Welcher aufmerksame Zuschauer erinnert sich nicht an die im zweiten Irakkrieg „eingebetteten“ CNN-Journalisten. Zugegeben, zu sehen bekamen wir auf dem verstaubten Weg nach Bagdad kaum etwas. Informativ war es erst recht nicht. Aber jede Menge Atmosphäre und das Gefühl mittendrin zu sein, vermittelte diese Art der einseitigen Kriegsberichterstattung. Mittendrin ist auch der Computerspieler in seiner virtuellen Welt. Und um dessen Kaufkraft soll es demnächst gehen, wenn man den us-amerikanischen Marketingstrategen Glauben schenkt. Das Zauberwort heißt „In-Game-Advertising“, zu Deutsch: digitale Werbung in Computerspielen.
Man kann über die US-Amerikaner denken was man will. Aber in Punkto innovativer Marketingideen macht ihnen keiner so leicht etwas vor. Bereits Anfang letzten Jahres gründete Young & Rubicam den Firmenableger Bouncing Interactive Gaming, kurz B.I.G, welcher sich mit der Erschließung neuer Werberäume in Computerspielen beschäftigen sollte. Auf den gleichen Zug sprang sodann unter anderem der Medienriese Viacom und Nielsen Interactive Entertainment auf.
Attraktiver Werbemarkt
Nicht etwa der Hang zum Infantilen, sondern nackte Zahlen waren der Auslöser für diese strategische Entscheidung. Zahlen, die höchstwahrscheinlich auch den hiesigen Marketingabteilungen großer Unternehmen bekannt sein dürften:
Im Jahr 2004 setze die Computerspielindustrie weltweit - je nach Quelle - zwischen 14 und 20 Milliarden Dollar um. Ende dieses Jahres soll laut Jupiter Research gar die 30 Milliarden Dollar Marke geknackt sein. Doch wer glaubt, die Spitze der Wachstumsfahnenstange sei damit erreicht, irrt gewaltig. Zu Weihnachten wird mit Microsofts X-Box 360 und der im folgenden WM-Jahr 2006 erscheinenden Sony Playstation 3 eine neue Generation von Spielkonsolen den Videospielmarkt bereichern.
Versehen mit LAN für das Internet, DVD Player, Dolby-Surround-Sound, Festplatte und einer noch nie da gewesenen Grafikleistung im Konsolensegment sind diese Geräte nicht nur eine perfekte Kreuzung der Video-, Computerspiel- und Internetbereiche, sondern schon jetzt Garanten für zukünftiges Wachstum, an dem deutsche Unternehmen unmittelbar wohl kaum profitieren dürften.
Damit läuft die Spielbranche dem Umsatz betreffend der traditionellen Film- und Fernsehindustrie nicht nur den Rang ab, sondern macht auch dem letzten Siebenschläfer deutlich, dass man mit Computerspielen Werbeinhalte auch in teutonische Wohnzimmer zielgerichtet transportieren kann. Denn der Hort der neuen Spielkonsolen ist keineswegs auf das Spielzimmer des Filius beschränkt. Ganz im Gegenteil, wie TNS-Emnid zu berichten weiß. Die C-64 Generation ist erwachsen geworden, ohne dabei ihre Gewohnheiten zu ändern. Allein in Deutschland sind 38 Prozent aller Videospieler älter als 35. Auch der Anteil der Frauen, die zum Steuerknüppel greifen, wächst stetig. Nach einer Erhebung von AOL Games study und Meldungen bei Forbes sollen in den USA schon bald 43 Prozent der Videospieler weiblich sein. In Deutschland wird ihr Anteil derzeit noch auf stiefmütterliche 17 Prozent geschätzt.
