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Folgenloser Donnerschlag im deutschen AD-Netzwerk

Michael Röhrs-Sperber, 22. Januar 2010

AOL macht Schluss mit Deutschland. Wie ein gut gemachter Aprilscherz ließ diese Meldung Anfang des Jahres die Media-Branche aufhorchen. Alles wird eingestampft. Alle müssen gehen. Beim eigenen aufwendigen Portalgeschäft mit aol.de mag das noch am ehesten zu verstehen sein, aber in der Verbindung mit den externen Vermarktungsaktivitäten schafft es AOL immerhin auf Platz 5 des AGOF-Vermarkterrankings.

Obwohl ein gutes AGOF-Ranking kein Erfolgsgarant ist, löst das aus den USA diktierte Ende trotzdem bei vielen Kopfschütteln und bei Adzine Fragen aus. Diese haben wir Publishern von AOL Advertising und auch Mitbewerbern gestellt.

Daniel Haidns, StayFriends.de

„Das bedauerliche Ende von AOL Advertising kam auch für uns unerwartet“, war deshalb auch Daniel Haidns, Public Relations Manager bei StayFriends.de, erste Reaktion auf unsere Frage, ob sie von der Schließung überrascht wurden. Das Gleiche war von Carsten Nillies, Pressesprecher von Hansenet, zu vernehmen: „Das war schon ein Überraschung. Wir bedauern die Entscheidung sehr, dass AOL die deutschen Büros schließt.“ Gleiches war vom Sportvermarkter SPORTFIVE zu hören. Philipp Wessel, SPORTFIVE Senior Director New Media, sagte uns: „Ja, die Entscheidung hat uns überrascht. Dass es Umstrukturierungen geben wird, wussten die Mitarbeiter von AOL, mit der Schließung des gesamten Unternehmens hat vermutlich niemand gerechnet.“

Weiter bis alle Verträge auslaufen – oder?

Trotz der Ankündigung auch AOL Advertising zu schließen, läuft das daily business bei unseren Interviewpartnern gut. So konnte Haidn vermelden, dass „wir nach wie vor eng mit AOL zusammenarbeiten. Die Vermarktung von StayFriends durch AOL läuft vorerst ganz regulär weiter. Im Augenblick arbeiten wir beispielsweise an einer Social-Media-Kampagne für einen großen Lebensmittelkonzern.“ Auch Hansenet scheint am alten Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ festhalten zu wollen: „Der Vertrag muss aber weiter erfüllt werden. Die Leistungen sollen so bleiben.“

Das Gleiche war von Wessel zu hören. „Die Zusammenarbeit mit AOL Advertising läuft sehr gut. Der Key Accounter von AOL ist immer sehr bemüht, er ist uns sogar dabei behilflich, einen neuen Vermarkter zu finden. Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin Buchungen über AOL Advertising erhalten werden.“ SPORTFIVE scheint aber schon auf der Suche nach einem neuen Vermarkter zu sein: „AOL wird den Vertrag kündigen, aber ihn auch bis zum Ende erfüllen. Derzeit prüfen wir zudem alle Alternativen und werden uns für die beste Option entscheiden.“ Auf die direkte Frage von Adzine, ob sich SPORTFIVE schon umsieht, sagte Wessel: „Ja, wir führen bereits Gespräche.“

Philipp Wessel, SPORTFIVE

Mit einem kürzeren Wechselhorizont scheint StayFriends zu arbeiten. „Für das erste Quartal ist die Vermarktung durch AOL Advertising gesichert; durch unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit AOL können wir einen reibungslosen Übergang zu einem neuen Vermarkter in Aussicht stellen.“ Bei der Fragen, ob sie aktiv suchen, wurde Haidn dann konkreter: „Wir führen konkrete Gespräche mit mehreren Vermarktern, eine definitive Entscheidung für einen Vermarkter ist noch nicht gefallen. Uns ist wichtig, einen Vermarkter zu finden, der Kapital aus unserer Reichweite in einem Alterssegment schlagen kann, dass Sie so mit keinem anderen sozialen Netzwerk erreichen.“ Einzig Hansenet geht die Situation noch sehr gelassen an: „Wir sind nicht aktiv auf der Suche“, konnte Nillies uns sagen.

