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Onlineeinsatz für die Kulturhauptstadt 2010

Sandra Goetz, 27. Mai 2010

Die Vorbehalte gegenüber Internet, sozialen Netzwerken und Social-Media-Marketing scheinen im Kulturbereich noch immer recht hoch zu sein. Adzine fragte sich, wie derzeit die Onlinevermarktung der Kulturhauptstadt RUHR.2010 vorangetrieben wird.

Oh, wie schön ist Bochum, Duisburg, Essen, …

Die Oldies in der digitalen Wirtschaft können sich noch an die Zeit erinnern: Als eine Platte namens „4630 Bochum“ die Charts stürmte und mit Songs wie „Männer“, „Flugzeuge im Bauch“ oder auch dem Titeltrack „Bochum“ nicht allein im Radio rauf und runter gespielt wurde, sondern ebenso auf keiner Party fehlen durfte. Grönemeyer gibt es noch, Bochum sowieso. Dennoch hat sich vieles in der ehemaligen Bergbaustadt geändert. Sie ist heute nämlich Kulturhauptstadt Europas – mit 52 weiteren in der Ruhrmetropolregion.

Die Hauptkrone ziert allerdings die Stadt Essen, welche stellvertretend für das Ruhrgebiet vor vier Jahren von der EU den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ verliehen bekommen hat. Mit einem überzeugenden Konzept unter dem Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“. Und in diesem Sog sind alle dabei. Schließlich geht es um mehr als um einen Imagewandel, es geht auch um eine neue wirtschaftliche Zukunft. Dass hierbei der Kunst und Kultur eine besondere Rolle zukommt, mag auf den ersten Blick überraschen, auf den zweiten wird jedoch verständlich, dass es sich um ein Konzept der Modernisierung handelt, es sich um ein „Sich-neu-erfinden“ dreht, welches für andere alte Industrieregionen mit ähnlich gravierendem Strukturwandel Vorbildcharakter haben soll.

Und zu so einem Vorbildcharakter zählt sowohl der Umgang mit digitalen Medien als auch die Tools Social-Media-Marketing und Social Networks. Damit haben die 53 Städte eine große Aufgabe bekommen. Denn jede Stadt hat im Rahmen der Kulturhauptstadt eigene Internetauftritte, die gleichsam mit dem Hauptauftritt Ruhr 2010,  verbunden sind. Aber es geht dabei natürlich um noch viel mehr als um eine einfache Vernetzung. Die Leute sollen kommen: Touristen, Sponsoren, Dienstleister, Kulturschaffende, neue Industrien. Sie sollen die Ruhrmetropole mit fünf Millionen Menschen von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Jenseits des alten Klischees Zeche, Kumpel, Stauderbier. Auch hat der Pott noch viel mehr zu bieten als die Größen RWE, ThyssenKrupp, Tengelmann, Aldi, Metro und Pleitegeier KarstadtQuelle. Die Ruhrmetropole ist offen für Neues: „Hier wird neue Energie gefördert: Sie heißt Kultur“, verspricht die Internetwerbung.

Projekt „Du360“, Christoph Müller-Girod

Christoph Müller-Girod arbeitet als Content Strategist und Produzent für die Kulturhauptstadt Duisburg für das Projekt „Du360“. Bereits 2008 setzte er Social-Media-Marketingmaßnahmen für den Kunden Duisburger Philharmonie ein. „Mit ‚Philharmonie 2.0‘ wollten wir neue und jüngere Zielgruppen erreichen. Die Duisburger Philharmonie zählt weltweit zwar zu den Tophäusern, nur leider ist die Stadt selber keine Erste-Wahl-Destination“, sagt Müller-Girod. Ein großer Vorteil von der Arbeit im Netz ist dabei, dass „man Vorurteile aushebeln oder auch anders begegnen kann. Wir haben angefangen, das interessierte Publikum im Netz zu versorgen, waren, noch vor den Berliner Philharmonikern, die ersten in der Republik, die auf Twitter, Facebook und YouTube gesetzt haben. Innerhalb von 24 Monaten hatten wir darüber hinaus 200.000 Abrufe von unseren Inhalten, die wir in einem extra kreierten Weblog ‚Dacapo‘ täglich bereitgestellt haben. Die Marketingstrategie, welche in Zusammenarbeit mit der Intendanz entwickelt und umgesetzt wurde, ist voll aufgegangen“, freut sich Müller-Girod. Es wurden Neukunden gewonnen und die Auslastung der Philharmonie stieg aufgrund des Social-Media-Marketings um knapp zehn Prozent.