Die ersten Schritte
Doch vor der rosigen Zukunft des „In-Game-Advertising“ liegt der steinige Weg der Umsetzung. “Es ist schwierig einen Konsens zwischen den unterschiedlichen Interessen von Spielern, Softwarepublishern, den Werbeagenturen und ihren Kunden herzustellen“, so Sam Huxley, Chefstratege von B.I.G im Sommer 2004. Und auch Michael Downling von Nielsen Interactive Entertainment blies anlässlich des New Yoker „Games Forum“ im April 2005 noch in ein ähnliches Horn: „Es fehlt einfach an einem einheitlichen Standard, wie man die Werbung implementiert. Die Computerspielindustrie ist für die Agenturen eine Inselwelt, von der sie einfach nichts versteht.“
Nunmehr haben sich einige Softwarepublisher selbst von ihrer Wissensinsel aufgemacht und ihre Steuermänner halten klaren Kurs Richtung Werbung und Profit. Um den Werbekunden einen Standard offerieren zu können, versammelte sich eine Armada namhafter Spieleschmieden - darunter Ubisoft, Codmasters, Eidos, Jowood und neuerdings auch Sony Entertainment - unter einer Fahne: Die Massive Incorporated. Dieser Schritt der Softwareindustrie leuchtet ein, schließlich sollte sie mit ihrer langjährigen Erfahrung am Markt das bessere Gespür dafür haben, wie viel Werbung dem Videospieler zuzumuten ist.
Die Zukunft hat bereits begonnen
Einen Vorgeschmack davon, was „In-Game-Advertising“ insbesondere den Onlinespielern mit Breitbandanschluss zumuten wird, zeigt bereits die US-Version des Spieltitels „Swat 4“. Auf ihrer Homepage www.nationalcheeseemporium.org rügen die PC-Spieler Andrew Smith und Peter Wood, dass sie 50 Dollar für dieses Computerspiel hingeblättert haben, wenn es inzwischen werbefinanziert ist. Aber nicht nur das. Die findigen Zocker deckten auch auf, wie effizient bereits die erste Generation von „In-Game-Advertising“ bei Massive Inc. funktioniert und welch unglaubliches Potenzial in diesem Vermarktungssystem steckt:
Bei Start nimmt das Onlinespiel unbemerkt Kontakt mit einem Server von Massive Inc. auf. Nach Abgleich der Daten wird die Größe, die Anzahl und die beste Platzierung der Werbebanner im Spiel berechnet und besonders wichtig: Es werden Zeitstempel gesetzt. Mit ihrer Hilfe erhält der Massive-Server nicht nur die Information, wie lange der Onlinespieler insgesamt das Spiel im Internet nutzt, sondern auch an welcher Stelle, in welchem Winkel und sogar mit welchem Abstand er vor einem geschalteten Werbebanner verweilt. Schwierige Spielebenen werden wohl zukünftig die wertvollsten Werbeflächen besitzen. Aber die Zukunft verspricht noch mehr: Vollständige Audio- und Videoapplikationen will Massive Inc. in Echtzeit implementieren, um so noch effektvoller die Werbekunden und ihre Produkte „ins Spiel“ zu bringen.
Dennoch ist auch Skepsis angebracht. Schließlich steht ein Beweis für die Nachhaltigkeit dieser Werbeform noch aus. Zudem wird diese neue Dimension der digitalen Werbung zwangsläufig die Datenschützer auf den Plan rufen. Man kann gespannt sein, ob auch der europäische Onlinespieler gewillt ist, einen Teil seiner Privatsphäre für den Spielenthusiasmus einzubüßen. Ein weitaus niedrigerer Kaufpreis des durch „In-Game-Advertising“ gesponserten Computerspiels könnte dabei selbst den kritischsten Nutzer überzeugen.
Unabhängig davon, wie das künftige „In-Game-Advertising“ tatsächlich aussieht, es wird in der einen oder anderen Form auch hier zu Lande seinen Platz auf Millionen von Bildschirmen finden. Die heimische Industrie und ihre Agenturen sollten sich frühzeitig mir dieser neuen Werbeform auseinandersetzen, damit sie mittendrin statt nur dabei sind.
Weitere Informationen über In Game Advertising:
Wer es bereits anbietet: http://www.massiveincorporated.com
Wie es funktioniert: http://www.nationalcheeseemporium.org
„In Game Advertising“ ist zu unterscheiden von „Advergaming“. Bei Advergaming“ handelt es sich um Computerspiele, die entwickelt und kostenlos vertrieben werden, um neue Produkte zu promoten.
Beispiel: BMW North America: X3 Adventure
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