Arndt Groth, Adconion

Wettbewerber und Insider

Der Wettbewerb wurde von der Entscheidung ebenfalls unvorbereitet getroffen. So antwortete Arndt Groth, President Europe der Adconion Media Group, auf unsere Frage, ob sie überrascht wurden: „Absolut. Nach den Einsparankündigungen von Tim Armstrong vor dem Börsengang bin ich europaweit von einer starken Entlassungswelle ausgegangen. Mit einer Schließung der deutschen Niederlassung habe ich aber überhaupt nicht gerechnet.“

Harald R. Fortmann, Geschäftsführender Gesellschafter Yellow Tomato und Ex-Geschäftsführer von Advertising.com und Platform-A in Deutschland, holte sogar noch etwas weiter aus: „AOL: Alles Ohne Logik. So schon seit Langem der interne Name des Internetpioniers, der sich am 10. Jahrestag des AOL/TimeWarner Mergers aus Europa verabschiedet. Nicht überraschend, bereits Ende letzten Jahres gab es die Abkehr vom sinnigen Platform-A-Konzept mit starkem Fokus auf Performance zurück zur schönen Brandingwelt von AOL, und seitdem kannten die Verkaufszahlen nur eine Richtung. Nun also das Aus: Traurig für die vielfach langjährigen Mitarbeiter, die durch dick und dünn gegangen sind – aber nicht traurig um ein Portal, was schon seit Langem keine Bedeutung mehr hat. Die digitale Branche ist stark, es ist die Chance, gute Mitarbeiter aufzunehmen!“

Harald R. Fortmann, Yellow Tomato

Zu der Sinnhaftigkeit der Schließung ergänzt Fortmann: „Die Schließung insgesamt birgt keine Logik. Deutschland ist einer der größten globalen Internetmärkte und die AOL-Marke ist insbesondere in Deutschland extrem stark. Die Abkehr vom Platform-A-Konzept war aus meiner Sicht ein Fehler, aber nach dem Kahlschlag in diesem Bereich wäre eine alleinige Erhaltung des Advertising.com Bereiches nicht mehr möglich.“

Wir fragten auch Groth, ob er die Entscheidung des US-Managements nachvollziehen könne. „Es fehlen die Hintergründe, eine genaue Erklärung, um die Entscheidung nachvollziehen zu können. Ein Punkt ist sicher die Konzentration auf die neue Unternehmensstrategie. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob AOL Deutschland in der Lage gewesen wäre, in einem anziehenden Marktumfeld trotz notwendiger Investitionen profitabel zu agieren.“

Für Groth ist aber der Untergang von AOL nur der Anfang. Nach seiner Auffassung wird es noch weitere größere Verschiebungen geben. „Der Rückzug von AOL ist das bislang spektakulärste Beispiel einer Konsolidierungswelle, es wird allerdings nicht der letzte sein. Wir werden in den nächsten Monaten weitere Fälle von Zusammenschlüssen oder Marktaustritten sehen, wenn Unternehmen nicht in der Lage sind, nachhaltig profitabel zu operieren.“

Genauso sieht es auch Fortmann: „Die Vermarkterlandschaft muss sich verändern. Nicht zuletzt die Agenturwelt klagt seit Langem über die Zersplitterung des Online-Werbemarktes und verlangt eine Konsolidierung. Der Preis- und Margendruck wird diesen Prozess beschleunigen; viele haben dies bereits 2009 erwartet, aber nun geht es los. AOL war der Erste, weitere aus den AGOF TOP 10 werden zweifelsohne folgen.“

Was dem einen sein Uhl, ist dem anderen sein Nachtigall

Der AOL-Abgang hat für den Wettbewerb eine unterschiedliche Bedeutung – je nach Ausrichtung des eigenen Netzwerkes. Für Adconion ist es ein Glücksfall. „Das Vermarktungsnetzwerk von AOL war unser stärkster Wettbewerber im deutschen Markt. Das Ausscheiden stärkt unsere Marktposition deutlich. Adconion ist bereits in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen, aber natürlich gilt: Je weniger Anbieter im Markt agieren, desto höher sind die Wachstumschancen für die verbleibenden Marktteilnehmer“, erläutert Groth.

„Für Yellow Tomato hat die Schließung von AOL nur marginale Auswirkungen“, konstatierte Fortmann. „Die von AOL vermarkteten Webseiten werden sich bei anderen Vermarktern wiederfinden und performanceorientierte Buchungen an Mitbewerber wie Adconion, Specific Media etc. vergeben. Größter Profiteur ist Ströer Interactive, der nun in den begehrten AGOF TOP 5 ist.“

Fazit

Der unerwartete Abgang von AOL scheint der deutschen Online-Media-Landschaft jedenfalls nicht zu schaden. Der Markt fängt an, sich zu bereinigen. Wirkliche Verlierer scheint es, was den Markt angeht, nicht zu geben. Verlierer sind die ernüchterten Mitarbeiter, die hoffentlich bald von ihren ehemaligen Wettbewerbern umworben werden. Haben Sie doch nach Aussagen aller Interviewpartner durchgehend einen guten Job gemacht bzw. machen ihn auch jetzt noch.

Über den Autor/die Autorin:

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