem Informationsgau zu bewahren. Fast schon zwangsläufig gelingt dies gerade dort nicht, wo AOL inhaltlich am meisten zu bieten hat. Also im Musik- und Videobereich sowie auf der Startseite. Dort wechselt die Spaltenzahl, was Unruhe stiftet. Die richtige Mischung von Inhalt und Usability bleibt also wie bei anderen großen Providerseiten ein kritischer Aspekt.

Völlig unverständlich ist die fehlende Werbenutzung des E-Mail Fensters und dessen Log Out. Hier hätte man beim großen Bruder in den USA oder bei Yahoo Deutschland über die Schulter schauen sollen. Insgesamt hat sich aber AOL Deutschland - wie der HSV - eine gelungene Verpackung zugelegt. Nun müssen nur noch die digitalen Dienste punkten.

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