Dieses Beispiel zeigt, dass in Zeiten der „medialen Diversifizierung die gezielte Ansprache den bisher passiven Konsumenten zum aktiven Konzertbesucher machen kann. Es unterstreicht damit, dass neue Generationen das Internet über den informativen Wert hinaus zur Interaktion und Partizipation nutzen“, so Christoph Müller-Gerard, der mit dieser Erfolgsgeschichte die Stadt Duisburg auf sich aufmerksam gemacht hat. Und er ist sich sicher: „Duisburg ist in der Ruhrmetropole die Hauptstadt des digitalen Kommunikationsmarketings.“

Knapp 20.000 Menschen mögen die Ruhr.2010

Es gibt auch genügend zu tun: Insgesamt 5.000 Veranstaltungen mit 300 Großprojekten zählt die RUHR.2010. Veranstaltungen, die alle getwittert, gefacebooked, gemayspaced und ausgewählt im Internet-TV inklusive YouTube gesehen werden wollen. Die mediale Schaltzentrale sitzt hierfür selbstverständlich in Essen. Unter der Leitung von Pressemann Marc Oliver Hänig arbeiten 15 Mitarbeiter in der Abteilung Presse und Internet. „Mir war es wichtig, die Abteilung genauso zu nennen, damit auch diejenigen, die Berührungsängste mit dem Internet haben, diese verlieren“, so Hänig. Und die Vorbehalte gegenüber Internet, sozialen Netzwerken und Social-Media-Marketing sind vor allem im Kulturbereich noch extrem hoch. Es kann hierbei nicht verwundern, dass bezüglich Werbung vor allem auf Klassik gesetzt wird und mit der Hamburger Werbeagentur KNSK auch eine ausgewiesen hochdekorierte Agentur den Zuschlag in der EU-weiten Ausschreibung erhalten hat. Die Entwicklung eines einheitlichen Erscheinungsbildes für RUHR.2010, Gestaltungsrichtlinien für Städte und Projektpartner, die Neugestaltung des Internetauftritts und die Konzeption einer Kommunikationskampagne waren unter anderem die zu bewältigenden Aufgaben. Im Beiboot von KNSK sitzt die Internetagentur gelee royale medien GmbH und die Media Agentur GFMO OMD mbH.

Claudia Wagner, Leiterin Internet Projekt RUHR.2010

Während der Etat für das klassische Marketing im Millionen-Euro-Bereich angesiedelt ist, muss die Internetkommunikation mit einem „niedrigen sechsstelligen Eurobetrag“ auskommen. – Übers Jahr. Trotz eines überschaubaren Budgets arbeitet die Abteilung in Essen mit Vollpower und erfolgreich. „Wir haben knapp 20 000 Fans auf Facebook, das hat bislang noch niemand im Kulturbereich geschafft“, sagt Claudia Wagner, Leiterin Internet. Wie sensibel die gekonnte Verbindung zwischen dem Hochbetrieb Kultur, Kunst, digitaler Welt inklusive Social Media ist, weiß auch Claudia Wagner aus eigener Erfahrung. Die doppelstudierte Bibliothekarin und Historikerin hat viele Jahre im Museumsbetrieb gearbeitet, unter anderem auch für das Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, bis sie für das Projekt RUHR.2010 vor drei Jahren verpflichtet wurde. Wie erfolgreich die kulturelle Vermarktung der Kulturhauptstadt RUHR.2010 sein wird, weiß man letzten Endes aber erst, wenn die Veranstaltung vorbei ist.

Dabei sind auch Vergleichsmöglichkeiten mit z. B. Istanbul und dem ungarischen Pécs, die weiteren Kulturhauptstädte, schwierig, da es sich im Gegensatz zu den Vergleichsstädten um eine Metropolregion dreht – und die 53 Städte im möglichen Rahmen jeweils ihr eigenes Süppchen kochen. Um in den Genuss des kulturellen Zaubers zu kommen, reicht ein Wochenendbesuch leider nicht aus. Das ist gut auf der einen Seite, aber auch ein wenig hinderlich auf der anderen. Es gilt somit, sich im Netz schlau zu machen und gute Vorauswahlen zu treffen. Im September findet, beispielsweise, die stART.10,  statt. Inhaltliche Schwerpunkte für das Kulturmanagement sind das Mobile Web sowie Geschäftsmodelle im Web 2.0 für Kunst und Kultur. Hier werden Fragestellungen à la „Verbindet das Mobile Web zukünftig die oft lokal verankerten Kultureinrichtungen mit der weiten Welt?“ oder auch „Lohnt sich der Einsatz von Social Media? – Anhand welcher Kennzahlen und Größen kann der Erfolg gemessen werden“ diskutiert. Bei der Fülle von digitalen Umtriebigkeiten im professionellen bis semiprofessionellen Bereich werden im September sicherlich erste Ergebnisse auf der Konferenz zu erwarten sein. Die Konferenz findet in Duisburg statt.

Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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